29. Jän. 2020Drastische Kürzung von Kassenplanstellen im RSG 2025

Steirische Polit-Rechnung: Drei PVE-Ärzte sollen fünf Einzelpraxen ersetzen

Würfel auf einem Bambustisch mit dem Ergebnis "vier", mit Kopierplatz
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Die Recherche zu Unstimmigkeiten im steirischen Strukturplan 2025 (RSG-St) brachte eine Überraschung: Die Planer kalkulierten pro Primärversorgungseinheit (PVE) zwei Kassenstellen weniger. Am meisten wird Liezen mit minus zehn Hausärzten zur Ader gelassen – wegen Überversorgung. Das sei ja völlig neu, ist die Ärztekammer verblüfft.

Je tiefer der Blick in das steirische Zahlenwerk versinkt, desto größer werden die Augen. Kann es sein, dass sich die Planer im Regionalen Strukturplan Gesundheit – Steiermark 2025 (RSG-St) bei den Kassenplanstellen für 2014 vertan haben? Ja, aber das sei nur „ein redaktionelles Versehen“, gesteht der Gesundheitsfonds im Namen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK, vormals StGKK) und der EPIG GmbH, die die Berechnungen durchgeführt hatte. Dieser „Fehler“, heißt es weiter, habe aber keinerlei Auswirkungen auf die Berechnung der Planzahlen für 2025.

Doch der Reihe nach. Wie medonline.at zum Streitthema Leitspital Liezen exklusiv berichtet hat, will der Gesundheitsfonds des Landes Steiermark im größten Bezirk Österreichs zur geplanten Bettenreduktion (von 351 auf 226) auch in der Primärversorgung empfindlich den Rotstift ansetzen: 2025 soll es laut RSG-St statt 45 Allgemeinmedizin-Kassenplanstellen nur mehr 26 Einzelstellen plus vier Primärversorgungseinheiten (PVE) mit je drei Allgemeinmedizinern geben.

Liezen: 38 Hausärzte auf knapp 80.000 Einwohner

Das macht unter dem Strich sieben Kassenstellen weniger, also statt 45 nur mehr 38 Hausärzte auf knapp 80.000 Einwohner. Die damalige StGKK rechtfertigt sich auf Anfrage wie folgt: Der RSG gehe davon aus, dass eine PVE versorgungswirksamer sei, als das in derselben Anzahl an Einzel-Allgemeinmedizin-Stellen der Fall wäre. In welchem Verhältnis das der Fall sei, wollte man zunächst nicht beantworten.

Stmk. Ärztekammer-Präsident Dr. Herwig Lindner

Daraufhin zeigte ein genauerer Blick die eingangs erwähnte Unstimmigkeit im RSG: Der IST-Stand 2014 wird steiermarkweit mit 614 Kassenplanstellen (inklusive nicht besetzter Stellen) angegeben. Demgegenüber ergibt die Summe der „IST 2014“-Stände der sechs Versorgungsregionen (VR 61 bis VR 66) lediglich 595, wodurch sich eine Differenz von 19 Kassenplanstellen ergibt. Interessanterweise stimmen die anderen Summen für das Jahr 2025 überein: 522 Einzel-Planstellen plus 30 PVE mit je drei AM macht 612 Stellen.

Der Gesundheitsfonds begründet die Differenz zur Gesamtsumme damit, dass 2014 versehentlich nur die tatsächlich besetzten Planstellen eingetragen wurden, und lieferte die korrekten Zahlen für den Stellenplan 2014. Die Richtigstellung ist für heuer geplant – bei der nächsten redaktionellen Überarbeitung des RSG. Wieder weiten sich die Augen: In zwei Versorgungsregionen (Liezen und Murau/Murtal) werden die Planstellen 2025 drastisch gekürzt, in Liezen soll sogar jeder fünfte Hausarzt wegfallen, während in der Oststeiermark gleich 17 Hausärzte mehr eingeplant sind.

Nach mehrmaligem Nachfragen, wie derart eklatante Unterschiede entstehen können, legt der Gesundheitsfonds die dahinterliegenden Zahlen offen. Demnach gab es in Liezen eine „hohe Planstellendichte“, während die Oststeiermark im Jahr 2014 eine „deutliche Unterversorgung“ aufwies. Dazu kämen eine niedrigere bzw. höhere Kontakthäufigkeit je Arzt als im Landesdurchschnitt und demografische Überlegungen (Details siehe unten).

„Vertrauen in Planung erschüttert“

Die Ärztekammer für Steiermark findet es in einer ersten Reaktion nicht ganz unverständlich, „dass es in einer abstrakten Planung zu Zahlenfehlern kommen kann“. Man habe aber bereits im Jahr 2011 in der Stellungnahme zum RSG auf offensichtliche Fehler bei den Zahlenangaben zu den Planstellen für Allgemeinmedizin hingewiesen – ohne Erfolg. Grundsätzlich sollte man den Zahlenangaben in einer Planung der öffentlichen Hand, die in der Zielsteuerungskommission, „in der die Ärztekammer leider nicht vertreten ist und die im steirischen Landtag per Abstimmung zur Kenntnis genommen wird, vertrauen können“, entgegnet die Ärztekammer auf die Frage, ob sie den Versorgungsplanern womöglich zu wenig auf die Finger geschaut habe.

Eine Prüfung der Grundlagen sei „praktisch unmöglich“ gewesen: Der aktuelle RSG 2025 sei der Ärztekammer überhaupt erst Tage nach Beschluss in der Landes-Zielsteuerungskommission zur Stellungnahme übermittelt worden, obwohl laut Bundesgesetz der jeweiligen Landesärztekammer mindestens vier Wochen vor Beschlussfassung des RSG in der jeweiligen Landes-Zielsteuerungskommission die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen ist.

„Durch die jetzt aufgedeckten Fehler wird das Vertrauen in die Planung erschüttert“, betont Ärztekammer-Präsident Dr. Herwig Lindner gegenüber medonline.at, „daher müssen die Ursache der Fehler umgehend geklärt und der korrekte RSG debattiert werden.“ Er habe bereits 2017 mehrmals – auch in Zeitungskommentaren – darauf hingewiesen: „Wenn mehr als 800 Spitalsbetten wegfallen, dann muss der extramurale Bereich stärker werden. Zumal schon seit mehr als einem Jahrzehnt die Bevölkerungszahl wächst, die Zahl der Kassenarztstellen aber gleich bleibt.“ Rund 990 Kassenvertragsärzte (samt Fachärzten) sollen großteils in Einzelpraxen, teils auch in Gruppenpraxen bzw. Gesundheitszentren in zehn, 15 Jahren mehr und im Schnitt weit ältere Steirer betreuen, „das geht sich nicht aus“.

Auch die nun offengelegten Hintergrundzahlen überzeugen die Ärztekammer nicht: „Überall in Österreich werden Einzelstellen 1:1 in Primärversorgungseinheiten ersetzt. Uns sind keine Berechnungen bekannt, wonach PVE-Ärzte eine höhere Versorgungswirksamkeit entfalten.“ Und von einer Überversorgung im Bezirk Liezen habe bisher noch nie jemand gesprochen, auch nicht der Gesundheitsfonds bei der Präsentation des RSG-St im Jahr 2017: „Das ist ein völlig neues Argument, das sich durch die Bevölkerungszahlen auch nicht belegen lässt.“

Tatsächlich dürfte es sich um eine steirische Besonderheit handeln, die an das Motto „Sie wünschen, wir spielen“ erinnert: Im RSG 2025 für Kärnten, den auch die EPIG GmbH berechnet hat, finden sich keinerlei Hinweise auf eine bessere Versorgungswirksamkeit durch PVE-Ärzte.

„Ärzte in Zielsteuerungs-kommissionen einbinden“

Die Recherchen von Medical Tribune schlugen hohe Wellen. Dr. Norbert Meindl, Niedergelassenen-Kurienobmann der Ärztekammer Steiermark, verlangt eine „umfassende und rasche Aufklärung“ zu den steirischen Berechnungen. PVEs als Vorwand zu verwenden, um die Ärztezahlen zu reduzieren, „ist zynisch gegenüber der Bevölkerung“, betont Meindl in einer Aussendung. Er erwarte sich eine klare Distanzierung der steirischen Gesundheitspolitik „von einem solchen Anschlag auf die Allgemeinmedizin und die hausärztliche Versorgung“ der Steirer.
Auch Niedergelassenen-Bundeskurienobmann Dr. Johannes Steinhart hält nichts von den „Rechenkünsten“ hinter dem Semmering. „Der Ärztemangel lässt sich nicht einfach schön- oder gar wegrechnen“, unterstreicht der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und spricht von einem „Schlag ins Gesicht“ aller Kollegen mit Einzelordinationen. So motiviere man jedenfalls keine jungen Ärzte, auf dem Land die Versorgung zu übernehmen. Das Beispiel Steiermark zeige, was das Ergebnis sei, wenn die Ärzteschaft nicht in Zielsteuerungskommissionen eingebunden wird: „Dieser Missstand gehört aufgeräumt.“

Korrekte Zahlen für AM-Stellenplan 2014 (in Klammer Planzahlen 2025):

VR 61 (Graz, Graz-Umgebung) 171 (minus 3 = 168, davon 159 Einzelstellen, 3 PVE)
VR 62 (Liezen) 48 (minus 10 = 38, davon 26 Einzelstellen, 4 PVE)
VR 63 (Bruck-Mürzzuschlag, Leoben) 101 (minus 3 = 98, davon 83 Einzelstellen, 5 PVE)
VR 64 (Hartberg-Fürstenfeld, SO-St., Weiz) 129 (plus 17 = 146, davon 119 Einzelstellen, 9 PVE)
VR 65 (Deutschlandsberg, Leibnitz, Voitsberg) 102 (plus 3 = 105, davon 87 Einzelstellen, 6 PVE )
VR 66 (Murau, Murtal) 63 (minus 6 = 57, davon 48 Einzelstellen, 3 PVE)
Summe 614 (minus 2 = 612, davon 522 Einzelstellen, 30 PVE)

 

Details zu den Berechnungen im RSG Steiermark

So argumentiert der Gesundheitsfonds Steiermark die hohen regionalen Unterschiede der AM-Planstellen für das Jahr 2025:

VR 62 – Liezen:

  • Im Jahr 2014 hohe Planstellendichte von 0,6 je 1.000 EW
  • Gleichzeitig um zirka 11 % niedrigere Kontakthäufigkeit je Arzt als im Landesdurchschnitt
  • ÖROK-Prognose ließ Bevölkerungsrückgang von 2014 auf 2025 von 3,3 % erwarten
  • Im Jahr 2014 hätten somit 42 Planstellen gereicht (aber schwierige Topografie)
  • Dennoch wird eine Zunahme der benötigten AM-Frequenzen im §2-Bereich (zielbezogen) bis zum Jahr 2025 um +9 % erwartet
  • Daraus ergibt sich bis 2025 ein Versorgungsbedarf von 46 SVEs (Standardversorgungseinheiten, Anm.), der eben über 26 Einzel-Planstellen und 4 PVEs abgedeckt werden soll

VR 64 – Oststeiermark (Hartberg-Fürstenfeld, SO-Steiermark, Weiz):

  • Planstellendichte 2014 im Vergleich dazu deutlich geringer: 0,49 je 1.000 EW, vor allem in den Bezirken WZ und SO
  • Die §2-Ärzte in der VR 64 weisen im Jahr 2014 die höchsten „durchschnittlichen“ Kontaktzahlen pro Planstelle und Jahr auf; um durchschnittlich 18 % mehr Kontakte als in der VR 62 -> deutliche Unterversorgung im Jahr 2014
  • ÖROK-Prognose geht von weitgehender Bevölkerungsstagnation von 2014 bis 2025 aus (-0,6%)
  • Im Jahr 2014 wären schon zirka 136 Planstellen nötig gewesen
  • Durch die demografische Entwicklung wird auch hier mit einer noch deutlicheren Zunahme der Frequenzen bis 2025 gerechnet (+15%)
  • Errechneter Versorgungsbedarf von 164 SVE im §2-Bereich, der über 129 Planstellen und 9 PVEs abgedeckt werden soll

Dadurch, dass die Besetzung von Einzelplanstellen heute schon schwer – und manchmal gar nicht – gelingt, ist es unwirksam bzw. planerisch falsch, einfach noch mehr Einzelplanstellen einzufordern. Daher ist der Versuch notwendig, über andere Organisationsmodelle neue Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen, und auch dringend notwendig, durch die Ergänzung um andere Gesundheitsberufe die Versorgungswirksamkeit der Ärzte noch deutlich zu heben.
Die Planungen gehen davon aus, dass eine PVE, die gemäß den Vorgaben des Primärversorgungsgesetzes (PrimVG) organisiert und mit drei Vollzeitäquivalenten an Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern und weiteren Berufsgruppen besetzt ist und lange Öffnungszeiten hat, eine Versorgungswirksamkeit entfalten kann, die etwa jener von fünf Einzelplanstellen entspräche. Damit sollte es möglich sein, dem Problem der schwierigen Besetzbarkeit in ländlichen Regionen begegnen zu können. Mit der Umsetzung der ersten PVEs und gewonnenen Erfahrungen aus der Praxis ist diese Annahme zu bewerten und gegebenenfalls nachzujustieren.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune