9. Nov. 2022ECTRIMS 2022

Rauchen und Stress erhöhen das Erkrankungsrisiko

Lebensstilfaktoren können sowohl das Erkrankungsrisiko als auch den Verlauf einer Multiplen Sklerose beeinflussen. Diesbezüglich liegen gute Daten vor. Wenn es um Lebensstilinterventionen geht, ist die verfügbare Evidenz jedoch dünn. Was in jedem Fall empfohlen werden kann: mit dem Rauchen aufzuhören.

Viktor Morozuk/GettyImages

Unter den verhaltensassoziierten Risikofaktoren ist Rauchen der am besten erforschte, so Dr. Christoph Heesen vom Universitätsspital Hamburg Eppendorf. Tabakkonsum erhöht sowohl das Risiko, eine Multiple Sklerose (MS) zu entwickeln um rund 50 Prozent, als auch das Risiko von Krankheitsprogression in vergleichbarem Ausmaß.1,2 Zusätzlich bestehen Assoziationen mit schlechter Lebensqualität, Angst und Depression.3 Nikotin-Entwöhnung hilft und verlangsamt die Progression der MS. Je früher dieser Schritt erfolgt, desto besser.4 Die Zusammenhänge zwischen Rauchen und MS sind direkt und kausal, zumal Rauchen immunologische Prozesse in der Lunge beeinflusst. Hinzu kommen noch Schädigungen von Axonen durch oxidativen Stress, Inflammation und Aktivierung von Mikroglia.1 Leider haben, so Heesen, weder MS-Patient:innen noch ihre Behandler:innen das Thema Rauchen in seiner vollen Tragweite im Blick. Spezielle Programme zur Nikotin-Entwöhnung für Menschen mit MS existieren nicht. Während Patient:innen dem Rauchen oft ambivalent gegenüberstehen, weil es möglicherweise Symptome lindert, sind die Gefahren unter Neurolog:innen wohlbekannt. Es werden jedoch selten Initiativen gesetzt, um Patient:innen zum Nikotin-Stopp zu bewegen.5

Mehr MS-Erkrankungen nach traumatischen Erlebnissen

Stress wird seit Beginn der MS-Forschung als Risikofaktor betrachtet und findet bereits bei Charcot Erwähnung, so Heesen. Evidenz aus den vergangenen 20 Jahren zeigt, dass schwere traumatische Stressoren sowohl das Risiko einer MS-Manifestation als auch bei bereits bestehender MS die Schubaktivität erhöhen. Traumatische Stresserfahrungen wurden, ebenso wie Depression, auch mit schnellerer Krankheitsprogression in Verbindung gebracht. Auch in diesem Fall ist die Evidenz zu gezielten Interventionen im Sinne von Stressmanagement dünn. Heesen und seine Gruppe arbeiten gegenwärtig an einem systematischen Review, der ausschließlich prospektive, kontrollierte Studien zu Stress und MS umfassen soll, in denen stressreiche Ereignisse mit MS-Endpunkten in Assoziation gesetzt werden. Stresswahrnehmung durch Patient:innen wird dabei nicht berücksichtigt, da diese bereits ein Zeichen einer beginnenden MS sein könnte. Die bislang ausgewerteten Daten zeigen Stress als einen leichten bis moderaten Trigger von MS-Manifestation, Schüben und Progression. Heese weist auf zwei Studien hin, die die Auswirkungen des Libanon-Krieges auf libanesischer und israelischer Seite untersuchten und mit einer Erhöhung des Schubrisikos um den Faktor drei zu annähernd identischen Ergebnissen kamen. Skandinavische Registerdaten zeigen geringere Risikoerhöhungen durch Todesfälle in der Familie oder Missbrauch in der Anamnese. MS wurde auch mit posttraumatischer Stresserkrankung (PTSD) assoziiert, wobei es sich um einen eigenen MS-Phänotypen handeln könnte. Denn eine große Registerstudie zeigt, dass bei Patient:innen mit PTSD in der Anamnese die MS mit höherer Schubrate, mehr Läsionen in der Bildgebung und schnellerer Progression der Behinderung verläuft.6 Zu möglichen Interventionen gibt es bislang nur eine Studie. Diese zeigt, dass ein Programm zu Stressabbau einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat, der jedoch nach dem Ende der Intervention sehr rasch wieder verloren geht.7 Heese: „Das sind Daten, die definitiv noch repliziert werden müssen.“

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