Organspende taugt als Vorbild fürs Impfen
IMPFTAG – Immer wieder wird über die Einführung einer Impfpflicht diskutiert. In Italien und Frankreich gibt es sie bereits. Welche Nachteile damit einhergehen können, hat die Psychologin Prof. Dr. Cornelia Betsch am Impftag erklärt – und gleich Alternativen aufgezeigt. (Medical Tribune 4/18)
Nach Masernausbrüchen wird meist rasch der Ruf nach einer Impfpflicht laut. Doch ist sie überhaupt ein geeignetes Instrument, um die Durchimpfungsraten zu verbessern? Univ.-Prof. Dr. Cornelia Betsch, Psychologin und Expertin auf diesem Gebiet, denkt nicht nur theoretisch über solche Fragen nach, sondern überlegt sich Experimente. Was passiert, wenn manche Impfungen verpflichtend sind, andere aber nicht, veranschaulicht folgender Versuch: Die Probanden werden in zwei Gruppen aufgeteilt und müssen im Rahmen eines fiktiven Szenarios je zwei Impfentscheidungen treffen – der einen Gruppe wird allerdings die erste Entscheidung abgenommen: Ihnen wird die erste Impfung vorgeschrieben. In dieser Gruppe entscheiden sich signifikant weniger Probanden dafür, die zweite, für alle Teilnehmer freiwillige Impfung in Anspruch zu nehmen. Für Cornelia Betsch ist das wenig verwunderlich.
Einschränkung provoziert Reaktanz
In der Psychologie ist dieses Phänomen unter dem Begriff „Reaktanz“ bekannt. „Die holen sich ihre Entscheidungsfreiheit, die wir ihnen bei der ersten Impfung genommen haben, bei der zweiten wieder zurück“, erklärt Betsch und veranschaulicht, was passiert, wenn Menschen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden: „Das ist, wie wenn Sie Kindern eine Buntstiftschachtel geben und sagen, such dir jeden Stift aus, nur nicht den gelben – dann wissen Sie, welche Farbe bevorzugt wird.“ Bei Erwachsenen sei das nicht anders. Probanden, die Impfungen initial nicht ablehnend, aber leicht skeptisch gegenüberstehen, würden durch die Einschränkung der Wahlfreiheit am stärksten beeinflusst. Und gerade Impfskeptiker gebe es viel mehr als echte Impfgegner. Das mache eine Impfpflicht besonders problematisch, gerade wenn sie nur für einen Teil der Impfungen gelte.
Organspende zum Vorbild nehmen
Als Alternative zur Impfpflicht könnte man ein Opt-out-Modell andenken. Die „Default“-Option wäre demnach, geimpft zu werden. Sich nicht impfen zu lassen, wäre möglich, aber mit einem gewissen Aufwand verbunden. Dass grundsätzlich Wahlfreiheit bestünde, würde der Reaktanz vorbeugen. Bei der Organspende habe sich diese Vorgehensweise bereits als Erfolgsmodell erwiesen. In Österreich gilt jeder zunächst als Organspender, hat jedoch eine Opt-out-Möglichkeit. Die wird allerdings von den wenigsten in Anspruch genommen. In Deutschland dagegen muss man sich aktiv als Organspender registrieren lassen – ein Schritt, zu dem sich nur ein geringer Anteil der Bevölkerung entscheidet. Mit einem Opt-out-Modell setze man einen sogenannten „Nudge“, so Betsch. Fachleute verstehen darunter einen „Schubser“ in eine bestimmte Richtung. Ein solcher verändere die Entscheidungsarchitektur und mache die „richtige“ Wahl zur einfachen. Mit der Default-Variante vermittle man eine Norm, also das, was als „richtig“ gilt. Auf lange Sicht könne man damit auch die Einstellung der Menschen positiv verändern.
Zeitmangel, Fehlinformation oder Spritzenangst?
Um den Menschen das Impfen zu einfach wie möglich zu machen, gilt es, sich genauer anzusehen, was sie davon abhält. Nach dem 5C-Modell lassen sich die Ursachen der Impfmüdigkeit in fünf Kategorien einteilen (siehe Tabelle). Je nach vorherrschender Ursache können andere Interventionen hilfreich sein. Wie es gelingen kann, auf diesem Wege passgenaue Angebote zu setzen, zeigt ein Vergleich zwischen zwei deutschen Bundesländern. „In Thüringen war der einzige signifikante Prädiktor Convenience, also Alltagsstress“, berichtet Betsch, die die Studie durchgeführt hat. In diesem Bundesland könnten Schulimpfungen der Schlüssel zum Erfolg sein. In Baden-Württemberg sehe die Situation dagegen ganz anders aus, dort zweifeln die Befragten am Nutzen der Impfungen, zeigen sich skeptisch bezüglich der Risiken bzw. verlassen sich auf die Herdenimmunität. „Hier bräuchte man eine ganz andere Art von Kampagne“, konstatiert die Psychologin. Einerseits sollte man seriöse Information anbieten, denn „wer viel nach Information sucht, weiß hinterher meist mehr falsch“. Gleichzeitig würde es sich lohnen, über Gemeinschaftsschutz aufzuklären. Bei Probanden, die über die soziale Bedeutung des Impfens aufgeklärt werden, steigt die Motivation. Den Begriff „Gemeinschaftsschutz“ empfiehlt Betsch, im Patientengespräch anstelle des sperrigen Terminus „Herdenimmunität“ einzusetzen. Denn, so hält der per Videobotschaft zugeschaltete Arzt und Kabarettist Dr. Eckart von Hirschhausen fest: „Nur Kühe und Schafe fühlen sich gerne als Teil einer Herde.“
Impftag 2018; Wien, Jänner 2018