6. Juli 2023Medikamentenversorgung

Hitzige Debatte um neues Preisband

Durch das neue Preisband kostet künftig ein erstattetes Arzneimittel höchstens um ein Fünftel mehr – bisher 30% – als das günstigste Generikum. Mehrere Interessensvertretungen befürchten deshalb noch mehr Medikamentenengpässe und schlagen Änderungen vor.

Konzept der teuren Medizin
Vitalii Petrushenko/GettyImages

Der Dachverband der Sozialversicherungsträger hat Ende Juni ein neues Preisband für Medikamente festgesetzt – mit Wirkung ab Oktober 2023. Demnach darf der Höchstpreis eines erstatteten Arzneimittels nur mehr maximal 20% über dem Preis des günstigsten wirkstoffgleichen Arzneimittels liegen. Bisher betrug die höchstmögliche Spanne 30%.

„Wir werden auch im kommenden Winter wieder in eine Engpasssituation geraten“, warnt Dr. Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes. Denn das „restriktive Preissystem“ habe längst seine Untergrenze erreicht. „Werden die Preise jetzt noch weiter gedrückt, laufen weitere Medikamente wie z.B. Antipsychotika oder Antidepressiva Gefahr, vom Dachverband aus der Versorgung gestrichen zu werden.“

Mehr als 600 Medikamente mit Vertriebseinschränkung

Rund 600 Medikamente waren Ende Juni nicht oder eingeschränkt lieferbar, darunter Schmerzmittel, Antibiotika, Medikamente für das Herz-Kreislaufsystem. Aktuell sind es 636 (Stand am 06.07.2023, laut Vertriebseinschränkungsregister des BASG). Leidtragende sind Andiel zufolge die Patientinnen und Patienten, die dringend auf diese Medikamente angewiesen sind.

Auch Medikamente mit Lieferausfällen im vergangenen Winter seien vom neuen Preisband betroffen. Andiel dazu: „Man kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass sich dadurch die Versorgung verbessern wird!“ Mehr als 90% der abgegebenen Packungen würden aus dem patentfreien Segment stammen, davon seien 57% Generika, liefert der Generikaverband-Präsident Zahlen zur Versorgungssicherheit.

Pro Monat verlassen 20 Medikamente die Erstattung

Wegen des starken Preisdrucks habe jedoch bereits über ein Viertel der Generika in Europa in den letzten zehn Jahren den Markt verlassen. Pro Monat würden im Schnitt 20 Medikamente den Erstattungskodex in Österreich verlassen. Was der Generikaverband noch kritisiert: Das neue Preisband sieht vor, dass der Höchstpreis künftig anhand der am häufigsten verschriebenen Dosierung, der sogenannten „Schlüsselstärke“, festzulegen ist.

Dadurch könne es sein, dass 300mg zum Preis von 25mg abgegeben werden müssten, weil höhere Wirkstoffstärken keinen höheren Preis haben dürfen. In „zahlreichen Fällen“ könne dieses Einheitspreis-Modell dazu führen, dass die Preise für höhere Dosisstärken nicht mehr kostendeckend seien. Die Folge für Patientinnen und Patienten wäre, dass sie mehr Tabletten (wegen der geringeren Dosis) einnehmen müssten.

Dazu kämen auch häufigere Rezeptgebühren. „Ein weiteres Problem besteht darin, dass die festgestellten Schlüsselstärken im neuen Preisband teilweise nur wenig mit den tatsächlichen Dosierungen in den zugelassenen Anwendungsgebieten zu tun haben“, unterstreicht Andiel. Das Preisband in dieser Form sei „aus unserer Sicht“ nicht sinnvoll anwendbar.

Generikaverband fordert Indexanpassung und Streichungsstopp

Der Generikaverband fordert daher die Politik auf, in drei Bereichen rasch zu handeln, um die negativen Folgen des neuen Preisbandes zumindest teilweise abfedern zu können:

1) Generikaförderung: Die Anhebung der Verschreibung der günstigen Generika würde die gleiche Einsparung für die Krankenkassen erzielen, aber mehr Medikamente am Markt erhalten. Jedes weitere Prozent an Generika-Verordnungen spart 16 Millionen Euro für andere Therapien.

2) Indexanpassung: Derzeit können Pharmaunternehmen Kostensteigerungen nicht weitergeben. Arzneimittelpreise zumindest an den Verbraucherpreis-Index anpassen zu können, würde die enorm steigenden Kosten wenigstens teilweise kompensieren.

3) Stopp der Streichungsverfahren: Wenn ein Arzneimittel nicht auf den jeweils niedrigsten vergleichbaren Produktpreis mit dem gleichen Wirkstoff abgesenkt wird, kann es aus dem Erstattungskodex gestrichen werden. Das übt zusätzlichen, massiven Druck auf die Versorgung aus. Daher müssen die ab 2024 drohenden Streichungsverfahren abgeschafft werden.

FCIO: Rund 1.500 Medikamente von Preisreduktionen betroffen

Ähnlich sieht das der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO): „Gerade nach den Erfahrungen mit den Knappheiten der letzten Monate kann diese Vorgangsweise nicht zu Ende gedacht sein“, befürchtet FCIO-Geschäftsführerin Mag. Sylvia Hofinger, dass die vorgeschriebenen Preissenkungen die Arzneimittelversorgung zahlreicher Patientinnen und Patienten weiter „gefährden“ würden. Die vom Dachverband verordneten Preisreduktionen würden rund 1.500 Medikamente betreffen.

Darunter auch viele Antibiotika mit „teilweise dramatischen Engpässen“ in der Hauptinfektionszeit. Um diese zu vermeiden, werde die Pharmawirtschaft einerseits verpflichtet, diese kritischen Arzneimittel künftig verpflichtend zu bevorraten. Andererseits müssten die Unternehmen die Preise für dieselben Produkte deutlich senken. Deshalb rechnet der FCIO damit, dass Anbieter aus dem Markt ausscheiden müssen, da die neuen Preise wirtschaftlich nicht mehr vertretbar seien.

Im Extremfall zwölf statt einer Tablette einzunehmen

Außerdem würden durch die Einführung eines „dosisunabhängigen Flat-Price-Systems“ viele höher dosierte Präparate in Zukunft nicht mehr verfügbar sein, argumentiert auch der FCIO gegen die geplanten Schlüsselstärken. Im Extremfall müssten Patientinnen und Patienten beispielsweise künftig zwölf statt einer Tablette einnehmen, für die dann auch noch mehrfach Rezeptgebühren zu entrichten wären, befürchtet der FCIO „unzumutbare Erschwernisse“ bei der Einnahme.

Insgesamt konterkariere das Vorgehen alle Ankündigungen auf nationaler und europäischer Ebene, nämlich die heimische Arzneimittelproduktion zu stärken und unabhängiger von asiatischen Herstellern zu werden. „Fehlende Medikamente verursachen nicht nur Probleme bei der bestmöglichen Behandlung der Menschen, sondern auch volkswirtschaftlich relevante Kosten, die höher sind als die potenziellen Einsparungen“, betont Hofinger.

In diesem Sinne seien „faire Preise für lebenswichtige Arzneimittel gut investiertes Geld“, appelliert die FCIO-Geschäftsführerin an die Verantwortlichen im Gesundheitssystem, so rasch wie möglich Lösungen gegen weitere Medikamentenengpässe zu entwickeln.

BiVÖ: Biosimilars senken Behandlungskosten

Auch der Biosimilarsverband Österreich (BiVÖ) warnt vor den negativen Auswirkungen des neuen Preisbands und spricht von einer „preislichen Abwärtsspirale“, die man stoppen müsse. Biosimilars seien hochmoderne Nachfolge-Biologika, die im Gesundheitssystem eine „zentrale und zukunftsgerichtete Rolle“ spielen, erläutert BiVÖ-Präsidentin Dr. Sabine Möritz-Kaisergruber.

Biosimilars könnten Behandlungskosten meist sehr teurer Therapien z.B. in den Bereichen Krebs, Rheuma, entzündliche Darm- oder Hauterkrankungen um 53% senken. Ein vermehrter Einsatz von Biosimilars trage dazu bei, das Gesundheitsbudget „rasch und finanziell nachhaltig“ zu entlasten.

Biosimilars-Preisregel soll Dauerrecht werden

Daher fordert der Biosimilarsverband die Überführung der sogenannten Biosimilars-Preisregel in Dauerrecht. Sie wurde mit April 2017 eingeführt und ermöglicht, die Behandlungskosten durch Biosimilars insgesamt auf mehr als 50% zu senken. „Diese Preisregel hat sich in den letzten sechs Jahren hinsichtlich der Verfügbarkeit neuer Biosimilars bestens bewährt“, berichtet Möritz-Kaisergruber.

„Seit Inkrafttreten kamen nahezu zeitgleich mit anderen europäischen Ländern 25 Biosimilars in den Erstattungskodex und haben allein im Zeitraum zwischen 2017 und 2022 Einsparungen von 818 Millionen Euro ermöglicht“, nennt die BiVÖ-Präsidentin konkrete Zahlen. Für 2023 bis 2027 prognostiziere eine vom BiVÖ in Auftrag gegebene Verbrauchsstudie weitere Einsparungen von zirka 330 Millionen Euro.

Diese Einsparungen würden sich „um mindestens 40%“ reduzieren, wenn die bestehende Regelung nicht fortgesetzt werde. Die Biosimilars-Preisregel stoße allerdings durch die verpflichtende Gleichpreisigkeit von Referenzarzneimitteln und Biosimilars nach Einführung des dritten Biosimilars an ihre Grenze: Das behindere wesentlich den Wettbewerb, gefährde den Anreiz für weitere Biosimilars-Einführungen und damit für eine nachhaltig gesicherte Patientenversorgung.

Die Biosimilars-Verordnung sollte daher „aktiv“ gefördert werden, so der Vorschlag. Der BiVÖ erwarte sich Unterstützung „etwa durch die Sozialversicherungsträger“ mittels positiver Kommunikation und regelmäßiger Information.

NEOS: „Geiz an falscher Stelle“

Von politischer Seite meldete sich NEOS zu Wort. Sozialversicherung und Gesundheitsministerium würden die Medikamentenknappheit verschärfen. „Österreich geizt hier an der falschen Stelle – zum Schaden der Versicherten und zum Schaden des Wirtschaftsstandorts“, kritisiert NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler, BEd, das neue Preisband.

Während andere westeuropäische Länder wie Frankreich oder Deutschland angemessene Preise zahlen würden, „misst sich Österreich mit Ländern wie Bulgarien oder Rumänien“. Ein kleines Land, das schlecht zahle, „muss damit rechnen, dass jene Länder, die den Marktpreis zahlen, bevorzugt beliefert werden und man selbst leer ausgeht“.

Vorschlag: Kritische Medikamente aus Preisband nehmen

Auch dass Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) die Hersteller verpflichtet, sich um die Bevorratung von Medikamenten zu kümmern, kritisiert Fiedler: „Dadurch wird der kleine österreichische Markt für sie noch teurer und damit unattraktiver, als er durch die fehlgeleitete Einkaufsstrategie der Sozialversicherung ohnehin schon ist.“

Der Vorschlag von NEOS: „Dass sich die Regale in den Apotheken noch weiter leeren, können wir nur verhindern, wenn Medikamente, die Gesundheitsminister Rauch bevorraten will, aus dem Preisband ausgenommen werden.“ Rauch müsse jetzt dringend auf die Sozialversicherung „einwirken“, appelliert Fiedler abschließend.