„Ein unzureichendes perioperatives Schmerzmanagement ist ethisch inakzeptabel!“

Etwa 40 Prozent der Patientinnen und Patienten leiden am ersten postoperativen Tag unter starken Schmerzen, in zehn Prozent der Fälle werden diese Schmerzen chronisch. Das neue ÖSG-Positionspapier liefert die Grundlagen zu einer verbesserten Versorgung.

In Österreich werden jährlich etwa 1,2 Millionen Operationen durchgeführt. Die neuesten Zahlen der WHO besagen, dass ein/e PatientIn von zehn chronische Schmerzen entwickelt, ein/e PatientIn von 100 entwickelt chronische Schmerzen, die ihn/sie in der Lebensqualität massiv beeinträchtigen. „In Österreich treten demnach bei etwa 120.000 Menschen jährlich postoperative Schmerzen auf, die chronisch werden“, betonte OA Dr. Wolfgang Jaksch, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich der Österreichischen Schmerzwochen im Jänner 2017. Mit einem Positionspapier strebt die ÖSG eine nachhaltige Verbesserung dieser Situation an.

Kleinere Eingriffe führen zu höheren Schmerzwerten

Aus Studien ist bereits bekannt, dass bis zu 40 Prozent aller Patientinnen und Patienten am ersten postoperativen Tag unter starken Schmerzen leiden, obwohl diese relativ einfach behandelbar wären.
Es zeigte sich, dass die stärksten Schmerzen nach einer Sectio auftreten. Am zweitstärksten sind sie nach orthopädischen Eingriffen, an dritter Stelle stehen die abdominalchirurgischen Eingriffe. Hier führen kleinere Eingriffe wie eine Gallenblasen- oder eine Blinddarmoperation oder Laparoskopien zu deutlich höheren Schmerzwerten. „Das ist dem Umstand geschuldet, dass bei großen Operationen schon vorab eine Schmerztherapie überlegt wird, während bei kleinen Operationen nicht darauf geachtet wird, weil man annimmt, dass diese nicht so schmerzhaft seien“, erklärte Jaksch.

„Ein unzureichendes perioperatives Schmerzmanagement ist aus ethischer Perspektive inakzeptabel“, betonte Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Generalsekretär der ÖSG. „Schlecht kontrollierte Schmerzen nach chirurgischen Eingriffen beeinflussen die Lebensqualität, die Morbidität, die Chronifizierung sowie die Behandlungsdauer negativ.“
Je nach Art des Eingriffes würden zehn bis 50 Prozent der Patientinnen und Patienten chronische Schmerzen entwickeln, so Likar. Bei Leistenhernien seien es zehn Prozent, nach Amputationen allerdings 50 bis 80 Prozent.
In einer am Wiener Wilhelminenspital durchgeführten Untersuchung an mehr als 300 Patientinnen und Patienten habe sich gezeigt, dass drei Monate nach der Operation 25 Prozent von ihnen chronische Schmerzen entwickeln, so Jaksch.

Neues Positionspapier gegen postoperative Schmerzen

„Dass zehn Prozent der Patientinnen und Patienten postoperative Schmerzen entwickeln, liegt daran, dass der postoperative Schmerz unzureichend erfasst und dokumentiert wird. Es gibt unzureichende Verantwortlichkeiten, was zu therapeutischen Defiziten und der Entwicklung chronischer Schmerzen führt“, erklärte der ÖSG-Generalsekretär. Eine adäquate postoperative Schmerztherapie verbessere die Lebensqualität und den Heilungsverlauf und verkürze die Behandlungsdauer. Auch die betriebs- und volkswirtschaftlichen Benefits seien zu bedenken, da ein un- oder unterbehandelter postoperativer Schmerz letztlich zu längeren Krankenhausaufenthalten sowie höheren Belastungen für die Spitalsbudgets und das gesamte Gesundheits- und Sozialsystem bedeute.

Für ein geeignetes perioperatives Schmerzmanagement brauche es geeignete organisatorische Strukturen. „Das neue interdisziplinäre Positionspapier der ÖSG, das wir gemeinsam mit zahlreichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden entwickelt haben, soll die betroffenen Spitalsabteilungen im Management perioperativer Schmerzen unterstützen. Es werden organisatorische Standards des perioperativen Schmerzmanagements beschrieben, und auch der Stellenwert wichtiger Medikamente und Verfahren wird zusammenfasst. Das Ziel lautet hierbei nicht Schmerzfreiheit, die postoperativ nicht erreicht werden kann, sondern es geht um den schmerzarmen Patienten, der schnell mobilisiert werden kann und schnell wieder eine gute Lebensqualität erreicht“, führte Likar aus.

Messen der Schmerzintensität :so selbstverständlich wie das Erstellen einer Fieberkurve

Ein wichtiger Schritt sei die Messung der subjektiven Schmerzintensität, beispielsweise mit einer numerischen Rating-Skala (NRS) oder einer verbalen Skala. „Dies sollte unmittelbar nach dem Eingriff im Aufwachraum erfolgen. Im Anschluss sollten auf der Station Schmerzen dreimal täglich erfasst werden. Auch die Dokumentation der Aus- und Nebenwirkungen jeder schmerzmedizinischen Intervention ist wichtig. Das sollte so selbstverständlich sein wie das Erstellen einer Fieberkurve“, so Likar.
Um gefährdete Patientinnen und Patienten frühzeitig identifizieren zu können, sei die Erfassung von Risikofaktoren wichtig. Dazu zählen präoperative Schmerzen, andere chronische Schmerzen, die bereits vor dem Eingriff bestanden, der akute postoperative Schmerz und Stress oder Überlastungsfaktoren, die eine große Rolle für die Entwicklung der Chronifizierung spielen.

PatientInnen aktiv in das Schmerzmanagement einbeziehen

Der Erfolg der perioperativen Schmerztherapie hänge auch von der Aufklärung und aktiven Einbindung der Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidungen ab. Je mehr sie miteinbezogen werden, desto besser können sie mit den nachfolgenden Schmerzen umgehen. Das wirke sich positiv auf den Heilungsverlauf und die PatientInnenzufriedenheit aus, so die Experten. „Ein erfolgreiches Schmerzmanagement ist Teamarbeit. Das fängt bei den Chirurginnen und Chirurgen an, die möglichst schmerzarme Techniken auswählen sollten, und muss auch die Anästhesie und die Pflege bzw. auch andere Berufsgruppen wie beispielsweise Physiotherapeutinnen und -therapeuten einschließen“, betonte Likar.
„Daneben braucht es klare Strukturen: Eine Fachgruppe, in Österreich zumeist die Anästhesie, muss die Verantwortung für das perioperative Schmerzmanagement übernehmen und die Behandlung koordinieren. Außerdem muss in großen Krankenhäusern ein 24-Stunden-Akutschmerzdienst vorhanden sein“, so Likar. „In Österreich werden diese spezialisierten Akutschmerzdienste allerdings nicht aus-, sondern sogar abgebaut. Das AKH Wien geht hier mit schlechtem Beispiel voran.“

Weiterbildung umso wichtiger

Umso wichtiger sei die strukturierte Weiterbildung für das Pflegepersonal sowie Ärztinnen und Ärzte in der postoperativen Schmerzversorgung. Auch die Rahmenbedingungen müssen durch schriftliche Vereinbarungen von allen beteiligten Fachdisziplinen eines Hauses festgelegt werden. „Hier sollten die Zuständigkeiten aller beteiligten Disziplinen und Berufsgruppen, organisatorische Aspekte und auch Interventionsgrenzen festgelegt werden“, riet Likar. Dabei sei das Positionspapier, in dem übersichtliche Leitfäden für das Schmerzmanagement ausgearbeitet wurden, hilfreich.

Den Betroffenen Gehör verschaffen

„Im heurigen Europäischen Jahr gegen postoperative Schmerzen nach Operationen haben wir uns zum Ziel gesetzt, zu einer nachhaltigen Verbesserung dieser Zustände beizutragen. Dafür brauchen wir allerdings valide, mit internationalen Erhebungen vergleichbare Daten“, zeigte Jaksch auf.
Daher habe man sich im Zuge der Erstellung des Positionspapiers gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), den Partnern aus den chirurgischen Fächern und aus der Pflege beschlossen, am 26. und 27. April einen Fragebogen an Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern zu verteilen, um auch in Österreich harte Daten zum Thema postoperativer Schmerz zu bekommen. Das Bundesministerium für Gesundheit habe auf die Kooperationsanfrage bisher leider nicht reagiert, so Jaksch.

Quelle: Pressekonferenz zu den Österreichischen Schmerzwochen, 18. 1. 2017, Wien