29. Nov. 2023Gesundheitsbarometer 2023

Wiener Bevölkerung zeigt Verständnis für Streiks

Schlechtes Zeugnis für die Gesundheitspolitik, Verständnis für Proteste des medizinischen Personals – die Bevölkerung zeigt sich laut Wiener Gesundheitsbarometer 2023 mit den Streikmaßnahmen solidarisch. Die Ärztekammer spürt Rückenwind für den Protestmarsch am 4. Dezember.

Portrait of medical staff wearing face masks with hands up and holding a sign that says „health staff“. pandemic and health crisis concept.
Baurzhan I/AdobeStock

„Wenn man in Wien lebt, bekommt man einfach mit, dass es strukturelle Probleme in den Spitälern der Stadt gibt“, sieht Kurienobmann angestellte Ärzte und Vizepräsident Dr. Stefan Ferenci eine Bestätigung für den Streik am nächsten Montag (4.12.2023). Er beruft sich dabei auf die „alarmierenden Werte“ des Wiener Gesundheitsbarometers, die Meinungsforscher Dr. Peter Hajek am 28.11.2023 präsentiert hat.

Nach dieser Umfrage (n=1.000) im Auftrag der Ärztekammer solidarisiert sich eine „überwältigende Mehrheit“ der Wiener Bevölkerung mit Protest- und Streikmaßnahmen. „91% der befragten Wienerinnen und Wiener, die die Streiks in den letzten Monaten wahrgenommen haben, zeigen Verständnis für das streikende medizinische Personal“, berichtet Hajek. Rund zwei Drittel, die von den Streiks in den letzten 12 Monaten gehört haben, antworteten sogar mit „ja, absolut“, knapp ein Viertel (24%) mit „eher ja“.

Das sei ein „überaus hoher Wert“. Aus der Spitalsumfrage 2023 wisse man, dass die Wiener Spitalsärztinnen und -ärzte zu 95% den Streik an der ZNA Ottakring, der im Juni 2023 stattfand, unterstützen und sich zu knapp 80% vorstellen könnten, generell an Protestmaßnahmen teilzunehmen. Die Unzufriedenheit mit Wiens Spitälern sei sowohl beim Fachpersonal als auch bei den Patientinnen und Patienten groß, so die Einschätzung Hajeks. Denn grundsätzlich seien den Menschen in Österreich Lösungen am Verhandlungstisch lieber, „Streiks gelten nur als Ultima Ratio“.

Nur 5% geben Zeugnisnote „Sehr gut“

Was die Beurteilung der aktuellen Situation an Wiener Spitälern betrifft, beträgt der Mittelwert 3,3 auf einer Zeugnisnoten-Skala, wie der Gesundheitsbarometer zeigt: Rund ein Drittel (35%) der Befragten vergibt zwar die Zeugnisnote „Befriedigend“. Aber gleich ein Viertel vergibt die Note „Genügend“ und 12% teilen sogar ein „Nicht genügend“ aus. Mit „Gut“ bewerten 15% die aktuelle Situation, mit „Sehr gut“ jedoch nur 5%.

Diese Zahlen findet Dr. Anna Kreil, stellvertretende Kurienobfrau, „mehr als beunruhigend“, insbesondere, dass gleich 37% die 2 schlechtesten Noten vergeben. „Wir sind am Anschlag“, berichtet sie, „den Exodus des Spitalspersonals kann man nicht durch Einzelzuschläge für Nachtdienste oder Einspringdienste lösen.“ Es brauche „rasch gemeinsame Lösungen“.

Dr. Eduardo Maldonado-González, stellvertretender Kurienobmann, unterstreicht: „Laut 58% der Wienerinnen und Wiener entwickeln sich die Spitäler in eine falsche Richtung. Seit Jahren warnen wir, dass es umfassende Reformen braucht, um Wiens Spitäler zu retten.“ Die Ärztekammer habe einen 10-Punkte-Plan vorgelegt: „Doch die Stadtregierung ignoriert unsere Vorschläge bislang leider beharrlich.“

OP verschoben: „Tut immer wieder weh“

Auch für Dr. Peter Poslussny, Personalvertreter im Wiener Gesundheitsverbund (WiGeV), sind die Ergebnisse eine Bestätigung des Spitalsalltags, „den wir nicht erst seit gestern erleben – Stichwort überfüllte Spitalsambulanzen“. Hinter dem Personalmangel (63%) sehe die Bevölkerung beim langen Warten auf OP-Termine (42%) den größten Handlungsbedarf. „Es tut immer wieder weh, wenn man von zahlreichen Menschen auf verschobene Operationen angesprochen wird“, kommentiert Poslussny. Und weiter: „Das Mini-Paket der Stadt ist ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein und reicht bei weitem nicht aus.“

Ferenci weist darauf hin, dass die Wienerinnen und Wiener laut Gesundheitsbarometer auch andere Forderungen der Ärztekammer unterstützen: Demnach wollen 63% der Befragten, die Verständnis für Streiks zeigen, dass der Personalmangel bekämpft wird. 69% wiederum wollen höhere Gehälter für das Spitalspersonal als Beitrag zur Lösung der Probleme. Bei dieser Frage wurde explizit das Burgenland als Beispiel erwähnt, das den Spitalsärztinnen und -ärzten aktuell mehr Geld als die Stadt Wien zahle.

30% mehr Personal, Zeit und Gehalt

„Wir fordern 30% mehr Personal, 30% mehr Zeit für Patientinnen und Patienten, 30% mehr Gehalt und 30% weniger Bürokratie“, fasst Ferenci zusammen. Die von der Stadt Wien, WiGeV und Younion-Führung vergangene Woche präsentierten Verhandlungsergebnisse (KV-Abschluss von 9,15–9,71%) würden auf keine „ausreichende Wertschätzung“ hinweisen, heißt es auch auf der von der Ärztekammer eingerichteten Website zum Protestmarsch am 4. Dezember.

Auch die jüngste Einigung in der Sozialwirtschaft Österreich (KV-Abschluss von 9,2%, siehe Bericht hier), sei nicht ausreichend, sagt Ferenci bei der Präsentation des Gesundheitsbarometers. Der Protestmarsch beginnt um 14 Uhr am Neuen Markt, so der Plan, führt u.a. am Rathaus vorbei und endet am Stock-Im-Eisen-Platz (Eck zwischen Graben und Kärntner Straße), wo um ca. 16 Uhr eine Abschlusskundgebung stattfinden soll.