29. Nov. 2023Einigung in 3. Verhandlungsrunde

Sozialwirtschaft-Kollektivvertrag steigt um 9,2%

Der Streik ist vom Tisch: In der 3. Verhandlungsrunde einigten sich Gewerkschaften (GPA & vida) und Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) auf ein Plus von 9,2%. Der Mindestlohn steigt auf 2.067,40 Euro. „Pufferstunden“ bei Teilzeit sinken. Beide Seiten zeigen sich zufrieden.

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Nach 16 Stunden „harten, aber konstruktiven und fairen Verhandlungen“, wie die SWÖ es formulierte, war es in der Nacht auf Dienstag so weit: Die Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich erhalten um 9,2% mehr – das gilt sowohl für IST-Einkommen als auch für Mindesteinkommen. „Das ist deutlich über der rollierenden Inflationsrate von 8,7%“, freut sich Eva Scherz, Verhandlerin für die GPA, in einem Video zur Aussendung am 28.11.2023.

Außerdem werde der Flexibilitätszuschlag für das Einspringen um 15% erhöht und komme öfter zur Anwendung. Weiters gebe es Verbesserungen für Kolleginnen und Kollegen im Behindertenbereich, die in der Nacht arbeiten müssen. Und: „Wir konnten erreichen, dass vor allem für Teilzeitbeschäftigte früher Zuschläge anfallen“, betont Scherz. Denn die sogenannten Pufferstunden bei Teilzeit-Mehrarbeitsstunden verringerten sich von 16 auf 8 Stunden.

„Ergebnis, das sich sehen lassen kann“

Freude auch bei Michaela Guglberger, Verhandlerin für die Gewerkschaft vida: „Im Rahmen von respektvollen Verhandlungen haben wir ein Ergebnis zustande gebracht, das sich sehen lassen kann.“ Darunter fällt auch der neue Mindestlohn im Kollektivertrag (KV) Sozialwirtschaft von 2.067,40 Euro. Alle Änderungen (s. Kasten) werden mit 1. Jänner 2024 in Kraft treten.

Den Gewerkschaften lagen vor allem auch Verbesserungen für Teilzeitbeschäftigte am Herzen. Denn 70% der rund 130.000 Beschäftigten, die vom SWÖ-Kollektivvertrag erfasst sind, würden Teilzeit arbeiten. Gerade im mobilen Bereich gebe es einen hohen Frauenanteil, Vollzeitarbeitsplätze seien hier „die absolute Ausnahme“, hat Scherz noch vor dem Start der 1. Verhandlungsrunde am 17. Oktober betont. Diese musste nach 8 Stunden unterbrochen werden.

Die Arbeitgeber boten eine Erhöhung um 8,8%, die Gewerkschaft wollte ein Plus von 15% und mindestens 400 Euro mehr. Dabei blieb es auch nach der 2. Verhandlungsrunde am 15. November, die nach 10 Stunden ergebnislos abgebrochen wurde. Als nächsten Schritt kündigte die GPA eine österreichweite Betriebsräte-Konferenz an: Es brauche ein „kräftiges Plus“, da die Sozialwirtschaft ohnehin 22% weniger als der Schnitt aller Branchen bezahlt bekomme.

Vorige Woche Streikfreigabe des ÖGB

Die Betriebsräte-Konferenz der Gewerkschaften GPA und vida hat dann vergangene Woche, am 20. November, die Rute ins Fenster gestellt und Kampfmaßnahmen wie Betriebsversammlungen beschlossen. Vorsorglich kam es auch zu einer Streikfreigabe durch den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) – sollte die 3. Verhandlungsrunde am 27. November erneut scheitern. Was dann nicht der Fall war.

„Die Gehaltserhöhungen nehmen vielen Beschäftigten, die sich ihr Leben nur noch schwer leisten können, Sorgen und federn die Teuerung ab“, bringt Scherz ein Beispiel: Eine Sozialarbeiterin mit 10 Dienstjahren verdiene nun monatlich bei Vollzeit über 300 Euro mehr. Gerade im Vergleich mit anderen Branchen zeige sich, dass eine Erhöhung über der Inflationsrate „alles andere als selbstverständlich“ sei.

SWÖ: „Wichtiges sozialpolitisches Signal“

Das war auch der Arbeitgeber-Seite bewusst. SWÖ-Verhandlungsführer Mag. Walter Marschitz, BA, sprach in einer Aussendung von einem „starken Zeichen“ für die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich, „die im letzten Jahr mit hohen Kosten aufgrund der Teuerung belastet wurden“. Die Inflationsrate sei abgegolten worden und es komme auch zu einer Reallohnerhöhung.

„Mit der Erhöhung über der Inflationsrate senden wir auch ein wichtiges sozialpolitisches Signal aus“, erklärte SWÖ-Vorsitzender Mag. (FH) Erich Fenninger, DAS. „Wir wissen, dass unsere Beschäftigten im vergangenen Jahr besonders unter der Teuerung gelitten haben.“ Gleichzeitig sei die SWÖ bereits jetzt und auch in Zukunft sehr gefordert, „Arbeitskräfte zu gewinnen“. Mit der Erhöhung wolle man beide Probleme adressieren.

So wie die Gewerkschaften hob auch die SWÖ die Entlastung der Teilzeit-Beschäftigten durch die Senkung der Pufferstunden von 16 auf 8 Stunden an. „Damit erreichen wir den Großteil der Beschäftigten“, sagt Marschitz. Der SWÖ zufolge ist jedoch die Teilzeitquote geringer als von den Gewerkschaften angegeben: 64% der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft würden in Teilzeit arbeiten.

Verlängerung des Pflegezuschuss-Zusatz-KV

Die Anzahl der Beschäftigten, die von den Änderungen im KV Sozialwirtschaft betroffen sind, unterscheidet sich ebenfalls von den Zahlen der Gewerkschaft: Betroffen sind laut SWÖ – mit über 590 Mitgliedsorganisationen der größte freiwillige Dachverband von Sozial- und Gesundheitsunternehmen in Österreich – 110.000 Beschäftigte in mehr als 100 verschiedenen Berufsgruppen.

Was den Pflegezuschuss-Zusatz-KV betrifft, informiert Marschitz: „Da es zu keiner Änderung der Anspruchsvoraussetzungen durch die kürzlich beschlossene Pflegereform kam und auch die Bereitschaft der Länder zu einer zusätzlichen Finanzierung fehlt, gab es in diesem Punkt bei den Verhandlungen keinen wirklichen Spielraum für die Sozialpartner.“ Daher sei eine Verlängerung des bestehenden Zusatz-KV bis 31.12.2024 in Aussicht genommen worden, sobald das Parlament das Pflegefondsgesetz beschließt.

Dank an die Beschäftigten

Die Gewerkschaften hoben ihrerseits noch den Rückhalt durch die Beschäftigten hervor. „Dieser Abschluss war nur durch unseren Zusammenhalt machbar. Wir bedanken uns bei allen, die an den Betriebsversammlungen teilgenommen und so den Druck verstärkt haben“, so Guglberger. Gleichzeitig sei dieser Abschluss der „Beweis, dass die Sozialpartnerschaft in unserer Branche funktioniert“. Auch Scherz bekräftigt: „Vielen Dank an alle, die unseren Weg begleitet haben und die uns unterstützt haben.“

Die Einigung auf einen Blick

  • Erhöhung der Löhne und Gehälter (IST-Einkommen und Mindesteinkommen) sowie Zulagen und Zuschläge um 9,2%
  • Neuer Mindestlohn von 2.067,40 Euro
  • Höhere Bezahlung während der Nachtbereitschaft
  • Erhöhung des Zuschlages für Einspringen um 15% sowie häufigere Anwendung
  • Verbesserung der Regelung für den Anspruch auf Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulage (SEG-Zulage)
  • Verbesserung der Anerkennung ausländischer Ausbildungen
  • Verbesserte Anrechnung bestimmter Vordienstzeiten (volle Anrechnung von facheinschlägigen Vordienstzeiten beim gleichen Arbeitgeber)
  • Reduktion der „Pufferstunden“: Zuschläge auf Mehrarbeitsstunden kommen bereits ab 8 Stunden (statt bisher 16) zu tragen