EU-Parlament forciert weniger schädliche Alternativen zur Zigarette
Das EU-Parlament befürwortet den Einsatz von elektronischen Zigaretten und Tabakerhitzern bei der Rauchentwöhnung. Einige Studien sprechen dafür, das Prinzip der Risikominimierung findet sich in der einschlägigen Leitlinie derzeit aber nicht.
Der Kampf gegen den Krebs ist aktuell ein Schwerpunkt in der Europäischen Union. Nun hat das EU-Parlament Empfehlungen für eine umfassende und koordinierte Strategie zur Krebsbekämpfung beschlossen. Dabei haben die EU-Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit in einer durchaus umstrittenen Frage Stellung bezogen: der sogenannten „Harm Reduction“. Das EU-Parlament vertritt nämlich die Ansicht, dass elektronische Zigaretten, Tabakerhitzer und andere neuartige Tabakerzeugnisse einigen Rauchern dabei helfen könnten, schrittweise mit dem Rauchen aufzuhören, und fordert die EU-Kommission auf, die Risiken, die sich aus der Verwendung dieser Produkte im Vergleich zum Konsum anderer Tabakerzeugnisse ergeben, neu zu bewerten. Zugleich fordern die Abgeordneten ein Verbot von charakteristischen Aromen in E-Zigaretten, um diese Produkte nicht für Minderjährige und Nichtraucher attraktiv zu machen.
Darstellung des Schadenspotenzials unterschiedlicher Nikotinprodukte auf einem Kontinuum. Rot hervorgehoben sind Rauchwaren, die eine besonders hohe Toxizität aufweisen.
Adaptiert nach Nutt DJ et al. Eur Addict Res 2014;20:218–25 und Abrams DB et al. Annu Rev Public Health 2018;39:193–213
Eine Strategie für schwere Raucher
„Natürlich wäre es am besten, wenn niemand mehr rauchen würde“, meint dazu Dr. Peter Liese, der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP): Schwere Raucher könnten aber leichter von der Zigarette wegkommen, wenn sie E-Zigaretten oder Tabakerhitzer (Heat-not-burn-Produkte) nutzen. „Diese sind sehr viel weniger schädlich als die tabakhaltige Zigarette oder andere Tabakprodukte“, bekräftigt der deutsche EU-Parlamentarier. E-Zigaretten und ähnliche Produkte würden zwar Nikotin enthalten, seien aber nicht im gleichen Maße schädlich wie die herkömmlichen Zigaretten. „Wenn schwere Raucher von Zigaretten auf solche Produkte umsteigen, dann reduziert sich deren Krebsrisiko.“
Abbruchquoten geringer als bei Standard-Entwöhnung
Im Sinne der Schadensminderung sei es tatsächlich vernünftig, auf Ersatzprodukte zu setzen, anstatt die sofortige und totale Nikotinabstinenz erzwingen zu wollen, meint auch Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences – wobei er sich stellvertretend auf E-Zigaretten bezieht.1 So könnten sich Therapeut und Patient darauf fokussieren, zunächst die Aufnahme schädlicher Stoffe über den Tabakrauch zu verringern. Das Beibehalten liebgewonnener Rituale, die vertraute Handhabung und die Gemeinsamkeiten der herkömmlichen Tabakerzeugnisse und elektronischen Zigaretten erleichtern den Rauchern den Umstieg, reduzieren Entzugserscheinungen und führen zu geringeren Abbruchquoten als etablierte Entwöhnungstherapien.
Genau diese Ähnlichkeiten können jedoch bei vielen den endgültigen Ausstieg hinauszögern oder gar verhindern, gibt der Autor zu bedenken: Rund 80 Prozent der Nikotinabhängigen dampfen nach einem Jahr noch immer E-Zigaretten und erreichen keine vollständige Karenz. Das habe – insbesondere bei fortgesetztem Gebrauch – gesundheitliche Folgen über die Nikotinaufnahme hinaus, betont der Experte. Schließlich enthält der inhalierte Dampf aus den E-Zigaretten gleichfalls Schadstoffe.
Einige Studien zeigen, dass die E-Zigaretten die Rauchentwöhnung ähnlich effektiv begleiten können wie eine Nikotinersatztherapie mit Pflaster, Kaugummi oder Spray, erklärt Stöver. Auch das Ausmaß möglicher Nebenwirkungen sei vergleichbar. Die elektronischen Zigaretten und die Liquids seien gut verfügbar und mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung stark präsent. Somit scheine es verständlich, dass das Dampfen in Deutschland derzeit die beliebteste Variante bei dem Versuch ist, mit dem Tabakrauchen aufzuhören.
Doppelt schädlich
Der Aspekt der Schadensminimierung gilt nicht für den parallelen Konsum von herkömmlichen Tabakprodukten und elektronischen Zigaretten. Dieser häufig betriebene Dual Use verringert zwar die absolute Menge an Tabakrauch, er beendet aber die Schadstoffaufnahme nicht. Zudem verharrt der Nikotinkonsum oft auf dem bisherigen Niveau. Die Wahrscheinlichkeit für einen dauerhaften Rauchstopp nimmt ab.
Doppelgebrauch ohne Vorteil
Allein die verminderte Exposition gegenüber den Schadstoffen sei so signifikant, dass die E-Zigarette unbedingt in Rauchstopp-Programmen Berücksichtigung finden sollte, meint Stöver. Vorteile ergäben sich allerdings erst dann, wenn der Raucher komplett von der Tabak- auf die elektronische Zigarette umsteige (siehe Kasten), der Doppelgebrauch dürfe nur eine Übergangslösung sein. Seiner Ansicht nach ist es an der Zeit, den aktuellen Kenntnisstand in puncto elektronische Zigaretten in der nächsten S3-Leitlinie zum Rauchen und zur Tabakabhängigkeit zu berücksichtigen. Das würde den Therapeuten die Möglichkeit geben, die elektronische Zigarette bei der Tabakentwöhnung zumindest in Betracht zu ziehen. Die kürzlich aktualisierte Leitlinie empfiehlt weder E-Zigaretten noch Heat-not-Burn-Produkte zur Rauchentwöhnung.2
1 Stöver H. Bundesgesundheitsbl 2021; doi: 10.1007/s00103-021-03435-5
2 Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung, AWMF-Reg.-Nr.076 - 006, awmf.org