
Strategien gegen Fatigue bei Kindern mit Krebs
Anhaltende Erschöpfungszustände bei Krebserkrankungen sind eine Tatsache, aber bisher ist die Fatigue bei Kindern und Jugendlichen wenig untersucht. Umso bemerkenswerter ist die aktuelle Studie, die unter der Leitung des Kinderonkologen Univ.-Prof. Dr. Roman Crazzolara an der Medizinischen Universität Innsbruck Patientendaten zur Fatigue ausgewertet hat.

medonline: Sie haben das Wohlbefinden der jungen Patienten untersucht. Welche Daten sind dabei eingeflossen?
Univ.-Prof. Dr. Roman Crazzolara: Insgesamt haben wir über einen Zeitraum von vier Jahren die Patientendaten von unserer Abteilung, der pädiatrischen Onkologie, ausgewertet. Wir decken ein relativ großes Einzugsgebiet ab, weil hier im Westen Österreichs jeder Patient mit Verdacht auf eine Krebserkrankung bei uns in Innsbruck diagnostiziert wird. Zu uns kommen also nicht nur Patienten aus Nordtirol, sondern auch aus Osttirol, Vorarlberg und Südtirol. Insgesamt lagen uns Daten von 11.000 Patiententagen vor.
Wie haben Sie so einen große Datenschatz über Fatigue bei Kindern in vier Jahren gesammelt? Hängt das mit der App PRO zusammen, über die wir Anfang des Jahres gesprochen haben?
Die App ist definitiv der Schlüssel für die Datensammlung. Wir haben bei uns an der Kinderonkologie Innsbruck schon seit einigen Jahren eine App, die den Patient Reported Outcome misst, kurz PRO. In dieser halten unsere Krebspatienten täglich ihr Wohlbefinden fest. Die Fatigue ist ein Aspekt des PRO-Measurement. Im Unterschied zu anderen Studien messen wir täglich. Das hat uns erlaubt, in der Feinauflösung zu sehen, zu welchem Zeitpunkt die Patienten am meisten unter körperlicher Fatigue leiden und wie sich der Verlauf während der Therapie entwickelt.

Die Übermittlung der eigenen Symptome via PRO-App ermöglicht es, die Perspektive der Kinder in die Krebsbehandlung miteinzubeziehen.
Wie entwickelt sich Fatigue bei Kindern mit Krebserkrankungen?
Fatigue ist sowohl die Folge der Erkrankung als auch eines schlechten Zustands in der Therapie. Zu Beginn sind die Patienten körperlich erschöpft. Denn die Krebserkrankung verursacht Schmerzen und schwächt den Körper. Manche Tumore minimieren die Blutbildung und sorgen für eine Blutarmut, andere Tumore sind hormonell aktiv. Dies alles führt zu einer Schwächung und zu Erschöpfungszuständen.
Mit der Therapie erreicht man relativ schnell eine deutliche Reduktion der Tumorlast. Vor allem bei kindlicher Leukämie ist dies schon innerhalb weniger Wochen der Fall. Dann kommt jedoch die therapieassoziierte Fatigue, die vor allem bei der Chemotherapie auftritt oder wenn die Patienten Cortison erhalten.
Gilt dies nur für Chemotherapie oder auch für andere Therapien?
In der Kinderonkologie arbeiten wir zum Großteil mit Chemotherapien. Dort ist die Fatigue als Nebenwirkung stark ausgeprägt. In den Fällen, in denen wir eine Immuntherapie machen, zeigt sich das Gegenteil. In diesen Phasen erholen sich die Kinder und Jugendlichen sehr gut.
Gibt es Unterschiede zwischen den Krebsarten oder sind alle Kinder mit Tumorerkrankungen von Fatigue gleichermaßen betroffen?
Tatsächlich gibt es Unterschiede. Am stärksten ausgeprägt ist die Fatigue bei der akuten myeloischen Leukämie sowie beim Non-Hodgkin-Lymphom. Dies ist auf die hohe Tumorlast und die Aggressivität dieser Tumorarten zurückzuführen.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Studie?
Wir haben bis zu eineinhalb Jahre nach der Diagnose gemessen, und die meisten Patienten erholen sich nach Abschluss der Therapie – auch von der Fatigue. Dennoch stellt sich die Frage, wie die Lebensqualität während und nach einer Krebserkrankung verbessert werden kann.
Wir haben in der Kinderonkologie eine Heilungsrate von fast 100 Prozent erreicht. Es geht also nicht mehr nur darum, ob, sondern auch, wie und mit welcher Lebensqualität die Patienten durch die Krebserkrankung kommen.
Wir haben die These, dass körperliche Fitness den Verlauf von Behandlungen verbessern kann. Dazu gibt es keine genauen Daten, und das möchten wir ändern. Unser Folgeprojekt ist ein gezieltes Kraft- und Koordinationstraining, um Fatigue „wegzutrainieren“.
Sport als Nachsorge zu Krebserkrankungen boomt momentan stark, auch im Erwachsenenbereich. Was ist das Faszinierende an diesem Ansatz?
Die Schulmedizin gibt vieles vor, wo man keine andere Wahl hat. Viele Eltern und Patienten möchten aber darüber hinaus etwas tun. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie Ernährung oder Sport. Sport könnte hier tatsächlich ein Schlüssel zu mehr Lebensqualität sein. Kinder in einer guten körperlichen Verfassung sind entspannter, besser essen, haben weniger weitere Komplikationen und sind psychisch gestärkt.
Wie wird die Sport-Studie aufgebaut? Wer macht mit?
Fix dabei sind schon die Uniklinik für Kinder- und Jugendonkologie Salzburg und das neuroonkologische Institut am AKH Wien. Wir arbeiten aktuell daran, die App fit für die anderen Zentren zu machen. Im Jänner 2026 werden wir pilotmäßig starten.
Wie viele Patienten werden in die Studie eingeschlossen?
Es ist schon gedacht, die Studie breit auszurollen. Denn die PRO-Messung ist patientenübergreifend wichtig. Wir in Innsbruck stellen aktuell rund 20 Prozent der pädiatrischen Krebspatienten in Österreich. Jedes weitere Zentrum erhöht diese Zahl – aktuell sind wir bei rund 40 Prozent der Patienten. Das ist schon eine gute Datenbasis.
Danke für das Gespräch.
Über die Studie
Ein Team um Roman Crazzolara von der Universitätsklinik für Pädiatrie I hat auf Basis der Innsbrucker ePROtect-Studie Daten aus einer Zeitspanne von vier Jahren systematisch ausgewertet.
Dafür wurden im Zeitraum Mai 2020 bis Dezember 2024 regelmäßig Symptome erhoben, die direkt von an Krebs erkrankten Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre – je nach Alter auch von deren Eltern – über die ePROtect-App übermittelt wurden.
Die unter der Erstautorenschaft von Alexander Tilg und in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, darunter Stefan Kuhle und Andreas Meryk, durchgeführte und von der Kinderkrebshilfe Tirol und Vorarlberg sowie der Kinderhilfe Regenbogen Südtirol unterstützte Studie "Cancer-related fatigue in children during treatment: a 5-year cohort study of daily patient-reported outcomes with clinical implications" wurde kürzlich im Lancet-Journal eClinicalMedicine veröffentlicht.
Tilg A et al., Cancer-related fatigue in children during treatment: a 5-year cohort study of daily patient-reported outcomes with clinical implications. eClinicalMedicine, Volume 90, 103607, December 2025.