21. Nov. 2017

„Wir haben sehr großen Nachholbedarf“

Foto: Alen-D/GettyImagesDie österreichische Schmerzgesellschaft hat in Kooperation mit mehreren Fach­gesellschaften ein Konzept für eine strukturierte, flächendeckende Versorgung chronischer Schmerzpatienten vorgelegt und dafür entsprechende Qualitätskriterien definiert. (CliniCum 11/17)

Ein Gastkommentar von Dr. Gabriele Grögl-Aringer*

Würde vonseiten der Gesundheitspolitik endlich mit der Etablierung der seit Jahren geforderten abgestuften, flächendeckenden Versorgungseinrichtungen für Schmerzpatienten begonnen werden, so wäre dieses Konzept dafür eine hervorragende Basis. Obwohl es bereits 2008 einen ähnlichen Entwurf, der offensichtlich schubladisiert wurde, gegeben hat, ist die schmerzmedizinische Versorgung in Österreich seit Jahren weit von einer State-of-the-art-Versorgung entfernt. Erstaunlicherweise behaupten gesundheitspolitisch Verantwortliche immer wieder das Gegenteil. Es wäre interessant zu erfahren, woher die diesen Behauptungen zugrunde liegenden falschen Informationen stammen. Dieses Nichtagieren widerspricht einer existierenden Patientencharta, wo das Recht der Patienten auf eine adäquate Schmerztherapie explizit festgeschrieben ist.

Dreistufiges Versorgungskonzept

Das vor Kurzem publizierte Versorgungskonzept ist pyramidenförmig aufgebaut. Die erste Stufe der Versorgungsebenen repräsentiert der extramurale niedergelassene Bereich, wobei die primäre schmerzmedizinische Versorgung niederschwellig bei Ärzten für Allgemeinmedizin erfolgen soll. Hier müssen in kurzer Zeit Entscheidungen über die erforderliche Primärdiagnostik, die medikamentöse und nicht medikamentöse schmerzmedizinische Primärtherapie sowie über die Notwendigkeit des Einholens einer weiteren fachärztlichen Expertise oder einer sofortigen stationären Einweisung getroffen werden. Ebenso müssen Patienten mit einem Chronifizierungsrisiko erkannt und so rasch wie möglich einer psychologisch-psychiatrischen Begutachtung und Therapie zugeführt werden. Konsensuell erarbeitete schmerztherapeutische Behandlungsalgorithmen stellen die Grundlage einer qualitativ hochwertigen schmerzmedizinischen Basisversorgung dar.

In diesen Behandlungskonzepten sollen die Kriterien für die Erstdiagnostik und Erstbehandlung ebenso beschrieben werden wie die Kriterien der zeitgerechten Weiterleitung in die nächste Versorgungsebene bei ausbleibendem Behandlungserfolg. Die Österreichische Schmerzgesellschaft hat einen derartigen Versorgungsplan für die Volkskrankheit Rückenschmerz initiiert, mit dessen Publikation in einigen Wochen gerechnet werden kann. Zur Gewährleistung einer extramuralen, multimodalen und interdisziplinären schmerzmedizinischen Versorgung müssen entsprechend strukturierte Netzwerke zwischen Hausärzten, Fachärzten und nicht ärztlichen Berufen wie beispielsweise Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychotherapeuten und diplomiertem Pflegepersonal zur Verfügung stehen. Die Kostenfrage muss geklärt sein, und schmerzmedizinische Leistungen müssen in den Honorarkatalogen aufscheinen und abrechenbar sein.

Schmerzambulanzen

Die zweite Stufe der Versorgungspyramide bilden Schmerzambulanzen. Hier erfolgt die Behandlung von Patienten, die entweder schon primär nicht für die erste Versorgungsebene geeignet sind oder innerhalb eines definierten Zeitfensters auf der ersten Versorgungsstufe nicht zufriedenstellend therapiert werden können. Leider ist es in jüngster Vergangenheit zur Schließung vieler Schmerzambulanzen gekommen. Die Verbliebenen müssen die hohe Nachfrage bei gleichbleibenden personellen und zeitlichen Kapazitäten ausgleichen. Konsequenz sind zunehmende, derzeit bereits drei bis vier Monate betragende Wartezeiten auf eine Erstbegutachtung. Diese Erstuntersuchung ist sehr zeitaufwendig und dauert inklusive ausführlichem Gespräch und Sichtung der Befunde 90 bis 120 Minuten.

Spezialisierte Zentren

Die dritte Stufe der Versorgungspyramide stellt eine stationäre oder tagesklinische Versorgung in spezialisierten Zentren dar. Da es gegenwärtig nur eine einzige schmerzmedizinische Tagesklinik in Klagenfurt gibt, ist diese Versorgungsebene de facto als so gut wie nicht existent zu bezeichnen. Derzeit sind ca. 1,8 Millionen Öster­rei-cher von chronischen Schmerzen betroffen. Etwa vier bis fünf Prozent davon bräuchten erfahrungsgemäß eine intensive schmerzmedizinische tagesklinische oder stationäre Betreuung.

Schmerzmedizin als Pflichtfach etablieren

Die besten Versorgungsstrukturen nützen am Ende nichts, wenn es keine fundierte schmerzmedizinische Ausbildung gibt. Hier haben wir in Österreich sehr großen Nachholbedarf. An keiner einzigen medizinischen Universität in Österreich wird Schmerzmedizin als Pflichtfach unterrichtet und geprüft, wie beispielsweise in Deutschland. Es ist ein zentrales Anliegen der Österreichischen Schmerzgesellschaft, Schmerzmedizin als Querschnittfach in das Medizinstudium zu integrieren. Die Spezialisierung „Schmerzmedizin“ ist diesen Sommer unverständlicherweise von der Österreichischen Ärztekammer abgelehnt worden. Eine schmerzmedizinische Ausbildung wird derzeit erst postgraduell auf freiwilliger Basis in Form des ÖÄK-Diploms „Spezielle Schmerztherapie“ angeboten. Das ist definitiv nicht ausreichend.

* OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer, Schmerzambulanz der Krankenanstalt Rudolfstiftung, Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft