17. Dez. 2020ÖDG 2020 Keynote Lecture

Glukagon im Fokus

Die bei Typ-2-Diabetes beobachtete Nüchtern-Hyperglukagonämie soll nach neuesten Erkenntnissen nicht auf eine pankreatische Resistenz, sondern auf eine hepatische Steatose zurückzuführen sein. Auch die Rolle des Gastrointestinaltrakts bei Hyperglukagonämie wird neu beleuchtet.

Schlecht gestorbenes und nichtalkoholisches Konzept der Fettlebererkrankung mit Leber- und Zuckerwürfeln. Nafld wird durch hohe Fructosespiegel in der Leber verursacht, die zu Leberzirrhose und Diabetes führen können
iStock/Moussa81

Glukagon ist als Gegenspieler von Insulin gut bekannt, der Schwerpunkt in der Diabetologie liegt aber meist eindeutig auf Insulin – auch 100 Jahre nach der Entdeckung der Hormone, so Dr. Filip Knop, Leiter des Zentrums für Diabetesforschung an der Universität Kopenhagen. Der dänische Internist sieht es als seinen Auftrag an, „das ärztliche Interesse an der Bedeutung des Glukagons zu stärken“.

Bedeutung des Glukagons

Die essenzielle Rolle des Glukagons bei Typ-2-Diabetes (T2D) sieht Dr. Knop anhand der folgenden Beobachtungen als gegeben an:

  • Glukagon ist die wichtigste physiologische Schutzmaßnahme gegen Hypoglykämie. 
  • Viele Antidiabetika beeinflussen die Glukagonsekretion: So werden beispielsweise 50 Prozent der glukosesenkenden Wirkung von GLP-1-Rezeptoragonisten durch Hemmung der Glukagonsekretion vermittelt.
  • Die Hyperglukagonämie ist für 50 Prozent des hyperglykämischen Status bei T2D verantwortlich.
  • Das Blockieren der Glukagonwirkung mit einem Glukagonrezeptor-Agonisten verbessert bei T2D-Patienten die HbA1c-Werte.

Neues Erklärungsmodell der Hyperglukagonämie

Die bei T2D beobachtete Nüchtern-Hyperglukagonämie (typischerweise ungefähr 75%) wurde bislang auf eine α-Zell-Resistenz gegen die Glukagon-supprimierenden Effekte von Glukose und Insulin sowie auf eine gestörte Insulinsekretion zurückgeführt, berichtet Filip Knop weiter. Neueste Erkenntnisse stellen dieses Erklärungsmodell jedoch zunehmend infrage: „Wir gehen mittlerweile davon aus, dass sich die T2D Nüchtern-Hyperglukagonämie aufgrund einer hepatischen Steatose entwickelt.“

Denn bereits 2012 wurde festgestellt, dass eine Nüchtern-Hyperglukagonämie sowohl bei adipösen Diabetikern als auch bei adipösen Nicht-Diabetikern auftritt, aber nicht bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern mit normalem Körpergewicht.1 In einer weiteren Studie zeigte sich erstens eine Assoziation zwischen Nüchtern-Hyperglukagonämie und nicht-alkoholischer Fettleber (NAFLD) (sowohl bei Diabetikern als auch bei Nicht-Diabetikern) und zweitens eine Korrelation zwischen NAFLD und Nüchtern-Aminosäurewerten, wobei vor allem Aminosäuren mit bekannten glukagonotropen Effekten wie Glutamin und Alanin erhöht waren.2 Damit war der Pfad frei für die Erstellung einer weiteren Hypothese: Glukagon und Aminosäuren sind über einen gemeinsamen Feedback-Mechanismus verbunden, den Dr. Knop und sein Team die „Leber – α-Zell-Achse“ nannten.3

Die Leber – α-Zell-Achse

Die Rolle dieser Achse in der Steatose-induzierten Hyperglukagonämie wird folgendermaßen erklärt: „Normalerweise wird Glukagon von pankreatischen α-Zellen ausgeschüttet und stimuliert dann die Ureagenese in der Leber, was die Aminosäurewerte senkt und in einem Feedback die α-Zellen hemmt. Bei Steatose hingegen wird die Leber resistent gegen Glukagon, die Ureagenese wird gehemmt, damit steigen die Aminosäurewerte, die nun die α-Zellen stimulieren, mehr Glukagon zu produzieren“, so Filip Knop. In einer genetischen Studie wurde mittlerweile bestätigt, dass bei NAFLD der Metabolismus von Aminosäuren gehemmt ist und verschiedene Aminosäure-Transporter sowie ein Schlüsselregulator der Ureagenese herunterreguliert sind.4

Neben der Leber soll nach neuesten Erkenntnissen übrigens auch der Gastrointestinaltrakt bei der Hyperglukagonämie von Diabetikern eine Rolle spielen: „Wir wissen, dass auch pankreatektomierte Patienten nach oraler Glukosebelastung Glukagon ausschütten. Neue Studien haben nun auch spezifische Prohormon-Convertasen (PC)-2-positive Zellen im Dünndarm von T2D-Patienten nachgewiesen, und diese Enzyme sind für die Verarbeitung von Proglukagon zu Glukagon verantwortlich“, erklärt der dänische Experte. Dieses ‚gut-derived‘ Glukagon könnte in der Zukunft ein weiteres Behandlungsziel bei T2D darstellen.

Referenzen:
  1. Knop F et al., Diabetes, Obesity and Metabolism 2012; 14:500–510
  2. Junker AE et al., Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol 2018; 314:G91–G96
  3. Holst JJ et al., Diabetes 2017; 66:235–240
  4. Eriksen PL et al., Liver Int 2019; 39:2094–2101