8. Mai 2017

Hauptverband: Neuer Chef, alte Probleme

Die Vorsitzenden kommen und gehen, der Reformstau aber bleibt. Ist die Führung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger gar eine „Mission Impossible“? MT traf einen, der das wissen müsste. (Medical Tribune 18/2017)

Alexander Biach (r.) ist bereits der fünfte HV-Chef seit 2005 (v.l.: Erich Laminger, Hans Jörg Schelling, Peter McDonald und Ulrike Rabmer-Koller).
Alexander Biach (r.) ist bereits der fünfte HV-Chef seit 2005 (v.l.: Erich Laminger, Hans Jörg Schelling, Peter McDonald und Ulrike Rabmer-Koller).

Die Würfel sind gefallen: Alexander Biach wird aller Voraussicht nach der neue Chef im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Eine weitere Hürde vor seiner Wahl hat er jedenfalls genommen: Die Trägerkonferenz hat den stellvertretenden Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und stellvertretenden Direktor der Wiener Wirtschaftskammer einstimmig in den Vorstand entsandt. Biach ist damit eines von zwölf Mitgliedern im Verbandsvorstand des Hauptverbandes und damit Nachfolger von Ulrike Rabmer-Koller. Er kann nun in diesem Gremium zum Vorsitzenden gewählt werden. Die nächste reguläre Sitzung, wo dies stattfinden kann, ist für 9. Mai angesetzt.

Nebengeräusche

Unterdessen wird immer noch heftig diskutiert und über die Begleit­umstände von Rabmer-Kollers überraschendem Rücktritt spekuliert. Sie hatte diesen mit mangelndem Reformwillen seitens der Politik begründet. Freilich meldeten sich zuletzt auch Kritiker zu Wort, die der Unternehmerin selbst die Schuld geben und mangelndes politisches Geschick vorwerfen. „Gesundheitspolitik ist Knochenarbeit, das kann man nicht einfach wie in einem Unternehmen delegieren“, sagte etwa der Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“. Rabmer-Koller wird vorgeworfen, sie habe sich wenig um interne Abstimmungen gekümmert.

All das lässt tief blicken. Das gilt auch für die Vorgänge rund um die Lösung zur CT/MRT-Wartezeitenproblematik, die am 29.3. der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Rabmer-Koller begründet ihren Rücktritt u.a. auch damit, dass die WGKK diese Lösung (die Deckelungen sind gefallen) nicht akzeptieren wollte und „nach der Zustimmung“ sogar noch mit einer Klage gedroht habe. Auf MT-Anfrage beharrt die WGKK jedoch auf ihrer Version: „Wir haben dem Ergebnis bei den Wartezeiten auf CT/MRT-Verhandlungen nie zugestimmt.“ Das Ergebnis hätten der HV und die Wirtschaftskammer Österreich erzielt. „Wir waren nicht in die Verhandlungen eingebunden. Von dem Ergebnis haben wir im Wesentlichen zeitgleich mit der Pressekonferenz erfahren“, beklagen die Wiener.

Kommunikationsprobleme mit der WGKK wird der neue Hauptverbands-Chef, der aus dieser kommt, nicht haben. Biach wurde bereits einen Tag nach Rabmer-Kollers Rücktritt vom Wirtschaftsbund als Nachfolger nominiert. Bemerkenswert ist die fast zeitliche Koinzidenz mit der Präsentation des Zielsteuerungsvertrags bzw. Fahrplans Gesundheit am 24.4. durch Gesundheitsministerium, Länder und Sozialversicherung bis 2021. Den großen Wurf sieht derweil kaum jemand. „Wir brauchen dringend Strukturreformen“, sagte kürzlich auch Dr. Christoph Eder vom Pharmakonzern Amgen (siehe Seite 8). Die Kostenexplosion im Gesundheitsbereich sei vor allem auf strukturelle Mängel zurückzuführen: „Auf Dauer wird sich das nicht ausgehen.“ Der Rücktritt Rabmer-Kollers war laut Eder „ein klares Statement“.

Déjà-vu

Tatsächlich gibt es in Bezug auf die Reformnotwendigkeit einen breiten Konsens so gut wie aller Beteiligten. Allein, es hapert in der Umsetzung. Im MT-Archiv fanden wir ein Interview mit Dr. Erich Laminger, einem der Vorgänger Rabmer-Kollers, das sich liest, als wäre es aktuell: „Wir müssen konkret wissen, was warum passiert und wo eine Effizienzsteigerung möglich ist“, sagte Laminger bereits im Februar 2008 und sprach sich für tiefgreifende Strukturreformen aus. Passiert ist bis heute, und nach dem Wirken zweier weiterer HV-Chefs (Hans Jörg Schelling und Peter McDonald) dazwischen, relativ wenig.

Strukturreformen und die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten und Ineffizienzen waren auch Rabmer-Kollers Forderung. Nun, neun Jahre später und unmittelbar nach dem Rücktritt der HV-Chefin, traf MT Laminger erneut, um seine Einschätzung der aktuellen Situation zu hören. Für eine „Mission Impossible“ hält Laminger den Job an der Spitze des HV nicht. Es sei aber ein „Full­time-Job“. Er vergleicht den HV mit einem Riesenkreuzer: „Der Kapitän eines großen Schiffs steuert in Wahrheit nicht selbst, sondern er muss es schaffen, sein Team an den Hebeln in die gewünschte Richtung koordiniert in Bewegung zu halten.“ Oder kürzer ausgedrückt: „Man muss Trägheit bewegen lernen.“

Dotierungsproblematik

Warum er im Herbst 2008 nicht mehr für eine weitere Funktionsperiode angetreten sei? „Im Vorfeld zeichnete sich eine Situation ab, in der ich um die Funktion hätte kämpfen müssen“, so Laminger. Seine aktuelle Diagnose: „Es gibt eine Dotierungsproblematik im allgemeinmedizinischen Bereich.“ Er wollte seinerzeit eine Finanzierung aus einer Hand: bundeseinheitliche Tarife für alle Leistungen, inklusive in den Spitälern. Den Fahrplan Gesundheit  (s. Kasten) sieht Laminger kritisch, zumal ihm wesentliche Partner bei der Zielsteuerung fehlen: die Ärzte.

Fahrplan Gesundheit für fünf Jahre fixiert
Sozialversicherung und Länder haben sich gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium auf das grundlegende Arbeitsprogramm bis 2021 geeinigt. In einem Zielsteuerungsvertrag wurden zahlreiche Verbesserungen für das Gesundheitssystem festgeschrieben. Neben der raschen Umsetzung der Primärversorgungsmodelle ist die Weiterentwicklung der fachärztlichen Versorgung ein wichtiges Thema auf der Agenda. „Ich möchte mich bei allen Beteiligten für das gute Ergebnis bedanken. Wir haben damit wesentliche Kernbereiche in der Gesundheitspolitik definiert und wollen mit der Umsetzung so rasch wie möglich beginnen“, sagte Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner. (APA)

Ein aktuelles Interview mit Dr. Laminger  lesen Sie auf  medonline.at.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune