“Liquid biopsy” erkennt Resistenzen

GRAZ – Eines der charakteristischen Merkmale von Karzinomen ist die Instabilität ihres Genoms. Nicht zuletzt unter dem Selektionsdruck der verabreichten Therapien treten Änderungen im Erbgut auf, die zur Entwicklung von Resistenzen führen und die Progredienz der Erkrankung fördern. Bisher konnte die Evolution des Tumorgenoms nur durch Biopsien des Primärtumors und seiner Metastasen überwacht werden. In Zukunft könnten regelmäßige Blutkontrollen die aufwendige Entnahme von Gewebeproben ersetzen und Veränderungen im Tumorgeschehen wesentlich rascher und schonender nachweisen.

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Prof. Michael Speicher, Rektor Prof. Josef Smolle, Prof. Gernot Brunner, Prof. Hellmut Samonigg (v.l.n.r.) berichteten über das Potenzial der „liquid biopsy“ für die Diagnostik und die Verlaufskontrolle von Krebserkrankungen.

Karzinome sind extrem komplexe Erkrankungen, die nur dann optimal behandelt werden können, wenn Experten verschiedener Spezialgebiete eng zusammenarbeiten. Onkologische Einzelkämpfer wurden daher in den letzten Jahren überall von Tumorboards, in denen Onkologen, Operateure, Pathologen und Radiologen gemeinsam Behandlungspfade festlegen, abgelöst. Am LKH-Universitätsklinikum Graz geht die Zusammenarbeit noch einen Schritt weiter: Im 2013 gegründeten Comprehensive Cancer Center (CCC) sollen nicht nur alle verfügbaren Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten gebündelt, sondern auch die Forschungsaktivitäten koordiniert und das notwendige Fachwissen vermittelt werden.

„Wir haben es mit einer weit höheren Diversifizierung von Tumoren zu tun, als wir uns das jemals gedacht haben“, umschreibt Univ.- Prof. Dr. Hellmut Samonigg, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, und Sprecher des CCC Graz, eine der großen Herausforderungen der modernen Onkologie. Grenzen verschwimmen und statt Tumorentitäten im klassischen Sinn werden immer mehr Subtypen mit ganz spezifischen Rezeptoren und Biomarkern unterschieden. Die zunehmende Heterogenität der Diagnosen erfordert auch immer individuellere Behandlungsstrategien. Die Onkologie entwickelt sich daher immer mehr zu einer personalisierten Medizin.

Nichtinvasive „Biopsie“

Zu den wichtigen Erkenntnissen der letzten Jahre gehört aber auch, dass die Tumoren selbst sehr heterogen sind und sich im Verlauf der Erkrankung verändern. „Ein Medikament, auf das der Primärtumor gut anspricht, muss nicht auch bei Metastasen gleich gut wirken“, so Prof. Samonigg. Die einzige Möglichkeit, diese Veränderungen des Tumorgenoms über die Zeit zu untersuchen, bestand bisher darin, Gewebeproben aus den Metastasen zu entnehmen. „Das ist auf Dauer aber kein vernünftiges Konzept, weil ständige Biopsien für den Patienten inakzeptabel sind.“ Ein weiteres Problem von Biopsien ist, dass es sich immer nur um kleine Stichproben handelt, die nicht unbedingt repräsentativ für die Tumorentwicklung sein müssen. Grazer Wissenschaftler glauben nun, einen Großteil der Biopsien in absehbarer Zeit durch eine einfache Blutabnahme ersetzen zu können. Das neue nichtinvasive Diagnoseverfahren basiert auf der Sequenzierung von Tumor-DNA-Fragmenten, die aus dem Blut isoliert werden.

„Jeder Mensch hat solche DNA-Schnipsel im Blut, die von absterbenden Zellen stammen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Michael Speicher, Leiter des Instituts für Humangenetik, Med Uni Graz. „Bei Krebspatienten findet man zusätzlich noch DNA-Schnipsel aus dem Tumorgenom.“ Begünstigt wird die Analyse durch die hohe Umsatzrate schnell wachsender Tumoren, die durch Botenstoffe dafür sorgen, dass sie mit neuen Blutgefäßen versorgt werden. Nach der Isolierung der Erbgut- Fragmente aus dem Blut werden diese mit Hochdurchsatzverfahren sequenziert. Die neuen Techniken ermöglichen es heute, Tumorfragmente in sehr kurzer Zeit zu identifizieren, zu sequenzieren und daraus das Tumorgenom zu rekonstruieren. Wenn diese Analyse in bestimmten Abständen wiederholt wird, können damit Veränderungen im Tumorgenom frühzeitig nachgewiesen werden – in der Regel noch bevor die Resistenzsituation klinisch manifest wird.

Findet man eine neue Mutation, von der schon bekannt ist, dass sie mit einer Resistenz assoziiert ist, ist das ein Hinweis, dass die Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr wirksam ist. „Im Schnitt untersuchen wir die Patienten alle drei Monate“, so der Humangenetiker. „Wenn sich am klinischen Verlauf etwas ändert oder es dem Patienten nicht gut geht, nehmen wir auch früher Blut ab.“

Hightech kann Medizin sanfter machen

Für Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle, Rektor der Medizinischen Universität Graz, ist die „liquid biopsy“ ein gutes Beispiel dafür, dass die Hightech-Forschung die Medizin nicht nur effizienter, sondern auch sanfter macht: „Zum einen kann vielen Patienten damit der operative Eingriff der Gewebsentnahme erspart werden, zum anderen können nach der Analyse des Tumorgenoms unter Umständen auch Medikamente weggelassen werden, die sonst Nebenwirkungen hätten.“ Noch ist die „liquid biopsy“ allerdings keine Routineanalyse. Derzeit laufen klinische Studien bei vier Tumorentitäten: Untersucht werden metastasierte Prostatakarzinome (bisher 200 Patienten), kolorektale Karzinome (150), Mammakarzinome (100) und Lungenkarzinome (10).

„Bei metastasierten Patienten haben wir schon eine sehr hohe Erfolgsrate und können das Tumorgenom in weit über 90 Prozent der Fälle rekonstruieren.“ Prof. Speicher geht aber davon aus, dass die Methode prinzipiell bei jedem malignen Tumor einsetzbar ist. „Theoretisch müsste es auch möglich sein, die ,liquid biopsy‘ für die Früherkennung von Krebs zu verwenden. Wir arbeiten auch an entsprechenden Verfahren. Das Problem dabei ist allerdings, dass ein Tumor im Anfangsstadium noch sehr klein ist und viel weniger DNA in die Blutbahn abgibt. Wir brauchen daher für die Früherkennung Verfahren, die noch eine deutlich höhere Sensitivität haben.“

Pressegespräch „Zukunft der Krebstherapie durch personalisierte Medizin – Erfolge am Comprehensive Cancer Center (CCC) des LKHUniv. Klinikum Graz“; Graz, März 2014

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune