4. Nov. 2020COVID-19-Pandemie

Hoffnung: Impfstoffe und Penninger-Arznei vor der Tür

Wie das erste Weihnachten in der Corona-Pandemie ausschauen wird, kann niemand sagen. Doch das Christkindl dürfte die ersten Wirkstoff-Daten zu „APN01“ bringen – das hofft jedenfalls Miterfinder Josef Penninger. Danach werde sich das von ihm mitbegründete Biotech-Unternehmen Apeiron Biologics AG mit Sitz in Wien um eine Schnellzulassung bemühen, sagt der berühmte Genetiker auf einem Symposium der Pharmig Academy. Auch an der Front streng geprüfter Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 herrscht Zuversicht: Zu Jahreswechsel dürften die ersten Impfdosen in der EU zur Verfügung stehen. ÖGB-Chef Wolfgang Katzian ortet aber Bedarf für „niederschwellige Informationen“ zur Sicherheit der Impfstoffe.

Weißer Weihnachtsengel über dunkelblauem Hintergrund. Winterferien, Grußkarte, Einladungskonzept
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Ein pochendes Fliegenherz. Es war vor 22 Jahren, als der gebürtige Innviertler aus Oberösterreich an einem bestimmten Enzym, dem ACE2, zu forschen begann. Wenige Jahre später der erste SARS-Ausbruch: „Ich war live dabei, in Toronto, das war Epizentrum des Ausbruchs außerhalb Chinas“, erzählt Josef Penninger, heute Leiter des Life Sciences Institute (LSI) der University of British Columbia in Vancouver, Kanada. Insgesamt dauerte der Ausbruch von Oktober 2002 bis Juli 2003, weltweit hatten sich 8.000 Menschen angesteckt, davon sind zirka 800 gestorben. Infolge dieser Erlebnisse entwickelte er mit Kollegen ein biotechnologisch hergestelltes rekombinantes Angiotensin Converting Enzyme 2 (rhACE2), das den Namen „APN01“ erhielt.

Die Jahre vergingen, das Prinzip ist geblieben und sollte bei der SARS-CoV-2-Pandemie ein Revival erfahren: Der Medikamenten-Kandidat APN01 besetzt einfach die Andockstellen – ACE2 – von SARS-CoV-2, blockiert also die „Tür“ für das Virus (siehe auch Interview am 25.03.2020 mit Apeiron-CEO Peter Llewellyn-Davies).

„Wir werden jetzt tausendmal zitiert, vor 15 Jahren hat das niemanden interessiert“, blickt der Professor, der am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien noch ein Labor führt, auf so manche Mühen der Ebene zurück. Dabei sei es der „rationalste“ Ansatz überhaupt, erklärt er seine Zuversicht im Vorfeld des von der Pharmig Academy veranstalteten Health-Care-Symposiums „Pharma facing the future: Let’s create the new normal“ am 02.11.2020. Die Pharmig Academy ist das Aus- und Weiterbildungsinstitut der Pharmig, des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs.

APN01-Studie um Russland erweitert

Warum es dennoch nach so einer langen Vorlaufzeit so viele Monate dauere, erklärte Penninger so: „Es ist ganz wichtig, dass man saubere Studien macht.“ Zudem sei eine geplante Studie in Spanien abgelehnt worden. Denn dort hatte man auf das Malaria-Medikament Chloroquin gesetzt, das jedoch bekanntlich nicht den gewünschten Effekt brachte. Derzeit laufe zu APN01 eine Phase-II-b-Doppelblindstudie mit rund 200 Patienten in Österreich, Deutschland und Dänemark – und nun auch Russland, wo man momentan Patienten mit „nachjustierten“ Einschlusskriterien rekrutiere.

Diese seien tatsächlich zu strikt gewesen, wie Penninger auf medonline-Nachfrage offen einräumt. Anfangs seien nur schwer an COVID-19 erkrankte Patienten mit einem bestimmten Körpergewicht eingeschlossen worden, um statistisch bessere Aussagen treffen zu können. „Wenn alles gut geht, sollten wir eventuell zu Weihnachten wissen, wie die Datenlage ist“, sagt Penninger, danach werde man sich um eine Notzulassung bemühen. Der nächste angedachte Schritt sei, APN01 auch bei milderen Verläufen einzusetzen, was in Modellorganismen bereits erprobt werde.

Auch Jüngere auf der Intensivstation

APN01 soll auch für Kinder geeignet sein, obwohl diese weniger ACE2-Rezeptoren auf der Rachenschleimhaut haben. Denn um eine Erkrankung auszulösen, müsse das Virus jedenfalls an das ACE2 binden. Ob deswegen die Krankheit bei Kindern häufiger mild verlaufe, habe man noch nicht herausgefunden. Zum Thema Altersgruppen stellte er klar, dass nicht „nur“ Ältere betroffen seien. Er höre jetzt auch „von Klinikern, dass mehr und mehr Patienten auf der Intensivstation landen, die erst 40 Jahre alt sind“. Das heißt, es könne auch jüngere Leute treffen und sogar Kinder, die schwer erkranken.

Das Heimtückische im Gegensatz zum ersten SARS-Virus sei, das SARS-CoV-2 auch von Menschen verbreitet werden kann, die asymptomatisch sind. Das Erstaunliche an diesem Virus sei auch, dass es die Sensoren für die Sauerstoffsättigung im Blut abschalten kann, spricht Penninger die „stille Hypoxie“ an: „Das sind Leute, die schon sehr krank und ansteckend sind, aber glauben, sie sind noch gesund.“

Genetik: Erbe aus uralten Paarungen, aber auch schützende DNA

Die Medienberichte über eine Studie, die ein dreifach erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf mit notwendiger künstlicher Beatmung bei einer bestimmten Neandertaler-Gen-Variante zeigen, bestätigt Penninger: „In der Tat gibt es auf Chromosom 3 eine Gen-Region, die das Risiko erhöht, schwer an COVID-19 zu erkranken.“ Das sei anscheinend eine Gen-Region, die noch Erbinformation von Neandertalern aufweise, mit denen „wir uns vor 100.000 Jahren gepaart“ hätten.

„Aber auf Chromosom 12 gebe es eine genetische Region, die genau das Gegenteil macht, also vor schwerem COVID-19 schützt“, informiert der Genetiker. Die Gene, die das regulieren, würde man jedoch noch nicht genau kennen. Penninger weist aber auch auf andere Assoziationen hin, die schon bekannter sind: „Blutgruppe 0 schützt eher vor schwerem COVID-19 als A und B.“

Für die Prävention ist dieses genetische Wissen freilich nicht uninteressant, da die Menschen ihre Blutgruppe ja nicht ändern können bzw. sie nicht wissen, auf wen sich ihre Vormütter und Vorväter eingelassen haben. Selbst Schlanke und Gesunde können sich daher nicht in falscher Sicherheit vor SARS-CoV-2 wiegen – auch bei geringer Virusexposition.

Impfstoffe: Erste Daten Mitte/Ende November

Bei den Impfstoffen traue er sich zu wetten, dass in „zwei, drei Wochen erste sehr gute Daten herauskommen“, sagt Penninger, „auch aus politischem Druck heraus“, was er nachvollziehen könne. Als ausgebildeter Immunologe geht er zwar auch von einer Immunantwort aus. Aber die Frage sei, wie sehr diese Immunantwort schützen werde und wie oft man den Impfstoff geben müsse. Auch die Logistik stehe vor Herausforderungen, da am Ende fünf Milliarden Menschen geimpft werden müssten.

Pharmig-Vizepräsidentin MMag. Dr. Astrid Müller plädiert für „vorsichtigen Optimismus“. Zwei Impfstoffkandidaten seien im Rolling Review-Prozess der EMA und Europa entwickle jetzt einen Verteilungsplan mit den entsprechenden Staaten. Aber: „COVID wird dann nicht auf einen Schlag weg sein.“ Es gelte die Balance zwischen Hoffnung und Optimismus zu finden.

„Gute Offenheit“ in der Bevölkerung für Pharmaindustrie

Insgesamt ortet Müller einen „Pioniergeist“ in der gemeinsamen Forschung und Entwicklung und auch darin, das enorme Risiko gemeinsam zu tragen: „Es ist das erste Mal, auch in meinem Freundeskreis, dass man versteht: Wenn man gemeinsam mit der Industrie arbeitet, dann wird es einen Impfstoff geben.“ Die Produktion, die Versorgung mit Impfstoff, die Lieferkette etc. werde durch die Industrie geleistet. Es gebe jetzt eine gute Offenheit in der Bevölkerung „für gegenseitiges Verständnis, dass jeder seinen Beitrag leistet und leisten muss und nur gemeinsam können wir das lösen“.

„Die Hoffnung ist absolut berechtigt“, sagt Penninger auf konkrete Nachfrage, ob die Politik und auch Medien denn überhaupt Hoffnung auf baldige Impfstoffe und Therapeutika machen dürfen – auch als Ansporn für die Menschen zum Durchhalten der Schutzmaßnahmen wie Abstand, durchgehender Mund-Nasen-Schutz in Innenräumen und Hygiene. Aber: Man müsse die Kirche im Dorf lassen. Damals beim ersten SARS-Ausbruch habe es zehn Monate gedauert, bis das Virus unter Kontrolle war. Jetzt gebe es mehr als 47 Millionen offiziell bestätigte Infektionen. Man sei zwar „guter Hoffnung, aber es wird wahrscheinlich noch ein bisschen dauern, bis das alles bei uns ankommt“. Viren auszurotten, gelinge kaum. „Natürlich sollen wir alle durchhalten und wir werden es auch tun.“ Nachsatz: „Die beschriebenen Maßnahmen sind ganz essenziell – aus gesundheitshygienischen Gründen heraus.“

„Gute Zusammenarbeit mit Behörden“

Zuversicht versprüht auch Pharmig-Vizepräsident Prof. Dr. Robin Rumler: „Ich habe in meinen 28 Jahren in der pharmazeutischen Industrie noch nie erlebt, dass so viele Unternehmen einerseits zusammenarbeiten, andererseits so viel Energie in ihre Forschung und Entwicklung, insbesondere in die Entwicklung einer Impfung, hineinstecken. Ich habe noch nie eine so gute, großartige Zusammenarbeit mit den Behörden in Österreich, aber auch international erlebt.“

Dr. Clemens Martin Auer, Sonderbeauftragte für Gesundheit im österreichischen Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), zudem im EU-Steering Board für die Impfstoffbeschaffung, zeigt sich weiterhin „sehr optimistisch“, dass zu Jahreswechsel die ersten Impfstoffe am Markt sind und zur Verfügung stehen werden und verweist einmal mehr auf die Impfstoffbeschaffungsaktion der EU (siehe: "Corona-Impfung für alle EU-Bürger gratis"). Andere kolportierte Prognosen bezeichnet er als „überpessimistisch“. Er denke auch nicht, dass es schwierige „Verteilungskämpfe“ geben dürfte, sofern die Hersteller ihre Zusagen einhalten.

Mehr ins „Geldbörserl“, Klatschen zu wenig

Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), hob den starken Sozialstaat mit dem starken öffentlichen Gesundheitssystem hervor. Negativ sei gewesen, dass viel zu wenig Schutzausrüstung vorhanden war, da gebe es einiges zu tun für die Zukunft. „Mir ist wichtig: Hochmotivierte, engagierte Mitarbeiter brauchen auch entsprechende Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen, da ist Luft nach oben.“ Die Mitarbeiter würden sich auch mehr im „Geldbörserl“ wünschen, nicht nur „beklatscht und besungen“ zu werden.

Katzian wünscht sich „ein solidarisches und gemeinsames Bekenntnis zum öffentlichen Gesundheitssystem und auch zur Finanzierung dieses öffentlichen Gesundheitssystems“. Die höhere Arbeitslosigkeit müsse man als Gesellschaft insgesamt bekämpfen, das sei auch im Sinne einer langfristigen Finanzierung eines guten Gesundheitssystems. Es werde sicher zu Verteilungsdiskussionen kommen: „Mein Job wird es sein, darauf zu achten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht die Krot‘ fressen.“

Auch Katzian hofft auf einen möglichst raschen Impfstoff in der entsprechenden Quantität und Qualität. Die Arbeitnehmer-Seite habe sich auch schon zu einer ersten Runde mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober getroffen, um „breit aufgestellt“ zu sein, wenn der Impfstoff da ist: „Wir helfen natürlich mit auf der betrieblichen Ebene, wo es die Möglichkeit gibt, das auch entsprechend umzusetzen.“ Dazu sei man als Sozialpartner nicht nur bereit, sondern könne man auch einen wichtigen Beitrag leisten.

Angst vor „Schnellschuss“ nehmen

Allerdings brauche es eine „gute niederschwellige Information“ für die Menschen. Viele hätten Angst vor einem „Schnellschuss“ bei den Impfstoffen, weiß Katzian, und auch nicht jeder habe die Gelegenheit, Penninger live zu hören: „Wenn man möchte, dass es zu einer hohen Durchimpfungsrate kommt, dann braucht es auch Maßnahmen, um den Menschen die Angst zu nehmen.“

Die Gesundheitskrise habe zu einer Arbeitsmarktkrise geführt, man müsse schauen, dass möglichst rasch viele Menschen wieder in Arbeit kommen, weil eine lang dauernde Arbeitsmarktkrise wieder zu einer Gesundheitskrise führt. Nicht ganz einverstanden zeigte sich der ÖGB-Chef mit dem Titel der Veranstaltung: „Lassen wir uns nicht einreden, dass wir jetzt ein neues Normal haben. Ich würde mir wünschen, dass wir ein gutes, gemeinsam gestaltetes Normal haben.“

Scheinwerferlicht auf der Pharmaindustrie

Für Pharmig-Präsident Philipp von Lattorff, MBA, sind die Prioritäten ebenfalls, so schnell wie möglich Impfstoffe und Therapeutika auf den Markt zu bringen: „Wir wollen uns als Pharmaindustrie – auf die jetzt die Scheinwerfer geleuchtet haben – weiterhin als verlässlicher Partner im Gesundheitssystem präsentieren.“ Wichtig seien die Versorgung, auch innovative Produkte auf den Markt zu bringen, eine stabile Produktion und gleichzeitig das Managen von Lieferketten.