22. Mai 2024Digitalisierung der Medizin

Wie kann e-Health gelingen?

Um digitale Projekte in der Medizin zu Erfolgsgeschichten zu machen, braucht es rechtliche Rahmenbedingungen, ausreichend Finanzierung und sie müssen Benefits für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten bringen.

Person, die mit dem Arzt per Videochat auf dem Mobiltelefon chattet
Andrey Popov/AdobeStock

Bereits jetzt habe Österreich mit ELGA und der e-card eine digitale Basisstruktur, um die andere Länder uns beneiden, so Prof. Dr. Dietmar Bayer, stv. Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed). Auch die Ärztinnen und Ärzte Österreichs seien durchaus digitalaffin, betont er. Der Trend, nun alles unter dem Blick der Künstlichen Intelligenz (KI) zu sehen, bedeute allerdings sehr viel Druck auf das System und die Ärztinnen und Ärzte. „Künstliche Intelligenz kann ein Hilfssystem für Ärztinnen und Ärzte sein, aber wenn man diese Büchse der Pandora öffnet, braucht es eine Roadmap, die von den Stakeholdern abgestimmt wurde. Wir müssen uns darauf einigen, welche Digitalisierungsprojekte von wem, wann und wie eingesetzt werden“, fordert Bayer und möchte sich damit auch klar gegen „Schnellschüsse“ positionieren.

Elektronisches Impfregister als Blaupause nehmen

Um digitale Projekte zu Erfolgsgeschichten machen brauche es das, was kürzlich auf der dHealth-Konferenz als „Pre-Competitive Space“ bezeichnet wurde: „Es werden zunächst alle Systempartner an einen Tisch geholt, auch unter Einbezug der Regulationsbehörde, um Ideen vorzubringen und zu diskutieren. So kommt es bei der realen Umsetzung zu wenigen bis keinen Überraschungen“, erklärt Bayer. „Ein Projekt, bei dem bereits in der Vergangenheit so vorgegangen wurde, war das elektronische Impfregister, das unter Freigabe der finanziellen Mittel von uns Stakeholdern während der Pandemie binnen kürzester Zeit aufgebaut wurde. Heute dient dieses Register als Basis für den e-Impfpass. Wir glauben, dass das die Blaupause sein kann und muss für weitere Telemedizin-Projekte in Österreich“, zeigt sich Bayer überzeugt.

Nächstes großes Projekt sei die automatisierte Diagnoseerfassung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. In den 15a-Vereinbarungen wurde beschlossen, dass Diagnosen künftig nach ICD-10 zu codieren seien. „Das ist aus gleich zwei Gründen nicht sinnvoll: Erstens ist ICD-10 ein Auslaufmodell, das von ICD-11 abgelöst wird. Zweitens ist ICD-10 im niedergelassenen Bereich nur äußerst bedingt verwendbar“, so Bayer. Dies sei kein intelligentes System, mit dem auch Versorgungsforschung gemacht werden kann und Dashboards entwickelt werden können. „Wir haben hingegen gemeinsam mit anderen Stakeholdern die e-Diagnose entwickelt, die wir demnächst genauer vorstellen werden“, kündigt Bayer das neue Projekt an.

Orchester ohne Kapellmeister

Um digitale Lösungen umsetzen zu können, brauche es aber immer auch eine Finanzierung und eine zentrale Stelle, die die Implementierung im Regelbetrieb sicherstellt (s. Kasten). „Leider wird auch in der neuen e-Health-Strategie Österreich, die im Juni 2024 beschlossen wird, wie in den vorangegangenen Strategien das goldene Kalb nicht geschlachtet: Es wird zwar beschrieben, was sein muss und welche Standards verwendet werden müssen, aber niemand sagt, wer der Verantwortliche sein muss, damit nicht alles immer in den einzelnen Bundesländern landet. Wir haben ein hervorragendes Orchester, aber keine Kapellmeister. Wir brauchen eine nationale e-Health-Agentur, und das wird in diesen Konzepten wissentlich nicht genannt, weil man hier Föderalismus gegen Zentralismus ausspielt“, kritisiert Bayer scharf.

Digitale Transformation fordert uns

Der Leiter des Referats „e-Health in Ordinationen“ der ÖÄK und Generalsekretär der ÖGTelemed Dr. Alexander Moussa betont, dass KI und digitale Medizin die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte jedenfalls immer unterstützen und verbessern muss. So sehe man Chancen, durch telemedizinische Betreuung in jenen Regionen, in denen Kassenstellen nicht nachbesetzbar sind, zumindest temporäre Defizite ausgleichen zu können. Grundsätzlich müssen aber immer auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Sicherheit der Technologie garantiert werden, damit Ärztinnen und Ärzte mit den Lösungen arbeiten können und wollen.

„Einer unserer Leitsprüche bleibt: Nicht die digitale Medizin, sondern die digitale Transformation des Gesundheitssystems ist die große Herausforderung, die wir zu bewältigen haben“, so Moussa. „Ob e-Health zum Einsatz kommt, hängt nicht nur von der digitalen Reife des Gesundheitsdienstleisters ab, sondern auch von der Inklusion der Patientinnen und Patienten. Der Zugang zu digitalen Lösungen muss niederschwellig und barrierefrei sein und die Bevölkerung muss einen Mehrwert dadurch erfahren, wenn sie angenommen werden sollen“, betont Moussa. Positive Beispiele seine etwa „HerzMobil Tirol“ oder „Teledermatologie“. E-Health-Projekte, die teilweise als Pilotprojekte, teilweise im Regelbetrieb sind, findet man unter www.aerztekammer.at/ehealth.

Maßnahmen, die die Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin als notwendig erachtet, um telemedizinische Leistungen umzusetzen:

  • Investition in die nationale Gesundheitstelematik-Infrastruktur (GTI) in Form einer „e-Health-Milliarde“ mit dem flächendeckenden Ausbau von zentralen Komponenten, Breitbandnetzen auch in entlegenen Gebieten und Anwendersoftware als Basis für den Einsatz von Telemedizin
  • Schaffung moderner rechtlicher Rahmenbedingungen durch ein „Digital Health Zukunftsgesetz“ mit Regelung der Finanzierung und Ermöglichung der Nutzung der Daten für die Forschung
  • Abstimmung einer nationalen e-Health-Roadmap, um die Implementierung telemedizinischer Anwendungen und Leistungen festzulegen
  • Schaffung und Ausbau eines digitalen Gesundheitspfades und Weiterentwicklung der etablierten Infrastruktur mit zentralen e-Health-Registerfunktionen
  • Schaffung eines nationalen Kompetenzzentrums, das die erforderlichen Qualitäts- und Zertifizierungsstandards festlegt und überprüft
  • Sicherstellung der Interoperabilität der e-Health-Infrastruktur und Verwendung von internationalen Standards (Patient Summary) und Terminologien (z.B. SNOMED)
  • Erstattung von digitalen Gesundheitsapps (DiGa), die von Ärztinnen und Ärzte verschrieben werden können
  • Integration von Telemedizin und e-Health als integraler Bestandteil des Medizinstudiums
  • Zusammenführung der 3 staatlichen IT-Firmen unter ein Dach und Schaffung einer digitalen Gesundheitsbehörde, die auch ausreichend finanziert ist, um ihre Aufgabe erfüllen zu können

Quelle: „Wie kommt die Digitalisierung der Medizin in die Flächenversorgung?“, Pressegespräch der Österreichischen Ärztekammer, Wien, 22.5.2024