20. März 2024Blitzumfrage der AK Wien

Lohnnebenkosten-Kürzung: „Vergifteter Apfel“ für Betriebe

Das Senken der Lohnnebenkosten führe zu noch mehr Druck im Gesundheitssystem, beruft sich die Arbeiterkammer Wien auf eine Blitzumfrage anlässlich der Causa AUVA. Eine Kürzung wäre aber auch für KMUs ein „vergifteter Apfel“ – da mittelfristig das „Haftungsprivileg“ wackeln könnte.

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Kommen Kürzungen, kommen Probleme, warnt die AK Wien. Welche das bei der aktuellen Diskussion um Lohnnebenkosten-Senkungen wären, präsentierte sie kürzlich bei einer Pressekonferenz. Eine Online-Blitzumfrage im März mit mehr als 2.700 Personen – nicht zuletzt aus Anlass der abrupten Absiedelung des AUVA-Traumazentrums Wien-Brigittenau (vormals Lorenz-Böhler-Spital) – zeigt zudem, dass ein hoher Prozentsatz der Befragten, darunter Gesundheitspersonal, mit Verschlechterungen rechnet.

„Unsere Umfrage macht die bestehenden Missstände deutlich“, betont Mag. Silvia Hruška-Frank, Direktorin der AK Wien. Das Wort „Lohnnebenkosten“ sei ein Kampfbegriff geworden, dabei gehe es jedoch um „Sozialstaatsbeiträge“, die alle Menschen bei Krankheit, Unfall und im Alter absichern oder Familien unterstützen. „Wer sie kürzen will, soll ehrlich sagen, was es dann nicht mehr gibt“, fährt Hruška-Frank fort.

„Extreme Verschlechterungen“

Bei der Frage „Denken Sie, dass die AUVA durch weitere Beitragskürzungen weniger an Unfallbehandlungen, Reha und Prävention leisten kann?“ erwartet deutlich mehr als die Hälfte (54%) „extreme Verschlechterungen – obwohl es schon jetzt große Probleme gibt“. Weitere 35% gehen von „spürbaren Verschlechterungen“ aus. Nur 2% denken, Beitragskürzungen könnten durch andere Einrichtungen aufgefangen werden.

Aber nicht nur im Hinblick auf eine schlechtere Versorgung der Patientinnen und Patienten sei das Gesundheitssystem gefährdet. Der Umfrage zufolge wird auch das Gesundheitspersonal die Sparmaßnahmen und Kürzungen spüren: 4 von 5 Befragten (83%) rechnen damit, dass sich der ohnehin schon hohe Arbeitsdruck noch weiter erhöhe, weitere 13% sagen „eher spürbar“. Noch pessimistischer sehen das die Beschäftigten im Gesundheitsbereich: Hier erwarten sogar 90% „extreme Verschlechterungen“.

AUVA „ausgehungert“

In den letzten 10 Jahren sei der AUVA-Beitrag der Unternehmen von 1,4 auf 1,1% gekürzt worden. „Diese 0,3% klingen nicht nach viel, sind in Summe aber verdammt viel Geld“, rechnet Mag. Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung der AK Wien, vor. Denn im Jahr 2022 betrugen die Beitragseinnahmen der AUVA rund 1,5 Mrd. Euro: „Durch die Reduktion um 0,3% entgehen der AUVA mehr als 400 Millionen!“ Damit fehlen nötige Mittel für die Leistungen. Die AUVA werde „ausgehungert“ und spare weiter, um die nächste Beitragskürzung vorzubereiten.

Die ÖVP-FPÖ-Koalition habe die AUVA schon 2018 abschaffen wollen, was AK und Gewerkschaft (ÖGB) verhindern konnten, erinnert Panhölzl. Allerdings sei die Folge ein „gigantisches Sparpaket“ gewesen, welches bis 2029 eine jährliche Einsparung von 429 Mio. Euro vorsehe. Zudem erhalte die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) von der AUVA jährlich um 100 Mio. Euro weniger für die Behandlung von Arbeitsunfällen, von denen jedoch nur ein kleiner Teil in Unfallspitälern behandelt wird.

Berufskrankenheiten: „Völlig veraltete Liste“

Dazu komme eine „völlig veraltete Berufskrankheiten-Liste“, spricht Panhölzl ein weiteres Problem an. Vor Kurzem habe der Nationalrat ein Gesetz zur Modernisierung dieser Liste verabschiedet. „Daraus wurde ein Mini-Projekt wegen des Widerstandes von AUVA und ÖVP-Wirtschaftsvertretern“, gerade einmal Weißer Hautkrebs werde zusätzlich anerkannt, kritisiert der Leiter der Abteilung der Sozialversicherung.

Zum Vergleich: Nach der Reform verfügt die österreichische Liste über 56 Berufskrankheiten gegenüber 82 in Deutschland. „In Österreich nicht anerkannt sind Muskel- und Skeletterkrankungen, Knieleiden, Lungenkrebs im Zusammenhang mit Passivrauchen oder das Karpaltunnelsyndrom“, bringt Panhölzl einige Beispiele, „also ganz wesentliche berufliche Erkrankungen, die auf unserer Liste nach wie vor nicht abgedeckt werden.“

„Haftungsprivileg“ mit wichtiger Funktion

Eine Kürzung der Unfallversicherungsbeiträge sei auch „ein vergifteter Apfel“, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Denn die Unfallversicherung habe für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die wichtige Funktion eines „Haftungsprivilegs“. Das bedeute, dass bei Arbeitsunfällen die Haftung für Unternehmen durch die soziale Unfallversicherung entfällt. Sinke der Beitrag zur Unfallversicherung immer stärker, stelle dies mittelfristig auch das Haftungsprivileg infrage, warnt die AK. Denn jede (soziale) Versicherung brauche eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung.

„Wenn wir verhindern wollen, dass das Gesundheitssystem massiv abrutscht und sich die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten noch weiter verschlechtern, müssen sofort Maßnahmen gesetzt werden“, resümiert AK-Direktorin Hruška-Frank. „Die Kürzung der Lohnnebenkosten ist allerdings keine davon.“ Denn dadurch würden die Beschäftigten „doppelt betrogen“: Die Unternehmen würden sich durch die gekürzten Gelder ein „Körberlgeld“ einstecken, andererseits würden dann wichtige Leistungen, z.B. im Gesundheitsbereich, fehlen.

4 Forderungen statt Lohnnebenkosten-Senkung

Die AK formuliert daher ein „klares Nein“ zu weiteren Kürzungen der Lohnnebenkosten und stellt 4 Forderungen:

  1. Sofortige Verbesserungen im Gesundheitssystem (z.B. Verkürzung der Wartezeiten auf Behandlungen, aktive Bekämpfung des Mangels an Ärztinnen und Ärzten usw.) statt Scheindebatten über Lohnnebenkosten,
  2. Modernisierung der Berufskrankheitenliste, Einrichtung eines Expertenbeirates,
  3. Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich und in der Langzeitpflege sowie
  4. eine faire Beteiligung von Reichen und Konzernen an der Finanzierung des Sozialstaats.

Gerade verbesserte Arbeitsbedingungen seien die Voraussetzung dafür, dass neu ausgebildete Berufsangehörige auch langfristig in der Pflege tägig bleiben, führt die AK zur dritten Forderung aus. Dazu würden etwa gesunde Arbeitszeitmodelle, ausreichend Kolleginnen und Kollegen in allen Bereichen und verlässliche Dienstpläne gehören. Das mache das Berufsfeld Pflege auch für einen Neu- und Quereinstieg attraktiv. Beim vierten Punkt plädiert die AK für Änderungen der Sozialstaatsbeiträge „nur im Zuge einer Gesamtreform, die auch in Zukunft die Qualität unseres Gesundheitssystems und des Sozialstaats insgesamt sicherstellt“.

Weitere Infos und Details zur Umfrage finden Sie hier.

Quelle: Pressekonferenz „Kürzung der Lohnnebenkosten kann Ihre Gesundheit gefährden“ der Arbeiterkammer Wien, 18.3.2024