13. März 2018

Wende in der Stammzellforschung

Das IMBA Wien wird künftig mit 22,5 Millionen Euro vom Bund gefördert. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Verbesserung internationaler Vernetzung und der Etablierung einer revolutionären Technologie. (Medical Tribune 11/18) 

Genomanalyse soll schon bald für jedermann erschwinglich sein und routinemäßig in der Klinik Anwendung finden. Dafür muss Österreich an die Front der internationalen Spitzenforschung aufrücken, was nun künftig durch eine Initiative zur Stärkung der nationalen Stammzellforschung forciert wird.

Finanzierung bis 2021

„Das Arbeiten mit Stammzellen bietet herausragendes Potenzial. Es bedeutet aber auch eine Menge Verantwortung, und genau das müssen wir unseren Wissenschaftlern von morgen nahebringen“, eröffnet Dr. Jürgen Knoblich, Stv. Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA). Punkto effizienter Umsetzung moderner Zukunftsvisionen gibt es aber klaren Handlungsbedarf. Im Rahmen des „SyStem“-Symposiums wurden zugleich zum ersten Mal die neuen Schwerpunkte des vom Bund geförderten Projekts vorgestellt. Neben Wissenstransfer und vermehrter Eingliederung ausländischer Nachwuchsforscher soll damit der Ausbau der Forschungsinfrastruktur in Wien unterstützt werden. Auch soll es internationalen Forschungsgruppen künftig möglich sein, das Synergiepotenzial der IMBA Forschungs-Facility zu nutzen, das vor allem neuen Kooperationspartnern den Standort Wien attraktiv machen soll. Langfristiges Ziel ist die Etablierung einer vielversprechenden Technologie.

„Künstliche Stammzellen“

„Das Vienna Biocenter ist im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt. Wir stehen am Rande einer biomedizinischen Revolution und haben das Potenzial, die Stammzellforschung monumental zu verändern!“, so Prof. Marius Wernig vom Institute for Stem Cell Biology & Regenerative Medicine, Stanford University. Im Fokus steht die Anwendung „künstlicher“ Stammzellen, die veraltete Konzepte der Erforschung vererbbarer Erkrankungen ablösen könnte. Ein „Reprogramming“ mit „adulten“ Stammzellen erlaubt es, aus somatischen Zellen (auch nicht-invasive aus Blutproben) von Patienten sogenannte „induzierte pluripotente“ Stammzellen (iPS-Zellen) herzustellen, die im Labor zur Spezialisierung beliebiger Zelltypen extern gesteuert werden. Durch dieses unerschöpfliche Repertoire an zellulären „Ersatzteilen“ können ethische Bedenken beim Einsatz von embryonalen Stammzellen umgangen werden. Zusätzlich haben körpereigene iPS-Zellen den großen Vorteil, keine Immunabwehr auszulösen. Um Erkrankungen in vitro nachzustellen, wird das Genom der iPS-Zellen durch gezielte Mutation in einem gewünschten Gen verändert. Auf zellulärer Ebene gelingt es bereits, diese Krankheiten zu heilen. Mit einem routinemäßigen Einsatz in der Klinik wäre es möglich, profunde Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Mechanismen in der Pathogenese zu erzielen.

Anwendung bei Epilepsie

Der Hauptschwerpunkt liegt nun auf der Entschlüsselung der Prozesse im Zellkern, die für die Erschaffung von Organoiden relevant sein könnten. Grandiose Pionierarbeit wurde bereits mit dem ersten zerebralen Organoid geleistet, das mittlerweile zum geeigneten Epilepsie-Modell heranreifte. Prof. Dr. Martha Feucht, Leiterin der Ambulanz für Erweiterte Epilepsiediagnostik an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien, beschäftigt sich mit schwer behandelbaren Epilepsie-Formen bei Kindern. „Der Zugang zu Gewebe oder Blut, insbesondere von erkrankten Kindern, ist meist eine Herausforderung. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist es schwierig, Studienprojekte bei der Ethikkommission zu beantragen“, äußert sich Feucht. „Ziel ist, die klinische Reife in absehbarer Zeit zu erreichen, um neue therapeutische Ansätze zu konzeptionieren. Hohes Interesse gibt es bereits seitens der Industrie, die mutierte Zellen durch den Einsatz bestimmter Viren gezielt zerstören will“, so Wernig weiter.

Wirtschaftliche Aspekte

„Diese immensen Chancen, die sich hier ergeben, tragen nachhaltig zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in Österreich bei“, kommentiert Prof. Dr. Frank Edenhofer vom Institut für Molekularbiologie der Universität Innsbruck. „Die Umsetzung stellt aber auch eine nicht unwesentliche wirtschaftliche Determinante dar.“ Die hohen Kosten, besonders im klinischen Bereich, werden auf Dauer nur durch ausreichendes Funding gedeckt. Aufgrund der verschwindenden Förderungsmöglichkeiten sind viele Projekte nach wie vor auf Kooperationen mit der Industrie und Privatgelder angewiesen. „Es braucht reformierte Förderungsstrukturen, um die Grundlagenforschung nachhaltig in die Unternehmenslandschaft zu integrieren, Patente zu erarbeiten und Arbeitsplätze zu schaffen“, führte Wernig aus. Mittlerweile entstanden neben dem IMBA weitere Forschungsinstitute am Vienna Biocenter. Verstärkung gibt es nun durch das IMP (Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie), das GMI (Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie) und das MFPL (Max F. Perutz Laboratories) wie auch durch Biotech-Start-ups, die gemeinsam mehrere tausend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Positive Ausblicke

„In zehn bis 20 Jahren könnte jeder von uns sein Genom kennen und die Sequenzierung eine Routineuntersuchung in jedem Krankenhaus sein“, prognostiziert Knoblich. „Die Wahrscheinlichkeit, diese Technologie bei Makuladegeneration oder Parkinson- Erkrankung zu etablieren, ist sehr hoch. Erste präklinische Daten gibt es bereits für Epidermolysis bullosa und Multiple Sklerose“, sagt Edenhofer. International feiert man in den Niederlanden bereits erste Erfolge mit Darmorganoiden aus iPS-Zellen, die aktuell für die Testung von Medikamenten freigegeben wurden. Punkto Vernetzung soll noch dieses Frühjahr ein internationales Stammzell-Netzwerk auf die Beine gestellt werden, um das teils fragmentierte Know-how in Österreich zusammenzuführen.

Pressegespräch am IMBA; Wien, Februar 2018

Über das IMBA
Das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) wurde unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Josef Penninger 1999 gegründet. Es zählt im europäischen Raum zu einem der führenden Forschungsinstitute der Biomedizin in den Bereichen Epigenetik, Immunologie und Stammzellforschung. Gefördert wird es von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF).

Zur Person

Dr. Jürgen Knoblich Forscher, Autor und Stv. Direktor des IMBA Wien
Dr. Jürgen Knoblich
Forscher, Autor und Stv. Direktor des IMBA Wien

Dr. Jürgen Knoblich erhielt für seine Leistungen 2009 den höchstdotierten Forschungspreis in Österreich, den Der Wittgenstein. Knoblich studierte in England und den USA – heute ist er stellvertretender wissenschaftlicher Direktor am IMBA. Mit über 100 Publikationen in den populärsten Wissenschaftsjournalen beschäftigt er sich unter anderem mit der Erforschung an Organoiden.

Von: Carina Kern

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune