30. Okt. 2019Ausbildung in den Spitälern

„Wir brauchen mehr Zeit für Jungärzte, sonst geht uns die Luft aus“

„Faktum ist: Wir haben im Spitalsalltag zu wenig Zeit, um Jungärzte auszubilden.“
Dr. Harald Mayer, ÖÄK-Bundeskurienobmann

Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte fordert im Interview mit medonline mehr Personalressourcen für die Ausbildung.

Ein „Hilfeschrei, der ernst genommen werden muss“ – damit begründete Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte, seine Forderung nach mehr Personalressourcen für die Ausbildung. Ihm kam wie berichtet zu Ohren, dass ein Primar in Oberösterreich gekündigt habe, weil er nicht der Chef sein wolle, wenn die Abteilung „an die Wand“ fahre. Im Interview zeigt er Lösungswege auf – bereits in Kenntnis der Ausbildungsevaluierung, die die ÖÄK Anfang November präsentieren wird.

Die Ärzteausbildung in Oberösterreich sei in den Spitälern „gut aufgestellt“, betont Gesundheitslandesrätin LH-Stellvertreterin Christine Haberlander zu Ihrer Forderung nach erweiterten Dienstpostenplänen um eigene Personalstellen für die Ausbildung. Zudem seien personenunabhängige Ausbildungskonzepte vorteilhafter (siehe Stellungnahme Land OÖ und Oberösterreichische Gesundheitsholding OÖG). Ist der „Hilfeschrei“, zumindest der oberösterreichische, also gar nicht gerechtfertigt?
Mayer: Natürlich hat jeder Facharzt die Aufgabe, und die nehmen wir als Fachärzte auch ernst, junge Kolleginnen und Kollegen auszubilden. Aber nichtsdestotrotz brauche ich dafür Zeit. Und wenn nicht genug Personal vorhanden ist, dann habe ich diese Zeit nicht. Ob das jetzt ein zusätzlicher Facharzt ist, der für die Ausbildung verantwortlich ist, oder einfach ein zusätzlicher Facharzt, ist natürlich egal. Aber wir brauchen einfach mehr Fachärzte, um die jungen Kolleginnen und Kollegen ordentlich auszubilden – unser ganzes System sieht keine definierte Zeit für die Ausbildung von Jungärzten vor.

Da wirft das Land OÖ eine Tabelle (siehe unten) in die Waagschale, wonach die Ärzte-Vollzeitäquivalente (VZÄ) von 2000 bis 2018 im Bundesschnitt nur um knapp 36 Prozent gestiegen seien, in Oberösterreich hingegen um fast 42 Prozent.
Mayer: Glücklicherweise hat sich durch das Ärzte-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG neu, seit 2015 in Kraft, Anm. der Red.) unsere Arbeitszeit reduziert. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass so viele Ärzte dazugekommen sind, wie die einzelnen Ärzte weniger arbeiten. Der Punkt ist aber: Die Arbeit ist auch mehr geworden, Stichwort Demografie und überfüllte Ambulanzen.

Sie glauben also nicht an diese Statistik?
Mayer: Das kann man so oder so rechnen. Faktum ist: Wir haben im Spitalsalltag zu wenig Zeit, um Jungärzte auszubilden. Die Jungärzte richten uns das auch aus, indem sie ihre Ausbildung im Ausland machen, sprich uns verlassen, was für das System noch einmal schlecht ist. Ja, die Dienstpostenpläne mögen schon erfüllt sein und mögen auch um 40 Prozent mehr geworden sein. Faktum ist, dass uns die Jungärzte verlassen und wir daher in den nächsten Jahren sicher ein veritables Problem bekommen werden. Es ist richtig, dass in Oberösterreich die Ausbildung besser ist als in anderen Bundesländern. Wir haben mittlerweile auch wieder einen Ausbildungsevaluierungszyklus abgeschlossen und die Ergebnisse – wir präsentieren sie Anfang November – zeigen uns deutlich, dass Oberösterreich über dem Österreich-Schnitt ist. Nichtsdestotrotz hat sich die Ausbildungszufriedenheit der Jungärzte in den letzten Jahren im Schnitt nicht gesteigert, daher verlassen sie uns noch immer.

Als „gutes Beispiel“ für ein Ausbildungskonzept hat das Land OÖ jenes der Anästhesie und Intensivmedizin im Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck/Gmunden angeführt. Die Jungärzte hätten etwa einen Mentor, der so wie alle Fachärzte „stets mit Rat und Tat“ zur Seite stehe. Wäre das ein Modell auch für andere Häuser?
Mayer: Alle Lösungen, die dazu dienen, die Zufriedenheit und die Ausbildungsqualität der Jungärztinnen und Jungärzte zu erhöhen, sind begrüßenswert. Es gibt natürlich – das wissen wir auch aus der Umfrage – Best-Practice-Beispiele, aber wenn im Schnitt die Ausbildungsqualität gleichbleibt, dann muss es genauso viele Bad-Practice-Beispiele geben. Nehmen wir an, die Zufriedenheit mit der Ausbildung im Salzkammergut-Klinikum ist gestiegen. Wenn aber die Ausbildungsqualität im Schnitt gleich bleibt, dann muss sie irgendwo anders gesunken sein. Die Best-Practice-Beispiele sind meist auch die Abteilungen, die im Regelfall genug Personal haben, aber dann gibt es eben auch die Abteilungen, wo das nicht so funktioniert. Das wird an vielen Faktoren liegen, an der Motivation des gesamten Teams, vielleicht auch an der Holschuld der Jungärzte, es kann auch die Demotivation der Fachärzte sein – meistens ist es multifaktoriell. Zusammenfassend muss man einfach festhalten: Eine dramatische Verbesserung der Ausbildungssituation hat nicht stattgefunden und darum verlassen uns noch immer zu viele Ärztinnen und Ärzte. Das spricht nicht dagegen, dass es tolle Best-Practice-Beispiele geben kann. Und es wäre fein, wenn diese überall stattfinden, vom Bodensee bis zum Neusiedler See, das tun sie aber nicht.

Wie könnte aus Ihrer Sicht eine konkrete Lösung ausschauen?
Mayer: Wir brauchen definierte Zeitressourcen für Fachärzte, wo sie sich nur um die Ausbildung der Jungärzte kümmern können und sozusagen von der Patientenversorgung freigespielt sind – „sozusagen“ deshalb, weil ich einen Jungarzt, wenn ich ihn gut begleiten will, ohnehin in der Patientenversorgung begleiten muss. Ich bin also in der Patientenversorgung, aber nur mittelbar, nicht unmittelbar, weil ich schaue, wie es der Junge macht und Feedback gebe – das ist Bedside-Teaching und dafür braucht man Zeit, Zeit, Zeit. Wenn man diese Zeit nicht hat, dann wird es nicht so funktionieren, wie wir es uns alle wünschen, dass es funktionieren soll.

Das heißt, es gibt vom Bodensee bis zum Neusiedler See keine definierten Zeitressourcen dafür?
Mayer: Meines Wissens gibt es diese Zeitressourcen für Fachärzte strukturiert und flächendeckend nicht.

Dafür ist letztendlich die Politik verantwortlich, nicht der Spitalsträger, weil das ja jemand zahlen muss?
Mayer: So ist es, natürlich. Am Ende des Tages ist immer der Zahler verantwortlich für die Qualität dessen, was er liefert. Da sind die politisch Verantwortlichen gefordert, das Geld in die Hand zu nehmen, um die Patientenversorgung in Zukunft ab der heutigen Qualität halten zu können.

Hat nicht auch die oberste Führungsebene der Spitalsträger eine Holschuld und müsste mehr Ressourcen von der Politik einfordern?
Mayer: Das wäre wünschenswert, wenn das so geschähe. Aber vielleicht liegt es auch an den Regionalverantwortlichen, die diese Bedürfnisse gar nicht bis zur Führung hintragen. Es ist alles immer sehr multifaktoriell, am Ende des Tages haben wir noch Luft nach oben. Und die Luft wird uns ausgehen, wenn 40 Prozent der Fachärzte in Pension gegangen sind.

Besten Dank für das Gespräch!

Entwicklung Spitalsärzte (Vollzeitäquivalente) in den oö. Häusern:

KUK gespag Orden
1995 467 584 848 1.899
2000 504 684 997 2.185
2004 597 773 1.172 2.542
2009 674 899 1.394 2.967
2015 721 853 1.441 3.015
2016 734 868 1.481 3.083
2017 744 884 1.462 3.091
2018 750 881 1.470 3.101

 

Stellungnahme des Landes OÖ und Darstellung der OÖ Gesundheitsholding (OÖG) zur Ausbildung:

Gesundheitslandesrätin LH-Stellvertreterin Christine Haberlander:

„Die Ärzteausbildung in Oberösterreich ist in den Spitälern gut aufgestellt. Die Verantwortlichen in den Häusern legen viel Wert darauf, dass die Ausbildungskonzepte sowohl auf die ausbildenden Ärztinnen und Ärzte ausgelegt sind als auch auf die angehenden Medizinerinnen und Mediziner.“

In den Regionalkliniken der OÖG (Oberösterreichische Gesundheitsholding, ehemalige gespag-Häuser und Kepler Universitätsklinikum, Anm.) kommen bei der Ausbildung von Jungmedizinern sowohl ausbildungsverantwortliche Oberärzte als auch personenunabhängige Ausbildungskonzepte zum Einsatz. Gerade in kleineren Kliniken bzw. Abteilungen haben personenunabhängige Ausbildungskonzepte den Vorteil, dass die Ausbildung nicht an einzelnen Personen hängt und damit auch in Urlaubszeiten oder während Krankenständen auf einem breiteren Fundament steht. Sämtliche Ausbildungskonzepte beinhalten Rotationen in den Klinikverbünden bzw. auch darüber hinaus, sodass junge ÄrztInnen sowohl in kleineren Regionalkliniken mit familiärer Atmosphäre als auch in Schwerpunktkliniken mit spezieller Expertise ausgebildet werden können.

Ein gutes Beispiel für ein Ausbildungskonzept ist jenes der Anästhesie und Intensivmedizin im Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck/Gmunden:

„Die Facharztausbildung stellt nach wie vor die Basis der Berufskarriere jedes Jungmediziners/jeder Jungmedizinerin dar. Sie soll das Rüstzeug für alle kommenden Berufsjahre liefern. Im Salzkammergut-Klinikum können wir im Zuge der Ausbildung ein breites Spektrum anbieten, das in Form eines modularen Ausbildungskonzeptes umgesetzt wird. Wir arbeiten in der Ausbildung übergreifend an zwei Standorten. In Vöcklabruck und Gmunden gibt es unterschiedliche Schwerpunkte, die es kennenzulernen gilt. Die Institute verfügen über eine Größe, welche den Bogen zwischen sehr spezialisierter Medizin und familiärer Atmosphäre spannen können. Unser Ärzteteam ist unter Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes rund um die Uhr mit der PatientInnen-Versorgung beschäftigt. Nach einer dreimonatigen Einschulungszeit ist man als AusbildungsassistentIn fix im Dienstplan verankert und an dieser Versorgung beteiligt. Die Ausbildungsoberärztin/der Ausbildungsoberarzt koordiniert die Einteilung der AssistentInnen. Nach einem Rotationsplan werden die Inhalte und Techniken aller Narkoseverfahren vermittelt und erlernt. Ein Mentor/eine Mentorin sowie alle Fachärztinnen und -ärzte stehen stets mit Rat und Tat zur Seite. Das Feld der Intensivmedizin erarbeitet man sich als Stationsarzt/-ärztin auf der ICU, welche mit neun Betten der Kategorie III beinahe alle intensivmedizinischen Krankheitsbilder abdeckt. Wir haben an beiden Standorten einen Notarztstützpunkt, somit sind wir maßgeblich an der Notfallversorgung der Patientinnen und Patienten in der Region beteiligt. Nach dem zuletzt österreichweit aktualisierten Konzept sind sie als Ausbildungsarzt in der zweiten Hälfte ihrer Ausbildung an dieser Versorgung beteiligt. Für die Teilbereiche, die im Salzkammergut-Klinikum nicht angeboten werden (Herz-, neurochirurgische Anästhesie), stehen Rotationsmöglichkeiten nach extern insbesondere zur KUK zur Verfügung. Das Team möchte den AssistentInnen ein ihrem aktuellen Ausbildungsstand entsprechendes selbstständiges Arbeiten unter Aufsicht ermöglichen, alle FachärztInnen sowie ein großes Pflegeteam stehen im Arbeitsalltag immer unterstützend zur Verfügung. Daneben wird das nötige theoretische Hintergrundwissen in Fortbildungsnachmittagen regelmäßig gemeinsam erarbeitet. Das Institut lebt dabei einen offenen, ungezwungenen Umgang untereinander. Aufkommende Fragen und Probleme können jederzeit angesprochen und diskutiert werden. Fachfortbildungen, die verpflichtenden Blockkurse und Simulationstrainings runden das Programm ab. Für nähere medizinisch-fachliche Details steht unser Ausbildungskonzept (Einschulung, Grundlagen, Spezialisierung) zur Verfügung.“

Neben der rein fachlichen Ausbildung legt die OÖG besonderen Wert auf ein gutes Arbeitsklima und eine lebensphasenorientierte Arbeitsgestaltung. Für junge ÄrztInnen ist hier vor allem die Kinderbetreuung, aber auch die Möglichkeit zur Teilzeitanstellung relevant.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune