16. Sep. 2025Test auf Antikörper gegen EBV-Protein

Bluttest erkennt MS-Risiko bereits Jahre vor den ersten Symptomen

Ein Team vom Zentrum für Virologie sowie der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien hat einen Bluttest entwickelt, der es ermöglicht, das Risiko für Multiple Sklerose (MS) bereits Jahre vor dem Auftreten erster Symptome mit hoher Sicherheit zu erkennen. Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger erklärt, welche Chancen sich durch den neuen Test für Prävention und Therapie eröffnen.

medonline: Welche Patientinnen und Patienten haben Sie für die Untersuchung ausgewählt?

Prof. Berger: Wir haben Patientinnen und Patienten mit PPMS eingeschlossen – das heißt, die Untersuchungskohorte bestand nahezu ausschließlich aus Betroffenen, die später eine schubförmige MS entwickelt haben.

Ist die Methode mit bestehenden Biomarkern vergleichbar?

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger
 ÖGN

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie, Wien

Unser Testverfahren ist weder für die Diagnose einer MS noch für die Definition einer Verlaufsform ausgerichtet, sondern ausschließlich zur Feststellung des Risikos zur Entwicklung einer MS. Daher ist unser neues Testverfahren auch ganz und gar nicht mit bisherigen diagnostischen Testverfahren vergleichbar.

Wie funktioniert das Testverfahren in der Praxis?

Der Clou zur Risikobestimmung ist der Nachweis anhaltend hoher EBNA-1-Antikörper. Damit ist gemeint, dass z.B. drei bis sechs Monate nach der Mononukleose (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) diese hohen Antikörperspiegel immer noch nachweisbar sind.

Welche Zielgruppen sehen Sie am ehesten für ein Screening?

Praktisch jeder Mensch auf der Welt kommt mit dem Epstein-Barr-Virus-Infektion in Kontakt – vorwiegend im Jugendalter. Aber nur ein Teil wird tatsächlich auch an einer Mononukleose (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) erkranken. Und von diesen Betroffenen wird wiederum nur ein kleiner Teil (ca. 5%) tatsächlich auch anhaltend hohe Antikörperspiegel entwickeln, die das Risiko für eine MS erhöhen. Das heißt, nicht alle Menschen mit einer EBV-Infektion oder gar Mononukleose müssen befürchten, ein erhöhtes Risiko für eine MS zu haben, sondern eben nur der kleine Teil von ca. 5% mit anhaltend hohen Antikörperspiegeln.

Zielgruppe eines künftigen „Screening-Tests“ wären somit jene, die

  • a) eine Mononukleose mit hohen EBNA-1-Antikörpern haben und
  • b) nach der Mononukleose nach weiteren drei bis sechs Monaten immer noch hohe EBNA-1-Antikörperspiegel aufweisen.

Ab welchem Risikoprofil würden Sie empfehlen, prophylaktisch therapeutisch einzugreifen?

Diese vorhin beschriebene Risikogruppe von 5%, die durch anhaltend hohen Antikörperspiegel ein erhöhtes MS-Risiko hat, sollte engmaschig untersucht werden. Es wäre vermutlich sehr sinnvoll, eine MRT-Untersuchung des Gehirns zu machen, um festzustellen, ob diese Personen „MS-typische“ MRT-Veränderungen haben.

Sollte das der Fall sein, dann wäre das ein möglicher Zeitpunkt, mit einer MS-spezifischen Therapie zu starten, um den klinischen „Ausbruch“ der Krankheit MS (hoffentlich) zu verhindern, selbst wenn diese Person noch gar keine neurologischen Beschwerden oder Symptome aufweist. Wir müssen diesen Zusammenhang natürlich erst weiter wissenschaftlich belegen. Aber diese Vorgehensweise wäre in Zukunft denkbar und eine Erkenntnis aus unseren Studien.

Welche präventiven Maß-nahmen könnten eingeleitet werden?

Grundsätzlich wird an Impfungen gegen EBV gearbeitet. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis solch eine Impfung verfügbar sein wird. Das wird natürlich ein „Segen“ für die Menschheit sein, weil dadurch klinisch deutliche Ausprägungen der EBV-Infektion, also vor allem eben eine klinisch relevante Mononukleose, verhindert oder abgemildert werden könnten.

Jetzt wird es aber kompliziert. Die EBNA-1-Antikörper, die wir in unserem Testverfahren messen, sind mit ziemlicher Sicherheit nicht per se für die Entwicklung einer MS verantwortlich. Sie sind also keine „pathogenetischen Antikörper“. Die EBNA-1-Antikörper sind nur der Spiegel einer immunologisch dysfunktionalen Kontrolle der immunologischen Folgen einer EBV-Infektion in dieser Risikogruppe.

Das heißt aber wiederum, dass eine Impfung – die ja üblicherweise auf dem Prinzip einer Immunantwort auf den attenuierten Erregerbestandteil beruht – für diese Risikogruppe möglicherweise gar nicht so gut oder sogar schlecht ist. Denn durch solch eine Impfung könnte das MS-Risiko erst recht wieder „losgetreten“ werden. Das ist zwar alles noch Spekulation, aber durchaus relevant, weil man sonst annehmen könnte: Alle werden gegen EBV geimpft und dann gibt es in 20 Jahren keine MS mehr. Das könnte ein Trugschluss sein und die Risikoidentifizierung mittels unseres Tests erst recht wieder nötig machen.

Vielen Dank für das Interview!

Test auf Antikörper gegen EBV-Protein zur Früherkennung von Multipler Sklerose

Ein Team vom Zentrum für Virologie sowie der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien hat einen Bluttest entwickelt, der es ermöglicht, das Risiko für die Entwicklung einer Multiplen Sklerose (MS) bereits Jahre vor dem Auftreten erster Symptome mit hoher Sicherheit zu erkennen. Damit könnte man diagnostische und therapeutische Maßnahmen in Zukunft so früh setzen, dass der Ausbruch der Erkrankung verzögert oder sogar verhindert werden kann. Die Arbeit erschien in Nature Communications.

Die Methode basiert auf einem immunologischen Test, der spezifische Antikörper gegen ein Protein des Epstein-Barr-Virus (EBV) identifiziert. Dieses weit verbreitete Virus ist als zentraler Faktor bei der Entstehung der Multiplen Sklerose bekannt. Bei fast allen MS-Fällen ist eine EBV-Infektion nachweisbar.

Konkret erkennt der Test Autoantikörper, die auf einen bestimmten Abschnitt des EBV-Proteins EBNA-1 (Epstein-Barr nuclear antigen 1) gerichtet sind. Diese Antikörper treten bereits innerhalb von drei Jahren nach einer EBV-Infektion auf. Das ist also lange bevor die betroffenen Personen klinische Symptome einer MS zeigen.

Durch die wiederholte Messung dieser Antikörperspiegel kann ein deutlich erhöhtes Risiko für eine spätere MS-Diagnose erkannt werden. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Personen, bei denen diese Antikörper an mindestens zwei Messzeitpunkten nachweisbar sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Folgejahren eine MS entwickeln“, sagt Studienerstautor Dr. Hannes Vietzen.

Die retrospektive Studie basiert auf Blutproben von über 700 Personen mit MS und mehr als 5.000 Kontrollpersonen. In einem Teil der Kohorte konnte sogar der Zeitpunkt der EBV-Erstinfektion eindeutig nachvollzogen werden. In dieser Gruppe waren konstant hohe Antikörperspiegel mit einem sehr hohen Risiko und einer raschen Entwicklung einer MS assoziiert.

Nahezu alle Menschen (90–95%) infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit dem EBV, das dann lebenslang im Körper verbleibt. Die Infektion verläuft oft unbemerkt, kann aber auch als infektiöse Mononukleose (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) symptomatisch werden. Bei manchen Menschen führt diese Infektion zu einer fehlgeleiteten Immunreaktion. Dabei richtet dann sich das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen im Gehirn.

„Unsere Studie zeigt, dass eine sehr frühe Phase der MS-Krankheitsentwicklung lange vor Auftreten von ersten Symptomen bereits immunologisch erkennbar ist“, berichtet Studienleiterin Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Sie ist Leiterin des Zentrums für Virologie der MedUni Wien. Andere Marker, die Nervenzellschäden anzeigen, steigen erst später im Verlauf an. Dazu gehören etwa Neurofilament Light Chain (NfL) oder Glial Fibrillary Acidic Protein (GFAP).

Der neue Test könnte daher ein wichtiges Werkzeug für die frühzeitige Identifikation von Personen mit einem hohen MS-Risiko sein. „So wäre es möglich, diese Personen so früh zu untersuchen und zu behandeln, dass der Ausbruch der MS verzögert oder vielleicht sogar verhindert werden kann“, ergänzt Co-Studienleiter Prof. Dr. Paulus Rommer.

„Aufgrund unserer Ergebnisse stellen wir ein Screening von Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem MS-Risiko – etwa nach durchgemachtem Pfeiffer’schen Drüsenfieber – zur Diskussion“, meint Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien.

red/MTK

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum neuropsy