7. Juni 2021Ärzte im Hamsterrad

Wenn der Stress bleibt, schwindet die graue Substanz

Schon vor der Pandemie war Burn-out unter Ärztinnen und Ärzten weit verbreitet. Die anhaltenden Probleme, vor die uns das Virus stellt, machen die Situation nicht besser. Hirnforscher:innen warnen: Unkontrollierter, anhaltender Stress hinterlässt Spuren, insbesondere im präfrontalen Kortex.

Ich bin ein Wrack
iStock/draganab

Burn-out sorgt für affektive und kognitive Veränderungen wie emotionale Erschöpfung, Depersonalisation oder Zynismus. Gleichzeitig reduziert sich das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Diese Veränderungen sind primär eine Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz, schreiben Dr. Amy Arnsten von der Yale School of Medicine, New Haven, und Dr. Tait Shanafelt. Bei Ärztinnen und Ärzten steht ein Burn-out mit Gefühlen des Kontrollverlusts hinsichtlich des eigenen beruflichen Handelns in Verbindung, die die Beziehungen zu Patient:innen und Kolleg:innen belasten, die Work-Life-Balance stören und in unkontrolliertem Stress enden.

Aufmerksamkeit und Entscheiden beeinträchtigt

Hirnforscher:innen konnten nachweisen, dass chronischer, unkontrollierbarer Stress am Arbeitsplatz organische Folgen hat. Der Stress wirkt sich demnach auf bestimmte zerebrale Schaltkreise toxisch aus. Insbesondere der präfrontale Kortex (PFC) leidet, der normalerweise eine Top-down-Regulation von Gedanken, Emotionen und Handlungen vornimmt. Er steuert viele Vorgänge, die für den medizinischen Alltag essenziell sind, z.B. abstraktes Denken, Entscheidungsfindung sowie die Fähigkeit, herausfordernde Situationen zu meistern. Auch an Planung und Organisation, der Aufmerksamkeitssteuerung, Motivation und einem angemessenen professionellen Sozialverhalten ist er entscheidend beteiligt. Doch die Leistungen des präfrontalen Kortex verbrauchen viel Energie und reagieren sehr sensibel auf Modulatoren wie Norepinephrin, Dopamin und Acetylcholin. Müdigkeit bzw. Schlafmangel stören metabolische und physiologische Vorgänge, was mit kognitiven Einbußen einhergeht.

Höherer Stellenwert für eigene Bedürfnisse

Der dauerhafte unkontrollierte Stress führt sogar zu einem Verlust an synaptischen Verschaltungen. Bei Menschen, die beruflich erschöpft sind, konnte eine Reduktion der grauen Substanz im PFC nachgewiesen werden; sie müssen vermehrte Anstrengungen unternehmen, um ihre kognitive Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig führen hohe Konzentrationen an Norepinephrin und Dopamin in anderen Hirnregionen zu besonders emotionalem Verhalten. Die gute Nachricht: Studien zeigen, dass sich die synaptischen Verbindungen in längeren Phasen der Entspannung erholen, sodass der PFC seine Funktion wieder aufnehmen kann.

Medizinerinnen und Mediziner im Hamsterrad

Burn-out bei Ärzt:innen ist keine Seltenheit. Kein Wunder, denn in den letzten Jahren hat sich das Arbeitsumfeld deutlich verändert: hohe Arbeitsbelastung, zunehmende administrative Anforderungen, finanzieller Druck, weniger Entscheidungsfreiheit und das Gefühl, mit dem medizinischen Fortschritt kaum noch mithalten zu können. Das hat Folgen, beruflich wie privat, schreiben die Autor:innen. Die Patient:innenversorgung leidet, Ehen und private Beziehungen zerbrechen und manche Betroffene tendieren zu problematischem Alkoholkonsum.

Weniger Arbeitszeit, effizientere Abläufe

Wer sich diese neurobiologischen Zusammenhänge bewusst macht, ist unter Umständen in der Lage, Burn-out-Symptomen vorzubeugen oder sie zu lindern. So ist es wichtig, zu realisieren, wenn die Belastung am Arbeitsplatz zu groß wird und zu Frustration führt. Dann sollte man innehalten, die vorhandenen Gefühle benennen (z.B. Frust, Wut, Erschöpfung) und körperliche Bedürfnisse (Hunger) stillen bzw. den eigenen Bedürfnissen wie Schlaf etc. einen höheren Stellenwert beimessen, raten die Experten. Manchmal sind auch längerfristige Änderungen nötig, räumen sie ein: beispielsweise für Struktur und gute Organisation sorgen, ineffiziente Arbeitsabläufe identifizieren und effektiver gestalten oder die Arbeitszeit reduzieren.

Auch für die Arbeitgeber:innen sind die neurobiologischen Erkenntnisse interessant; sie sollten das Arbeitsumfeld optimieren, Abläufe effektiver gestalten und ihre Mitarbeiter:innen stärker in Entscheidungsprozesse einbeziehen, sodass diese wieder mehr Kontrolle in ihrem Beruf erhalten. Dadurch können sie das Burn-out-Risiko senken.

Arnsten AFT, Shanafelt T. Mayo Clin Proc 2021; 96: 763–769; doi: 10.1016/j.mayocp.2020.12.027

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune