2. Okt. 2020Schmerzmedizin

Die Beschwerden weggespult

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation kann unter anderem die Schmerzwahrnehmung verändern. Bei vielen Patienten mit chronischen neuropathischen Schmerzen lassen sich die Beschwerden um bis zu 50 Prozent reduzieren – einen Monat lang.

Die wichtigste Zielregion der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) ist der primäre motorische Kortex (M1). Über dessen Stimulation lässt sich das mediale nozizeptive System beeinflussen. Da dieses die affektive Schmerzkomponente verarbeitet, steht am Ende eine verstärkte deszendierende Schmerzhemmung. Nicht nur die primär stimulierte kortikale Region, sondern auch weiter entfernt gelegene Hirnzentren werden auf diesem Weg im Sinne einer Metaplastizität moduliert, z.B. in Form einer Langzeitpotenzierung bzw. Langzeitdepression.

Meist wird bei der M1-rTMS mit Frequenzen > 1 Hz gearbeitet (s. Kasten). Die niederfrequentere Stimulation ist zwar weniger gebräuchlich, findet aber z.B. in anderen Hirnregionen wie dem dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLFPC) und dem posterioren parietalen Kortex Anwendung.

Es werden endogene Opioide freigesetzt

Insgesamt lassen sich die Schmerzen bei mehr als der Hälfte der behandelten Patienten mit rTMS-Protokollen um mehr als 35–50% lindern, schreiben Prof. Dr. Stefan M. Golaszewski und Prof. Dr. Raffaele Nardone von der Universitätsklinik für Neurologie und dem Neuroscience-Institut der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg.

Eine PET-Untersuchung gesunder Probanden hat gezeigt, dass eine einzige Sitzung mit einer 10-Hz-rTMS des primären Kortex zu einer signifikanten Freisetzung endogener Opioide führt. Allerdings ist dies nur einer der biologischen Mechanismen, der an der Schmerzreduktion beteiligt ist. Durch die Behandlung werden verschiedene schmerzmodulierende Systeme (Emotion, Aufmerksamkeit und somatosensible Empfindlichkeit) angesprochen, die in einem komplexen Zusammenspiel miteinander interagieren. Unter der rTMS kann sich die synaptische Aktivität auch langfristig verändern, sodass eine dauerhafte Schmerzlinderung erreicht wird.

Die Leitlinie der European Academy of Neurology empfiehlt die M1-rTMS bei neuropathischen Schmerzen und Fibromyalgie (Evidenzlevel A). In Studien konnten unter anderem bei postherpetischer Neuralgie die Schmerzen mit der rTMS – kontralateral zur Schmerzseite appliziert – durchschnittlich um 45–50% vermindert werden. Dieser Effekt hielt bis zu drei Monate nach Ende der rTMS an. Die Hälfte der Behandelten erreichte eine Schmerzreduktion um mindestens 50%.

In einer anderen Studie ließen sich neuropathische Schmerzen bei maligner Grunderkrankung bis zu zwei Wochen nach Ende der rTMS um 35–40 % vermindern. Der positive Effekt hielt bis zu einem Monat an. 80 % der Patienten erreichten eine Schmerzreduktion um > 30 %. Offene Studien, z.B. bei Patienten mit Gesichtsschmerzen und anderen neuropathischen Schmerzen, bestätigen dieses Bild. Dabei wurde beobachtet, dass der Effekt mit der Zahl der rTMS-Sitzungen zunahm.

Patienten mit Fibromyalgie profitierten von der rTMS (linker M1) mit einer Zunahme der mentalen, emotionalen und sozialen Lebensqualität.

Nichts für Schwangere und Cochleaimplantat-Träger

Eine Schmerzlinderung ist dagegen über Stimulation des DLFPC (links, z.B. mit 10 Hz) wahrscheinlicher zu erreichen. Positive Effekte werden auch bei Phantomschmerz, brennendem Mund, Migräne und anderen Kopfschmerzformen berichtet. Doch die Datenbasis ist bei diesen und anderen weiteren Schmerzformen für eine Empfehlung zu dünn.

Als absolute Kontraindikationen gegen die rTMS gelten ein erhöhtes Risiko für zerebrale Krampfanfälle, Epilepsie, Schwangerschaft, das Tragen von intrakraniellen elektronischen Geräten (Cochleaimplantat, tiefe Hirnstimulation), schreiben die Autoren. Auch andere intrakraniell vorhandene Metalle von ferromagnetischen Gefäßclips bis Metallsplittern im Auge schließen eine rTMS aus. Patienten mit Herzschrittmachern können stimuliert werden, wenn die Spule mindestens 10 cm vom implantierten Impulsgenerator entfernt ist.

Da TMS-Pulse eine Lautstärke bis zu 120 dB erreichen können, müssen die Patienten während der Therapie einen Gehörschutz tragen. Trotzdem können Tinnitus und Hörminderung als Nebenwirkungen auftreten. Auch Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden und neuropsychologische Veränderungen sind möglich.

Mehr Hertz für Patienten

Je nach Ziel der rTMS werden zwei verschiedene Frequenzbereiche genutzt. Behandlungen mit niederfrequenten Pulsserien (≤ 1 Hz) vermindern die kortikospinale Erregbarkeit, Pulse > 1 Hz erleichtern sie. Die Behandlung mit höherer Frequenz entspricht dem pathophysiologischen Konzept, das auch der invasiven Motorkortexstimulation zugrunde liegt.

Die gesammelte Evidenz hat dazu geführt, dass heutzutage im Rahmen einer M1-Stimulation hauptsächlich Frequenzen im Bereich von 10–20 Hz genutzt werden und zwar mit 100 bis > 1000 Pulsen pro Sitzung. Dabei liegt die Stimulationsintensität zwischen 80 % und 110 % der motorischen Reizschwelle.

Quelle: Golaszewski SM, Nardone R. Nervenheilkunde 2020; 39: 382–389; doi: 10.1055/a-1124-0007

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune