22. Juni 2022

Markanter Anstieg bei Spitalszahlen erwartet; Zunahme schwerer Essstörungen um 48 Prozent

+++ Experten rechnen mit deutlichem Anstieg bei Spitalszahlen – Experte Elling: Nächste Welle kommt jetzt – Schwere Essstörungen während Pandemie um 48 Prozent angestiegen – Studie: Frühe Omikron-Infektion wohl kein wirksamer Schutz – EMA prüft Omikron-Impfstoff von Moderna – US-Präsident Biden wirbt für Impfung für Unter-Fünfjährige +++

Coronavirus Warnung
GettyImages-1201383916

Experten rechnen mit deutlichem Anstieg bei Spitalszahlen

Das Covid-Prognosekonsortium geht davon aus, dass sich die steigenden Corona-Infektionsanzahlen schon bald in den Spitälern bemerkbar machen werden. In den kommenden zwei Wochen muss demnach mit einer Verdreifachung der Covid-19-Patienten im Normalpflegebereich gerechnet werden. Auf den Intensivstationen (ICU) rechnen die Experten in ihrer aktuellen Einschätzung bis Anfang Juli mit doppelt so vielen stationär aufgenommenen Covid-Kranken wie derzeit.

Was die Infektionszahlen betrifft, werden diese in den kommenden Tagen weiter in die Höhe schnellen. Am Mittwoch, 22. Juni, war die Zahl der Neuinfektionen wieder fünfstellig: Innen- und Gesundheitsministerium meldeten 10.898 neue Fälle binnen 24 Stunden. Aufgrund der zunehmenden Dominanz der Omikron-Subvarianten BA.4/BA.5, die infektiöser sind als BA.2, sei "eine beschleunigte Dynamik" zu erwarten, hält das Konsortium fest. Konkret bedeutet das, dass bis kommenden Mittwoch (29. Juni) bereits bis zu 17.000 tägliche Neuinfektionen einzukalkulieren sind. Der vom Konsortium errechnete Punktschätzer beträgt 13.170. Die Sieben-Tage-Inzidenz dürfte wieder auf über 1.000 neue Fälle je 100.000 Einwohner steigen. Als Bandbreite wird von den Experten ein Wert zwischen 820 und 1.350 mit einem Punktschätzer von 1.027 angegeben. Zum Vergleich: Zuletzt betrug bei 7.281 behördlich bestätigten Infektionen mit SARS-CoV-2 die Sieben-Tage-Inzidenz 478,1 (Zahlen vom Dienstag, 21. Juni).

In Wien und Salzburg waren in der Vorwoche laut Prognosekonsortium die Sub-Varianten BA.4/BA.5 schon für mehr als 70 Prozent aller Infektionen verantwortlich. "Hierzu ist anzumerken, dass insbesondere seit der Dominanz der Omikron-Variante ein zunehmender Anteil an Zufallsbefunden im Spitalsbelag auftritt, deren primäre Hospitalisierungsursache nicht Covid-19 ist", betonen die Experten. (APA/red)

Experte Elling: Nächste Welle kommt jetzt

Was die Corona-Zahlen andeuten, hat der Genetiker Ulrich Elling auf Twitter und im Gespräch mit der APA am Dienstag, 21.6., untermauert: "Es wird eine Welle, es wird auch wieder hoch", sagte er. Aber: "Wir können noch etwas machen." Der Experte vom Institut für molekulare Biotechnologie der Akademie der Wissenschaften sprach dabei besonders den Schutz älterer und besonders vulnerabler Menschen an. Eine weitere Booster-Impfung würde etwa den Schutz gegen Spitalsaufenthalte erhöhen.

"Sowohl die Gesellschaft als auch die Politik hängt dem Irrglauben an, dass es sich bei der Corona-Pandemie um eine saisonal auftretende Krankheit handelt", sagte Elling. Die Jahreszeit sei aber nur ein Faktor, den die Variante Omikron BA.5 zum Beispiel mehr als wettmachen dürfte. Der Genetiker nannte es eine geradezu absurde Strategie, sich mit einer potenziell tödlichen Krankheit zu infizieren und so einen Immunschutz gegen diese potenziell tödliche Krankheit aufzubauen. Elling wies in diesem Zusammenhang auf Daten einer noch nicht öffentlichen ausgedehnten Studie unter US-Veteranen hin. Diese Daten deuten nämlich darauf hin, dass das Risiko eines Spitalsaufenthalts bei Mehrfachinfizierten bei der Zweitinfektion mit Corona höher ist als bei der Erstinfektion.

Elling leitete daraus folgende Strategie ab: "Es herauszufordern bringt nichts." Im Gegenteil, Ziel müsse sein, die Zahl der Infektionen bei jeder Welle möglichst gering zu halten. Was die Politik hingegen mache, ist, darauf zu hoffen, dass eine Durchseuchung im Sommer die Welle im Herbst kleiner macht. "Das geht aber nur auf, wenn die Virusvariante im Herbst der im Sommer sehr ähnlich wäre", gab Elling zu bedenken. Und dass das so ist, sei nicht gesagt.

Eine Möglichkeit ist, Über-65-Jährige jetzt zu boostern. Dies müsse aber schnell gehen, so der Wissenschafter. Wenn man in einer Woche 20.000 Infektionen pro Tag habe, sei es zu spät. Spezifische Impfstoffe gegen die Omikron-BA.5-Variante würden erst kommen, wenn die Welle durchgelaufen ist, daher wäre ein Booster möglichst schnell notwendig. Dieser würde nicht gegen die Infektion helfen – eine Auffrischung zur Sicherung des Sommerurlaubs bringt wohl nichts –, aber gegen schwere Verläufe. "BA.5 ist außerdem besonders gut darin, den Immunschutz nach Infektionen zu umgehen. Der Schluss liegt nahe, dass BA.5 auch besonders gut darin ist, den Immunschutz nach Impfungen zu umgehen", erläuterte Elling.

Der Forscher plädierte für weitere gelinde Maßnahmen, um die Welle möglichst kleinzuhalten. Eine davon könnte die Maskenpflicht sein. "Sie kann die Welle allein nicht stoppen. Sie kann sie aber abflachen und wohl auch früher knicken." Und es würde der Schutz besonders vulnerabler Menschen verbessert werden. Außerdem: "Bei 30.000 Fällen pro Tag im Sommer brauchen wir keine Masken, bei 30.000 Fällen pro Tag im Herbst aber schon. Das ist nicht nachvollziehbar", kritisierte Elling.

Auch das Testangebot wieder auszudehnen, wäre dem Genetiker zufolge wieder hilfreich. "So könnte man sich etwa wieder testen lassen, bevor man besonders vulnerable Menschen trifft", erläuterte Elling.

Die AGES aktualisierte am Dienstag ihren Datensatz zur Sieben-Tage-Inzidenz nach der Anzahl der sogenannten Immunologischen Events, also vorhergehenden Infektionen und Impfungen. Am bisher letzten verfügbaren Tag, dem vergangenen Sonntag (19.6.), lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei Menschen, die bisher weder infiziert waren noch geimpft wurden, bei 605,45 pro 100.000 Einwohner. Bei Menschen mit unzureichender Immunisierung lag die Inzidenz bei 576,14. Menschen, die ein bis zwei immunologische Events durchgemacht haben, also Infektion und eventuell noch eine Impfung, sank die Inzidenz auf 122,96. Bei Menschen mit mehr als zwei immunologischen Events war sie am Sonntag überhaupt zweistellig, bei 87,04. Untersucht wurden Menschen von zwölf bis 74 Jahren. (APA)

Zunahme schwerer Essstörungen um 48 Prozent

In Österreich litten noch vor einigen Jahren rund 7.500 Jugendliche (95 Prozent Mädchen) allein an der Essstörung Anorexia nervosa. International stehen die Zeichen mit der Covid-19-Pandemie derzeit auf Sturm. Laut einer kanadischen Übersichtsarbeit mit 53 berücksichtigten Studien hat sich die Häufigkeit von schweren Essstörungen während der Pandemie um fast die Hälfte erhöht, warnten jetzt auch deutsche Experten.

Erst nach und nach stellten sich jetzt die Folgen der Pandemie auf die psychische Gesundheit heraus, hieß es am Montag, 20.6., in einer Aussendung anlässlich des Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin: "Schon jetzt konsistent und in verschiedenen Studien und Erhebungen nachgewiesen, zeigt sich, dass Jugendliche und junge Menschen psychisch stärker belastet waren als ältere, und Frauen mehr als Männer – beispielsweise stiegen die Krankenhauseinweisungen wegen Essstörungen in den Corona-Zeiten um 48 Prozent."

Die Daten dazu stammen aus einer Übersichtsarbeit von Danel Devoe, die vor einigen Wochen in "Eating Disorders" erschienen ist (https://doi.org/10.1002/eat.23704). Die kanadischen Wissenschafter hatten die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema zwischen November 2019 und Oktober 2021 systematisch durchforstet. Insgesamt konnten sie zum Thema der Häufigkeit der Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa, Bulimie, Binge Eating) die Daten von 53 Studien mit 36.485 Betroffenen analysieren.

"Die gepoolten Informationen zur den Krankenhausaufnahmen über alle Studien hinweg zeigten einen Anstieg um 48 Prozent während der Pandemie im Vergleich zur Zeit vor Covid-19 mit verschiedenen Zeitmesspunkten", schrieben die Wissenschafter. Das sei in 19 wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden, ein Anstieg von Angstzuständen in neun Untersuchungen und mehr Fälle von Depressionen in acht Studien. Die Zunahmen seien aber auch abhängig von der Diagnosestellung und von ihrem Zeitpunkt. So hätten auch die Lockdowns eine Rolle gespielt. Anorexia nervosa ist zu 80 Prozent heilbar. Es gibt aber auch eine Mortalität von jährlich 0,5 Prozent.

"Grundsätzlich rufen belastende Ereignisse wie Angst vor Ansteckung und Tod, finanzielle Sorgen, soziale Isolation und Überforderung, zum Beispiel durch Parallelität von Beruf und Kinderbetreuung während der Schulschließungen, psychische Reaktionen hervor – das ist zunächst einmal normal und kein Zeichen einer psychischen Störung", sagte dazu Stephan Herpertz, Präsident des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin und Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bochum. "So mehren sich aktuell die Hinweise, dass die Dynamik der psychischen Reaktionen unmittelbar dem infektionsepidemiologischen Geschehen zu folgen scheint – also mit abnehmenden Fallzahlen auch die psychischen Belastungen zurückgehen."

Relativ konsistent zeige sich über verschiedene Studien und Erhebungen hinweg, dass junge Menschen in der Pandemie psychisch stärker belastet waren. "So haben sich beispielsweise mehr junge Menschen und mehr Frauen als Männer während der Lockdowns einsam gefühlt", sagte Hans-Christoph Friederich, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg. Allerdings sei Einsamkeit vor der Pandemie ein weit verbreitetes, aber kaum adressiertes Phänomen gewesen.

In der kanadischen Studie hätte sich sowohl ein Anstieg von Angstzuständen und Depressionen als auch eine Verschlechterung bereits bestehender Essstörungen gezeigt, stellten die deutschen Experten fest. "Ausschlaggebend war dabei vor allem die Trias aus Verlust der Tagesstruktur, Rückgang sozialer Beziehungen und der häufig kompensatorisch gesteigerte Konsum von digitalen Medien", erklärte Herpertz.

Wichtig für die Aufarbeitung und den Umgang mit den psychischen Folgen der Pandemie sei momentan vor allem zu eruieren, welche psychischen Belastungen oder Erkrankungen eine Tendenz zur Chronifizierung hätten und wie man das am besten verhindern könne. "Außerdem hat die Pandemie noch einmal ein Schlaglicht auf bereits lange bestehende Problematiken geworfen: die Unterversorgung und die Wartezeiten auf einen Therapieplatz etwa, aber auch kaum beachtete, jedoch sehr relevante gesamtgesellschaftliche Probleme wie Einsamkeit, die auf gesellschaftlicher, kommunaler und individueller Ebene besser angesprochen und auch in der Gesundheitsversorgung erfasst werden müssen", so Friederich. (APA)

Studie: Frühe Omikron-Infektion wohl kein wirksamer Schutz

Eine Infektion mit der ersten Omikron-Variante BA.1 schützt einer Studie zufolge möglicherweise nicht vor einer Neuinfektion mit späteren Varianten dieses Strangs. Wie chinesische Wissenschafter in der Fachzeitschrift "Nature" berichtet haben, könnten daher Auffrischungsimpfungen auf der Basis von BA.1, wie sie von Pfizer/BioNTech entwickelt werden, "möglicherweise keinen breiten Schutz gegen neue Omikron-Varianten bieten", heißt es unter Berufung auf Labor-Experimente.

Nicht an der Studie beteiligte Forscher erklärten dazu, Impfungen dürften weiter gegen schwere Verläufe schützen und sollten vorgenommen werden. "Wenn Sie mit einem Booster an der Reihe sind, holen Sie sich den Booster", sagt Onyema Ogbuagu von der US-amerikanischen Universität Yale. (APA/Reuters)

EMA prüft Omikron-Impfstoff von Moderna

Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hat das Prüfverfahren für den auf die Omikron-Variante angepassten Corona-Impfstoff des US-Herstellers Moderna eingeleitet. Der Impfstoff soll besser vor einer Infektion mit dem Virus und seiner Omikron-Variante schützen, wie die EMA am Freitag, 17.6., in Amsterdam mitteilte. Die Experten werden zunächst die Daten aus Laborstudien prüfen sowie Daten zur Zusammensetzung, Herstellung und zum Kontrollverfahren.

Das US-Unternehmen hatte am 8. Juni erste Daten zur Wirksamkeit seines angepassten Corona-Impfstoffes vorgestellt. Die 437 Probanden, die das neue Präparat als zweiten Booster erhalten hatten, hatten nach einem Monat deutlich mehr neutralisierende Antikörper als nach einer Booster-Impfung mit dem herkömmlichen Präparat, insbesondere gegen Omikron.

Nach dem beschleunigten Prüfverfahren werden Daten aus Tests und Studien laufend bewertet, auch wenn noch nicht alle Daten vorliegen und noch kein Zulassungsantrag gestellt wurde. Durch das schnelle Verfahren soll gewährleistet werden, dass Gesundheitsbehörden der EU-Staaten rechtzeitig vor einer möglichen neuen Infektionswelle im Herbst über angepasste Impfstoffe verfügen.

Erst am Mittwoch,15.6., hatte die EMA das Prüfverfahren für einen auf Virusvarianten angepassten Corona-Impfstoff der Hersteller Pfizer und Biontech gestartet. Wie lange die Prüfungen dauern werden, ist nicht bekannt. Bisher ist noch kein Impfstoff in der EU zugelassen, der auch auf Varianten des Coronavirus zielt. (APA/dpa)

US-Präsident Biden wirbt für Impfung für Unter-Fünfjährige

US-Präsident Joe Biden hat den Beginn der Impfkampagne für Kinder im Alter von sechs Monaten bis zu fünf Jahren als "historischen Meilenstein" bezeichnet. Die Verfügbarkeit der Corona-Impfung für die Kleinsten sei ein "bedeutender Schritt nach vorne", sagte Biden am Dienstag, 21.6., im Weißen Haus. "Fast jeder Amerikaner kann nun Zugang zu lebensrettenden Impfungen haben", sagte er. Biden appellierte an alle Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen.

Die Impfungen seien nach "ausführlicher wissenschaftlicher Überprüfung" genehmigt worden und seien "sicher und wirksam", betonte der Präsident. Falls Eltern Fragen dazu hätten, sollten sie diese mit ihrem Arzt besprechen. Biden forderte zudem, die Impfungen nicht politisch zu instrumentalisieren. "Das ist keine Zeit für Politik. Es geht darum, dass Eltern alles in ihrer Macht Stehende tun können, um ihre Kinder zu schützen", sagte Biden. Unmittelbar zuvor hatte Biden in der Hauptstadt Washington ein Impfzentrum für Kinder besucht.

Nach einem Beratergremium der US-Arzneimittelbehörde FDA hatte sich am Wochenende auch die Gesundheitsbehörde CDC für den Einsatz von Coronavirus-Impfstoffen bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren ausgesprochen. Sowohl der Impfstoff der Hersteller Biontech und Pfizer als auch das Präparat von Moderna könnten für etwa 18 Millionen Kleinkinder zum Einsatz kommen, hieß es.

Zuvor war der Impfstoff von Biontech/Pfizer in den USA für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassen, der Impfstoff von Moderna für Erwachsene. Vergangene Woche hatte sich das FDA-Beratergremium aber dafür ausgesprochen, den Moderna-Impfstoff auch für Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren zuzulassen. In der EU ist derzeit noch kein Corona-Impfstoff für sehr junge Kinder zugelassen. (APA/dpa)