15. Feb. 2024Das Ziel: frühzeitig diagnostizieren

Krebs im Kindesalter besser verstehen

An der St. Anna Kinderkrebsforschung (St. Anna CCRI) untersucht Principal Investigator  Dr. Florian Halbritter mit seinem Team, wie Fehler in der frühen Entwicklung von Vorläuferzellen zur Entstehung von pädiatrischen Tumoren beitragen. Im Interview spricht er über bestehende Herausforderungen in Diagnostik und Behandlung, die Notwendigkeit von Kollaborationen und künftige Anwendungsgebiete seiner Forschung.

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CliniCum onko: In Ihrer täglichen Arbeit widmen Sie sich der Erforschung von Krebs im Kindesalter. Worin liegt Ihre Motivation?

Dr. Florian Halbritter: Persönlich bin ich erst vor wenigen Jahren in die Kinderkrebsforschung geraten. Ich bin ursprünglich Informatiker und bin über die Jahre zunächst in die biologische Forschung und dann vor einigen Jahren in die Kinderkrebsforschung sozusagen „hineingerutscht“. Ich war Teil eines kollaborativen Projekts auch mit einer anderen Forscherin hier an der St. Anna Kinderkrebsforschung. Wir haben an einer besonderen, seltenen Form von Kinderkrebs, der Langerhans-Zell-Histiozytose, gearbeitet. Und das hat mich fasziniert, weil ich hier den Einklang von den Forschungsthemen, die mich schon vorher interessiert haben – die Entwicklung von Zellen und was sich auf molekularer Ebene ändert –, mit etwas, das einen praktischen Nutzen hat, gesehen habe. Das hat mich begeistert, und ich dachte, da kann ich zu etwas beitragen, das Bedeutung hat.

Wie unterscheiden sich pädiatrische Krebserkrankungen von Krebs bei Erwachsenen?

Die meisten Krebsarten bei Erwachsenen treten im höheren Alter auf. Das heißt, hier haben die Menschen schon ein ganzes Leben hinter sich, in dem die Zellen immer mehr Mutationen anhäufen konnten. Diese Anhäufung von Mutationen, ermöglicht den Zellen letztendlich, unkontrolliert zu wachsen und dem Immunsystem des Körpers zu entgehen.
Kinder hingegen haben kein langes Leben hinter sich und haben daher auch nicht diese Anhäufung von Mutationen. Stattdessen sind es einzelne, besonders katastrophale Ereignisse, die sich aber zu einer Zeit abspielen, in der die Zellen noch sehr plastisch sind. In diesem Zeitfenster der Entwicklung sind die Zellen anfällig für solche Mutation. Der große Unterschied besteht also in der Anzahl der Mutationen. Bei Kindern sind es wenige, die aber zu einem besonderen Zeitpunkt ihren Effekt zeigen.

Wo sehen Sie derzeit die größten Lücken in der Diagnose und Behandlung von pädiatrischen Krebserkrankungen?

Allgemein gab es riesige Fortschritte in der Behandlung von Kinderkrebs. Der Großteil aller Fälle kann zu einem gewissen Grad geheilt werden. Allerdings bestehen noch ein paar sehr kritische Lücken. Das sind zum einen besonders aggressive Formen von Kinderkrebs, zum anderen sind Rückfälle und Metastasen ein großes Problem. Ein weiterer Punkt sind die Langzeitfolgen der Behandlung. Die breiten Behandlungen, wie etwa Chemotherapien, die angewendet werden, sind zwar effektiv, haben aber sehr viele Nebeneffekte. Sie zerstören zwar den Krebs, aber richten auch im Körper einiges an Schaden an.

Das heißt, eine der Herausforderungen ist es, diese Behandlungen spezifischer zu machen. Wir müssen zudem noch einen Schritt zurückzugehen und die Diagnosen spezifischer machen, um wirklich nur so viel Behandlung einzusetzen, wie notwendig ist. Gleichzeitig müssen gewisse molekulare Fehler gezielt angegriffen werden, statt mit dem Vorschlaghammer hineinzugehen, wie wir das zurzeit noch machen.

Eines Ihrer Projekte, für das Sie vor kurzem auch eine Förderung durch den FWF erhalten haben, zielt darauf ab, zu verstehen, wieso sich nicht alle Zellen mit genetischen Mutationen zu Tumoren entwickeln. Wie untersuchen Sie das und welche Erkenntnisse können dadurch gewonnen werden?

In diesem Projekt vergleichen wir gezielt die Entwicklung des Neuroblastoms und des Nephroblastoms, die entwicklungsbiologisch ähnlich entstehen. Das eine aus der Entwicklung der Neuralleiste, das andere aus der Entwicklung der Niere. Physisch liegen diese sehr nah beieinander, allerdings entstehen sie aus verschiedenen frühen Vorläuferzellen. Wir haben beobachtet, dass verschiedene Mutationen gehäuft im Neuroblastom oder im Nephroblastom auftauchen, die allerdings Gene beeinflussen, die in beiden Entwicklungslaufbahnen aktiv sind. Warum das der Fall ist, verstehen wir bis heute nicht so richtig.
Wir hoffen, das in diesem Projekt erforschen zu können, indem wir diese Entwicklungslaufbahn gezielt im Labor nachstellen. Da dieser Prozess normalerweise im Embryo stattfindet und wir dies nicht aktiv beobachten können, verwenden wir Stammzellmodelle, mit denen wir gezielt einzelne Schritte der Entwicklung im Labor nachbauen und auch gezielt Mutationen einbringen können. Mithilfe von genomischen Methoden werten wir im Anschluss aus, zu welchen Änderungen diese führen, und verstehen dadurch hoffentlich, warum es in einer der Entwicklungslaufbahnen zum Krebs führt und in der anderen nicht. Wenn wir das besser verstehen, können wir auch probieren, dieses Wissen zu nutzen. Das ist jetzt zwar noch Zukunftsmusik, aber wir hoffen, damit die Grundlagen zu schaffen, um weiter forschen zu können.

Ihr Team kollaboriert für dieses Projekt nicht nur mit Forschungsgruppen der St. Anna Kinderkrebsforschung, sondern auch auf internationaler Ebene. Wie wichtig ist diese Zusammenarbeit für Ihre Forschung?

Sehr wichtig. Allgemein ist die biologische Forschung – insbesondere die biomedizinische Forschung – eigentlich von einer einzelnen Forschungsgruppe nicht mehr durchführbar. Das Fachgebiet meiner Gruppe ist die Analyse der Daten. Wir sind hauptsächlich am Computer tätig.
Wir führen diese verschiedenen Modelle, die ich gerade beschrieben habe, nicht selbst durch. Stattdessen kollaborieren wir hier mit den Expertinnen und Experten der jeweiligen Modelle. In dem speziellen Projekt sind das Forschende in Großbritannien, in Sheffield, und auch in Japan, in Kobe. Mit deren Hilfe werden die Experimente durchgeführt und wir analysieren anschließend hier die Daten.

Der Fokus Ihres Teams liegt nicht nur auf dem Neuroblastom, sondern gleich auf mehreren pädiatrischen Krebsarten. Ist es der Einsatz bestimmter Technologien, der es Ihnen erlaubt, mit einem ähnlichen Ansatz gleich mehrere Erkrankungen zu erforschen?

Genau. Es ist vor allem der Einsatz der gleichen Methodik, die uns erlaubt, bei verschiedenen Krankheiten ähnliche Fragen zu stellen. Uns interessiert ganz besonders diese Verknüpfung der Entwicklung und der frühesten Krebsstadien, die über verschiedene Krebssorten hinweg – zumindest im Prinzip – ähnlich ist. Was genau passiert, das versuchen wir herauszufinden.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Forschung im Bereich der pädiatrischen Onkologie durch den vermehrten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) verändern? Rechnen Sie mit einer Geschwindigkeitssteigerung oder einem Effekt auf die Qualität der Daten?

In meiner Forschungsgruppe verwenden wir die KI oder die Methoden des maschinellen Lernens zur Verbesserung der Datenanalyse. Diese helfen uns, verschiedene Daten, die zum Teil sehr wirr sind, in Einklang zu bringen und besser und schneller miteinander zu vergleichen. Andere Forschungsgruppen verwenden die KI zum Beispiel auch, um Bilderkennung und Bildverarbeitung schneller und besser zu machen. Wiederum andere Gruppen, nutzen die KI, um Entscheidungsfindungen zu unterstützen. Es gibt also sehr diverse Einsatzmöglichkeiten, und ich glaube, dass eigentlich alle Forschungsgruppen– in Zukunft auch diagnostische Gruppen – vermehrt die Methoden einsetzen werden.

Wir konzentrieren uns auf das, was uns bei der Datenanalyse direkt unterstützen kann. Wir entwickeln auch keine dieser KI-Methoden direkt, wir setzen die ein, die für uns nützlich erscheinen.

Eine letzte Frage: Haben Sie ein persönliches Ziel, das Sie in den nächsten Jahren mit Ihrer Forschung erreichen möchten?

Auf lange Sicht ist unser Traum, dass wir, wenn wir die frühesten Entwicklungsschritte im Krebs besser verstehen – und diese auch frühzeitig diagnostizieren können – mithilfe unserer Stammzell- und Computermodelle gezielte Ansätze für einzelne Patientinnen und Patienten entwickeln können, mit denen wir vielleicht sogar noch in die Entwicklung des Krebses eingreifen können, bevor er voll entstanden ist. Wir hoffen, in den nächsten Jahren die ersten Schritte dafür zu legen, indem wir – nicht auf einzelne Personen bezogen, sondern im größeren Rahmen – diese ersten Entwicklungsschritte genau kartografieren, um so die Prinzipien zu verstehen.

In der näheren Zukunft glaube ich, dass die realistischsten Einsatzgebiete unserer Forschung, die Fälle sein könnten, in denen wir schon eine Familiengeschichte haben, also eine Prädisposition zur Tumorentwicklung besteht. Sodass wir nicht bei jedem Kind eine vollständige Sequenzierung durchführen müssen, sondern eventuell die Fälle untersuchen, wo wir schon einen gewissen Verdacht haben, dass ein Tumor entstehen könnte.

Harald Eisenberger

Dr. Florian Halbritter

Dr. Florian Halbritter ist Principal Investigator an der St. Anna Kinderkrebsforschung. Der Fokus seiner Gruppe liegt auf der Erforschung der Entwicklung pädiatrischer Krebserkrankungen mithilfe computergestützter Genomik.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum onko