Warum Abnehmen bei Jugendlichen häufig nicht klappt
Iss weniger, beweg dich mehr, dann purzeln die Kilos von ganz allein. Das funktioniert in der Theorie. Die steigende Zahl adipöser Kinder und Jugendlicher beweist das Gegenteil. Dabei müsste oft nur wenig geändert werden, damit junge Patienten leichter abspecken.
Mehr als jeder fünfte Jugendliche schleppt überflüssige Pfunde mit sich herum. Das geht nicht nur zulasten des Herz-Kreislauf-Systems und Stoffwechsels, sondern macht auch den Weg frei für Depressionen und Ängste. Weil ein Großteil vermutlich noch im Erwachsenalter mit Übergewicht zu kämpfen hat, belastet das Plus auf der Waage zudem das Gesundheitswesen dauerhaft. Nun ist es nicht so, dass es keine Abspeckprogramme für adipöse Kinder und Jugendliche gibt – sie führen jedoch nur selten zum Erfolg, urteilen die Pädiater Professor Dr. Leonard H. Epstein und Professor Dr. Teresa Quattrin von der University of Buffalo.1
Wieso die Interventionen oft versagen und was es braucht, um diese zu verbessern, hatte kürzlich ein Team um Professor Dr. Michelle I. Cardel vom Department of Health Outcomes and Biomedical Informatics and Pediatrics von der University of Florida in Gainesville untersucht.2 Ihrer Ansicht nach liege das Kernproblem darin, dass die bestehenden und durchaus erfolgreichen Programme von erwachsenen Übergewichtigen einfach auf junge Patienten aufgestülpt werden –ohne deren emotionale und mentale Entwicklung zu berücksichtigen. Weil diese sich auch zwischen dem elften und 21. Lebensjahr häufig und schnell ändert, reicht zudem nicht ein Angebot für alle Kinder und Jugendliche. Dieses muss an Alter und Geschlecht, Pubertätsstadium, Körpergewicht plus assoziierte Beschwerden sowie psychosoziale und familiäre Umstände angepasst werden, so die Autoren.
Lebensmittelampel senkt BMI um bis zu 2,6 kg/m2
Am besten untersucht sind multimodale Abnehmprogramme. Eine Kombination aus Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie, veränderten Gewohnheiten und ggf. einer Pharmakotherapie bzw. OP sollten nach Ansicht der Kollegen die Basis bilden, um möglichst langfristig Gewicht zu reduzieren. In Sachen Ernährung konnte z.B. das «Ampel»-System bereits punkten. Diese Einteilung von Lebensmitteln war in Studien mit einem signifikanten Gewichtsverlust von 0,18–2,6 BMI-Punkten innerhalb von 6–24 Monaten assoziiert. Dahinter steckt die Idee, die Quantität und die Qualität des bisherigen Konsums zu verbessern und so die Kalorienzufuhr nachhaltig zu senken. So sieht die Ampel aus:
- „Grün“ steht für kalorienarme und nährstoffreiche Produkte wie Obst und Gemüse, die man quasi immer essen darf.
- „Gelb“ kennzeichnet nährstoff- und kalorienreiche Lebensmittel, auf die Abnehmwillige maßvoll zurückgreifen dürfen.
- „Rote“ Produkte strotzen vor Energie, liefern aber wenige Nährstoffe, weshalb sie nur selten auf den Speiseplan gehören.
Die allgemeine Empfehlung, sich im Alltag mehr zu bewegen, kennt mittlerweile sicher jeder. Für Jugendliche unter 21 Jahren konnten die Autoren keine gesonderten Regeln ausmachen, weshalb auch für sie gilt: Mindestens fünfmal pro Woche jeweils 30 Minuten mäßig körperlich betätigen oder dreimal 20 min intensiv sporteln. Wie ist dabei egal. Allerdings sollten sie täglich nicht länger als zwei Stunden vorm Bildschirm sitzen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Kombi aus diesem Plus an Bewegung und einer Ernährungsumstellung die Pfunde bereitwilliger purzeln lässt als der alleinige Verzicht auf Süßes und Co.
Gerade bei jüngeren Kindern liegt es nahe, dass die vielen neuen Ver- und Gebote nicht sofort auf Gegenliebe stoßen. Interventionen aus der Verhaltenstherapie können an dieser Stelle helfen. Die jungen Patienten lernen z.B. mit negativen Gefühlen umzugehen, sich Ziele zu setzen und besser zu kontrollieren (Stichwort Schokoladeverzicht). Vielversprechend scheinen systemische Ansätze, die noch stärker die Rolle der Familie und der einzelnen Mitglieder berücksichtigen. Studien zufolge profitieren Jüngere etwas besser als Ältere.
Im Schnitt können Teilnehmer solcher multimodalen Ansätze ihr Körpergewicht um 1,9–2,9 % reduzieren – also nicht sonderlich viel. Einen Vorteil sehen Cardel und Kollegen allerdings im Nebenwirkungsprofil, das quasi Null beträgt. Ein erhöhtes Risiko für Essstörungen sei nicht zu befürchten. Zudem könnten sich begleitende depressive oder Angst-Symptome bessern.
Medikamente sollten nur dann eingesetzt werden, wenn mit den bisher genannten Therapien gar nichts geht. Die Autoren nennen einige Präparate, von denen jedoch keines in der EU für Kinder und Jugendliche zugelassen ist. Derzeit läuft eine Untersuchung mit hoch dosiertem Liraglutid (3 mg/d). Der GLP1-Rezeptor-Agonist konnte seine Sicherheit und Wirksamkeit bereits bei jüngeren Diabetespatienten unter Beweis stellen. Vermutlich der effektivste (und schnellste) Weg, langfristig abzuspecken, ist nach Aussage der Kollegen gleichzeitig der invasivste: ein bariatrischer Eingriff. Er kann eine Option bei schwerstem Übergewicht oder starken Komorbiditäten bieten.
OP bei Teenagern mit besseren Erfolgsaussichten
Laut Studienlage schicken jedoch nur wenige Ärzte ihre adipösen Teenager zum Chirurgen – auch wenn deren Chance, einem Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck zu entkommen, deutlich größer ist als von Erwachsenen. Man sollte also die Möglichkeit zumindest im Hinterkopf behalten, schreiben die Autoren. Maßnahmen wie Magenballons, die das Magenvolumen vermindern und so schneller zu einem Sättigungsgefühl führen sollen, sind bislang zwar kaum erprobt. Aber sie bieten immerhin den Vorteil, dass man sie bei Bedarf rückgängig machen kann.
ER/mf
Referenzen:
1. Epstein LH, Quattrin T. JAMA Pediatr 2020; 174(6): 527–528.
2. Cardel MI et al. A. a. O.;doi: jamapediatrics.2020.0085