26. Okt. 2017

Die Spur von Darmbakterien zur MS

Die Inzidenz der multiplen Sklerose ist in Japan in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Die Suche nach den Ursachen ist in vollem Gange und liefert auch Ergebnisse, die für die MS-Forschung außerhalb Japans von Bedeutung sind.

Dr. Takashi Yamamura vom National Institute of Neuroscience erläutert das Problem anhand von Daten aus der Provinz Tokachi, wo noch in den 1980er Jahren die jährliche MS-Inzidenz in der Region von 0,2 auf 100.000 Einwohner lag. Mittlerweile bewegt sie sich bei Frauen zwischen 1,2 und 1,4. Die Ursachen müssen im Lebensstil liegen, denn eine Veränderung genetischer Faktoren ist in dieser kurzen Zeit auszuschließen. Einige bekannte oder vermutete Risikofaktoren konnten ausgeschlossen werden. Denn sowohl der Salz- auch der Tabakkonsum gingen parallel zur steigenden MS-Inzidenz zurück. Allerdings wurde gleichzeitig mit der Zunahme der MS-Erkrankungen eine praktisch simultan verlaufende Zunahme der Fälle von Morbus Crohn beobachtet. Und auffallend viele japanische MS-Patienten waren nach oder während Auslandsaufenthalten erkrankt. Unter den Patienten an Yamamuras Klinik hatten 12,5 Prozent vor ihrer Erkrankung längere Auslandsaufenthalte in westlichen Ländern absolviert. Zusammenhänge mit der Ernährung sind also naheliegend. Yamamura verweist unter anderem auf das traditionelle japanische Frühstück mit fermentierten Sojabohnen und Fisch, das heute kaum noch gegessen wird. Auch eine Abnahme des Konsums von Ballaststoffen (Fiber) ist dokumentiert.

Butyratbildende Bakterien modulieren T-Zellen

Als Bindeglied zwischen der Ernährung und dem Auftreten von MS vermutet Yamamura das Darm-Mikrobiom. Tatsächlich gelang es einem japanischen Team im Tierversuch mittels Antibiotika den Krankheits-Verlauf eines MS-Modells zu beeinflussen (1). Diese Ergebnisse konnten in der Folge von mehreren Gruppen bestätigt werden. Bei japanischen Patienten mit MS wurden Auffälligkeiten der Darmflora, insbesondere das Fehlen bestimmter Spezies von Clostridium festgestellt (2). Bei diesen handelt es sich, ebenso wie bei Prevotella und anderen, um Butyrat-Bildner, die Ballaststoffe (Fiber) als Nahrung benötigen, Einfluss auf das Immunsystem, insbesondere auf regulatorische T-Zellen nehmen dürften und den Transkriptionsfaktor NF-kB unterdrücken (3,4). Yamamura: „Durch den abnehmenden Konsum von Fiber dürfte es zu einer Abnahme butyratbildender Darmbakterien und damit zu einer Abnahme regulatorischer T-Zellen und einer Zunahme der MS in Japan kommen.“

1) Yokote H et al. NKT cell-dependent amelioration of a mouse model of multiple sclerosis by altering gut flora. Am J Pathol. 2008 Dec;173(6):1714-23
2) Miyake S et al. Dysbiosis in the Gut Microbiota of Patients with Multiple Sclerosis, with a Striking Depletion of Species Belonging to Clostridia XIVa and IV Clusters. PLoS One. 2015 Sep 14;10(9): e0137429
3) Atarashi K et al. Induction of colonic regulatory T cells by indigenous Clostridium species. Science. 2011 Jan 21;331(6015):337-41
4) Furusawa Y et al. Commensal microbe-derived butyrate induces the differentiation of colonic regulatory T cells. Nature. 2013 Dec 19;504(7480):446-50

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum neuropsy