„Kassenfusionen werden überschätzt“

(VOR)SORGE – Sind Pensionen noch sicher? Wie läuft die Reform der Kur? Und was ist von Krankenkassenfusionen zu halten? Diese Fragen stellte Medical Tribune Manfred Anderle, dem Obmann der Pensionsversicherungsanstalt (PVA). (Medical Tribune 49/17) 

Medical Tribune: Herr Anderle, ich bin Mitte 40 und frage Sie: Werde ich überhaupt noch eine Pension bekommen?

FOTO: PVA

Manfred Anderle: Natürlich (lacht).

Ich frage, weil tatsächlich viele Menschen das bereits bezweifeln …

Genau das ärgert mich, weil viele Unwahrheiten verbreitet werden und teilweise fast schon Panikmache betrieben wird. Immer wieder heißt es, das Pensionssystem wird an die Wand gefahren. Da werden sogar Studien publiziert, aber die muss man kritisch hinterfragen. Wer hat sie erstellt, wer in Auftrag gegeben? Oft stecken Konzerne dahinter, die – welch Zufall – private Vorsorgeprodukte anbieten und somit ein geschäftliches Interesse daran haben, dass sie unser Pensionssystem schlecht machen. Auch bei diversen Berechnungen und unseren Zahlen aus der PVA muss man differenzieren. Sind bei den Kosten etwa auch die Krankenversicherung für Pensionisten sowie die Reha-Ausgaben miteingerechnet oder nicht? Fakt ist: Die reine Pensionsleistung finanziert sich zu etwa 96 Prozent selbst, also durch die Beiträge.

Aber die demografische Entwicklung bereitet doch Sorgen hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Systems …

Da hab ich eine Lieblingsgrafik (siehe Bild) aus dem Ageing Report der EU: Von 2017 bis 2060 erhöht sich der Anteil der gesamten Pensionsausgaben des Bundes am BIP um gerade einmal 0,34 Prozentpunkte – von 6,02 auf 6,36 Prozent. Der Grund nebst steigendem BIP: Zwar steigen die Ausgaben für die gesetzliche Pensionsversicherung deutlich an, aber dafür sinken jene für Beamte – weil es weniger Beamte geben wird bzw. viele öffentlich Bedienstete bereits im ASVG sind.

Themenwechsel: Die neue „Gesundheitsvorsorge Aktiv“ (GVA) soll flächendeckend ausgerollt werden. Wie ist der Stand der Dinge? Werden alle Vertragspartner mitziehen?

Die Ausschreibung läuft noch, wir wollen ab 1. 1. 2018 mit den Angeboten starten und entsprechende Kooperationen schließen. Die GVA wird ausschließlich in hochqualifizierten Vertragspartnerbetrieben der PVA angeboten werden. Es schaut aber danach aus, dass fast alle Partner mitziehen.

Wie viele Einrichtungen umfasst das bisherige Angebot?

Im Bereich der Kuren gibt es mehr als 40 Gesundheitsbetriebe von Vertragspartnern. Nimmt man das Angebot im Bereich der Rehabilitation dazu, gibt es über 100 Häuser von Partnern der PVA sowie 17 PVA-eigene Einrichtungen.

Was genau wird sich dann bei der Kur ändern?

 Es geht in Richtung mehr aktive Therapien, weniger passive. Salopp formuliert könnte man sagen, beispielsweise weniger Massagen und dafür mehr Bewegung. Je nach medizinischer Notwendigkeit werden die Bewegungsoptimierung, die Bewegungsmotivation und die mentale Gesundheit der Patienten gefördert. Die GVA soll zu einem verbesserten Lebensstil und einer gesteigerten Lebensqualität beitragen und damit auch mehr gesunde Lebensjahre für die Patientinnen und Patienten bringen. Hier schneidet Österreich im internationalen Vergleich derzeit ja nicht gerade gut ab.

Wichtig ist in dem Zusammenhang wohl auch die Ernährung?

Absolut. Und zwar nicht nur, dass es während des Kuraufenthalts ein entsprechendes Angebot geben muss. Viel wichtiger ist, dass dabei Aufklärung betrieben wird, sodass die Menschen ihre Essgewohnheiten nachhaltig umstellen und verbessern.

Erwarten Sie Nachfragerückgänge, wenn die Kur, überspitzt formuliert, kein Quasi-Urlaub mehr ist, die Menschen mehr „arbeiten“, also walken und turnen müssen, anstatt massiert zu werden?

Wir haben ja eine dreijährige Testphase gemacht und festgestellt, dass das Angebot sehr gut angekommen ist und angenommen wurde. Wir haben bisher etwa 6000 Betten gehabt und auch wieder so viele ausgeschrieben. Es wird also nichts reduziert, sondern nur neue Schwerpunkte gesetzt.

Wie hoch sind die Ausgaben der PVA im Bereich Gesundheit und wie teilen sich diese auf?

Die Ausgaben betragen etwa eine Milliarde Euro und teilen sich fifty- fifty auf – also je rund 500 Millionen für Vorsorge, sprich Kur, und 500 Millionen für Reha.

Die neue Regierung wird wohl Kassen zusammenlegen, die PVA aller Voraussicht nach verschont bleiben. Dennoch: Wie stehen Sie dazu?

Es wird leider viel Schwarz- Weiß-Malerei betrieben und populistisch vereinfacht dargestellt. Grundsätzlich wird der Effekt von Kassenfusionen überschätzt. Die PVA ist ja aus der Fusion der Pensionsversicherungsanstalten der Angestellten und der Arbeiter im Jahr 2003 hervorgegangen. Und ich kann Ihnen sagen, der Rechnungshof hat bei einer Prüfung im Jahr 2005 einen Fusionsaufwand von 114 Millionen Euro festgestellt.

Wie das?

Strukturen mussten aufgrund der Größe verbreitert, neue Landesstellen aufgebaut werden. Und doppelte Besetzungen konnten nicht von einem Tag auf den nächsten abgebaut werden. In Deutschland hat man das ebenfalls beobachtet, dass Kosten gestiegen sind. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass die Verwaltungskosten der PVA weniger als ein Prozent der Gesamtaufwendungen ausmachen. Wir reden hier von gut 300 Millionen Euro von insgesamt rund 34 Milliarden. Wir machen auch unsere Hausaufgaben und haben beispielsweise erreicht, dass heute jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter um 30 Prozent mehr Klienten betreut als im Jahr 2001. Aber allgemein werden die Einsparungspotentiale durch Fusionen überschätzt. Das sind schon sehr populistische Berechnungen, was da angeblich alles eingespart werden kann durch Zusammenlegungen. Ich denke, wichtiger wäre die Frage: Wo kann man im bestehenden System Aufgaben bündeln? Unter anderem etwa im Medikamenteneinkauf. Laut der Effizienzstudie der LSE könnte man durch Bündelungen einzelner Aufgaben in Summe 120 Millionen Euro einsparen.

Sie verfolgen die Regierungsverhandlungen also mit Skepsis? Zumal Sie ja auch ein langgedienter Gewerkschafter sind …

Ich bin in der Tat besorgt. Vor allem, da Schwarz-Blau gemeinsam mit den Neos auf eine Zweidrittelmehrheit kommt. Wer weiß, was denen einfällt? Etwa in Richtung Privatisierung von Kassen oder Sozialwahlen wie in Deutschland. Das beobachte ich mit Sorge. Denn natürlich gibt es immer Optimierungsbedarf, aber unser System ist generell nicht schlecht.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune