18. März 2020Aufklärung

COVID-19: Verunsicherte Hypertonie-Patienten?

Medizinisches Konzept der Bluthochdruckdiagnostik.
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In letzter Zeit häufen sich Berichte, wonach gewisse Antihypertensiva sich ungünstig im Sinne leichterer Ansteckbarkeit und schwererer Verlauf von COVID-19 auswirken könnten. Das seien Hypothesen ohne belastbare Evidenz, warnt nicht nur die Österreichische Kardiologie-Gesellschaft. Die Arzneimittelbehörde AGES bestätigt bereits Anfragen von Patienten und warnt sie vor eigenmächtigem Absetzen, versichert jedoch auch, die Relevanz der Theorie genau zu beobachten.

Im Speziellen soll es sich um Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitoren (ACE-Hemmer) bzw. um Angiotensin-II-Rezeptorblocker (ARBs, Sartane) handeln. Eine „Nebenwirkung“ dieser Antihypertensiva sei eine Vermehrung der ACE-2-Rezeptoren, die wiederum als Türöffner für das Coronavirus (SARS-CoV2) fungieren, und je mehr Türöffner, desto mehr Viren, so die Theorie. Vor wenigen Tagen sprachen zwei Lungenfachärzte in einem Artikel in der „Presse“ (14.03.2020) zwar von einer ungesicherten Theorie. Dennoch könnte sie die Erklärung dafür sein, dass COVID-19 bei Kindern und jüngeren Erwachsenen zu milderen Verläufen führt, meint etwa Dr. Gernot Rainer, Lungenfacharzt in Wien. Doch auch aus der Sicht von Prim. Priv.-Doz. Dr. Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde, Kepler Universitätsklinikum Linz, ist diese Theorie durchaus „berechtigt“ und sollte verfolgt werden – insbesondere hinsichtlich Prävention und neue Behandlungsmethoden. Freilich raten beide in dem Bericht strikt vom selbstständigen Absetzen der Medikamente ab.

Studienautoren raten zur Überwachung

Überdies wurde die Fachwelt auch auf eine rezente Studie* im renommierten Medizinjournal „The Lancet“ aufmerksam, die sich eben jene Fragestellung zur Brust nahmen. Die Autoren gehen davon aus, dass Patienten mit Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder Diabetes, die mit ACE-2-erhöhenden Medikamenten behandelt werden, ein höheres Risiko für eine schwere COVID-19-Infektion haben könnten und schlagen daher vor, dass die Patienten auf ACE-2-modulierende Medikamente wie ACE-Hemmer oder Sartane überwacht werden sollten. Mehr noch: Basierend auf einer PubMed-Suche am 28.02.2020 hätten sie keine Hinweise darauf gefunden, dass blutdrucksenkende Kalziumkanalblocker die ACE-2-Expression oder -Aktivität erhöhen, weshalb sie bei diesen Patienten eine geeignete Alternative darstellen könnten.

Kardiologen: Hypertonie-Therapie trotz COVID-19 wie gewohnt fortsetzen

Inzwischen hat die Europäische Kardiologische Gesellschaft (ESC) wie berichtet in einer Stellungnahme betont, dass Spekulationen über die Sicherheit der Behandlung mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern in Bezug auf COVID-19 der soliden wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Der „Council on Hypertension“ der ESC stellt klar, dass es keine Beweise für die schädliche Wirkung von ACE-I und ARB im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gibt. Er empfiehlt Ärzten und Patienten ausdrücklich, die Hypertonie-Behandlung mit der gewohnten Medikation fortzusetzen, da keine klinischen oder wissenschaftlichen Beweise rechtfertigen, die Behandlung mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern wegen COVID-19 abzubrechen.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) weist in einer aktuellen Stellungnahme darauf hin, dass es zurzeit keine eindeutigen Hinweise gebe, die auf eine erhöhte Sterblichkeit im Zusammenhang mit einer Therapie mit ACE-Hemmstoffen oder Sartanen deuten. Auch für eine verstärkte Anfälligkeit für Lungenkomplikationen nach SARS-CoV2-Infektion gebe es keine hinreichende Datenlage. Ebenso sei im Augenblick die positive Wirkung einer Sartan-Medikation hinsichtlich der Verhinderung einer Lungenschädigung spekulativ. “Hinweise für eine differenzielle Wirkung unterschiedlicher Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems bei Patienten finden sich nicht”, teilt die DGK mit. Allerdings hätten ACE-Hemmstoffe und Sartane eine bewiesene Wirkung bei arterieller Hypertonie und Herzinsuffizienz und seien bei diesen Erkrankungen zur Senkung der Sterblichkeit und der Krankenhausaufnahmewahrscheinlichkeit sowie zum Schutz der Nieren indiziert. Da eine Unterbrechung oder ein Absetzen dieser Therapien zu einer Steigerung der Sterblichkeit und Hospitalisierungsrate führen würde, empfiehlt die DGK, diese Therapien fortzuführen, bis weitere Daten aus klinischen Studien verfügbar sind. Hinweise, dass eine Umstellung von ACE-Hemmern auf Sartane bei Patienten mit SARS-CoV2-Infektionen günstig ist, gibt es nicht.
Diese Einschätzung teilt die Österreichische Kardiologische Gesellschaft (ÖKG), wie ein Statement von ÖKG-Präsident Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek, Ordensklinikum Linz, Barmherzige Schwestern, auf Anfrage von medonline zeigt. Auch ein Wechsel auf andere Medikamente sei nicht indiziert und würde unnötige weitere Belastungen des Gesundheitssystems hervorrufen (siehe Stellungnahme unten).

AGES: „Noch keine konkrete Evidenz“

Anfragen dazu von verunsicherten Patienten erreichten auch schon die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), bestätigt die Arzneimittelbehörde gegenüber medonline. Fakt sei, dass es zwar derzeit etliche Spekulationen darüber gebe, dass gewisse Blutdrucksenker – vor allem AT-Rezeptorblocker, aber auch ACE-Hemmer – das Erkrankungsrisiko für COVID-19 und deren Verlauf ungünstig beeinflussen. „Aber es gibt noch keine konkrete Evidenz, die über diese bislang reine Hypothesen-Generierung hinausgeht“, stellt Dr. Christoph Baumgärtel von der AGES-Medizinmarktaufsicht klar.
Derzeit könne man aufgrund bislang mangelnder Daten nicht endgültig einschätzen, ob ACE2 bzw. ein erhöhter ACE2-Level tatsächlich einen Risikofaktor darstellt und ob dies kausal zu den schweren Verläufen beiträgt. (Prä)klinische Studien und vorläufige weitere Daten scheinen zwar zu bestätigen, dass ACE-Hemmer und Sartane die Level von ACE2 erhöhen. „Ob dies nun aber grundsätzlich für alle Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bzw. kardiovaskulären Erkrankungen der Fall ist”, erläutert Baumgärtel, „und ob insbesondere diese erhöhten Level mit einer höheren Infektionsrate, schwereren Verläufen oder sogar erhöhter Mortalität einhergehen, ist unklar.”
Aus heutiger Sicht müsse daher betont werden, dass ein kausaler Zusammenhang derzeit nicht belegt sei. „Daher gibt es zu Recht die Empfehlungen aus Fachkreisen und Fachgesellschaften an Patienten, diese lebenswichtigen Blutdruckmedikamente auf keinen Fall selbstständig abzusetzen“, bekräftigt der Arzneimittel-Experte die entsprechenden Statements der Kardiologie-Fachgesellschaften. Freilich werde die Relevanz dieser Theorie jedenfalls auch weiter „sorgsam und genau“ beobachtet.

Infektions- und Mortalitätsraten analysieren

Einen einfachen Weg zur Überprüfung regte jüngst Prof. Dr. Thomas Eschenhagen, Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, im „Deutschen Ärzteblatt“ (ärzteblatt.de, 16.03.2020) an: Stimme die Hypothese, so würden die Infektions- und Mortalitätsraten ein Überwiegen jener Patienten zeigen, die ACE-Hemmer einnehmen. „Das müsste sich relativ leicht feststellen lassen“, wird Eschenhagen in dem Bericht zitiert.
Dieser Aussage sei aus seiner Sicht uneingeschränkt zuzustimmen, sagt Baumgärtel. Insgesamt weist er jedoch nochmals darauf hin, dass man zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls eine Verunsicherung der Patienten oder ein „hochgefährliches eigenmächtiges Absetzen dieser wichtigen Therapie“ durch die Patienten unbedingt vermeiden sollte.

* Fang L et al.: Are patients with hypertension and diabetes mellitus at increased risk for COVID-19 infection? Lancet Respir Med March 11, 2020, DOI: https://doi.org/10.1016/S2213-2600(20)30116-8

Stellungnahme der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG) zur Therapie mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern

Aktuelle Berichte spekulieren über einen potentiellen Zusammenhang zwischen einer Behandlung mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern und einer Infektion mit dem Coronavirus (COVID-19/SARS-CoV-2). Dies hat zu einer Verunsicherung vieler Patienten mit Bluthochdruck und Herzinsuffizienz geführt, da ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker sehr häufige und wirksame Medikamente bei diesen Erkrankungen sind.

Patienten mit chronischen Herzerkrankungen und im Besonderen Patienten mit Herzinsuffizienz und Diabetes sind generell als Risikopatienten zu klassifizieren. Diese Patienten sind zudem meist älter und weisen zusätzliche Komorbiditäten auf und müssen daher ganz besonders geschützt werden.

Der postulierte Zusammenhang zwischen einer COVID-19 Infektion und den genannten Medikamenten ist jedoch rein spekulativ und leitet sich aus experimentellen Befunden ab, wonach das CoV2 Virus über ACE-2 in die Epithelzellen der Lunge eindringt (Fang L et al., Lancet Resp Med 2020). Daneben ist seit Längerem bekannt, dass ACE-2 vermehrt unter einer Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern gebildet wird (Wan Y et al., J Virology 2020). Andere Studien geben jedoch wieder gegenteilige, ebenfalls spekulative Hinweise, dass ACE-2 antiinflammatorisch wirkt und daher eine Therapie mit Hemmern des Angiotensin-Systems bei Patienten mit Lungenbefall den Verlauf einer COVID-19-Infektion sogar abschwächen könnte (Imai Y, Nature 2005). Ein schlüssiger wissenschaftlicher Beweis für einen Zusammenhang in die eine oder andere Richtung liegt jedenfalls nicht vor.

Entsprechend den aktuellen Stellungnahmen der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft und mehrerer nationaler kardiologischen Gesellschaften (Simone G, Position Statement of the ESC Council vom 13 Mar 2020 und Böhm M, Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie vom 16.03.2020) soll die bestehende Blutdruckmedikation mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern daher bei allen Patienten unbedingt beibehalten werden. Ein Absetzen der Medikamente sollte wegen des Risikos eines akuten Herzinfarktes oder Schlaganfalls oder einer Verschlechterung der Herzschwäche unbedingt vermieden werden! Auch ein Wechsel auf andere Präparate ist nicht indiziert und würde gerade in der derzeit ohnehin angespannten Situation unnötige weitere Belastungen des Gesundheitssystems hervorrufen.

Für die Österreichische Kardiologische Gesellschaft (ÖKG)

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek

Präsident der ÖKG