Risikofaktor Arzt: Debatte um Impfpflicht

Der Arzt als „Keimschleuder“: Wenn das Pflichtgefühl, dennoch zur Arbeit zu gehen, größer ist als jenes, sich impfen zu lassen, haben auch die Patienten bald ein Problem.

„Soziale Verpflichtung oder Impfpflicht?“ war am 24. April das Motto des Symposiums der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie in Wien. Ein Augenmerk galt dabei den Gesundheitsberufen. (Medical Tribune 19/19)

Auf einer Neugeborenen-Intensivstation in Louisiana, USA, erscheint im Jahr 2004 ein Spitalsmitarbeiter etwa ein Monat lang mit Husten in der Arbeit, bevor die Diagnose Pertussis gestellt wird. In dieser Zeit hat die Person Kontakt zu mehr als 100 Kindern, etwa zehn Prozent davon erkranken in Folge an Pertussis. Im Februar 2017 verursacht eine zu spät erkannte Masern-Infektion eines Spitalsmitarbeiters in einem italienischen Krankenhaus eine drei Monate andauernde Kettenreaktion, bei der 35 weitere Personen erkranken. Erst vor einigen Monaten kommt es auf einer onkologischen Abteilung in den Staaten zu einem nosokomialen Ausbruch von Influenza A H3N2, weil Spitalsmitarbeiter krank in die Arbeit gekommen waren.

Von zehn hospitalisierten Patienten erkranken sieben an Influenza.1 Immer wieder kommt es in Spitälern weltweit zu derartigen Szenarien. Aus einer Umfrage an dem Spital, wo es zum Influenza-Ausbruch kam, geht hervor, dass dort zwei von drei in Gesundheitsberufen Beschäftigten (Health Care Professionals, HCPs) krank in die Arbeit kommen. Mehr als die Hälfte von ihnen nannten als Grund hierfür ihr Verantwortungsbewusstsein als Mitarbeiter im Gesundheitssystem.1 Doch wie passt dieses Verantwortungsbewusstsein zu dem Fakt, dass ein Ausbruch einfach zu vermeiden gewesen wäre? Diese Frage stellt sich Dr. Helena Maltezou, Leiterin der Abteilung für Interventionen in Gesundheitseinrichtungen vom Hellenic Center for Disease Control and Prevention in Athen. „Die Mitarbeiter verspürten offenbar nicht dasselbe Pflichtgefühl, wenn es darum ging, sich impfen zu lassen“, wundert sich die Infektiologin.

Gute Gründe, miese Zahlen

Etwa 25 Millionen Menschen in Europa arbeiten in Gesundheitsberufen, ein Drittel davon in Spitälern, und sind somit potenziell auch mit schwerkranken und besonders anfälligen Patienten in Kontakt. Gute Gründe sprechen für eine Vorsorge mittels Impfung – insbesondere bei HCPs. Maltezou nennt hier folgende fünf Punkte:

  1. HCPs haben aufgrund der beruflichen Exposition ein erhöhtes Risiko, an einer impfpräventablen Infektion zu erkranken.
  2. HCPs gehen häufig zur Arbeit, obwohl sie Krankheitssymptome aufweisen, und gefährden damit ihre Kollegen und die Patienten.
  3. HCPs betreuen häufig Patienten, die aufgrund ihres Alters, chronischer Erkrankungen oder anderer Gründe (Schwangerschaft, Immunsuppression) ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und schwere Krankheitsverläufe haben.
  4. HCPs, die nicht geimpft sind, sind oftmals Quelle oder Verbreiter von Infekten bei nosokomialen Ausbrüchen.
  5. Impfungen sind sicher und effektiv.

Dennoch lassen die Durchimpfungsraten beim Gesundheitspersonal oftmals zu wünschen übrig. Für Masern etwa variieren die Raten bei Gesundheitspersonal in Europa zwischen knapp zehn und etwas über 60 Prozent. Für Influenza sind die Impfzahlen noch niedriger. Schätzungen der WHO zufolge erkranken bei Influenza-Ausbrüchen jährlich fünf bis 15 Prozent der Weltbevölkerung, davon sind vier bis fünf Millionen schwere Fälle. Besonders hoch ist die Mortalität mit vier bis acht Prozent bei hospitalisierten Patienten, bei Immunsupprimierten liegt sie sogar bei zehn bis 15 Prozent.2

Eine Metaanalyse3 von über 58.000 mittels Laborbefund diagnostizierten Influenza-Infektionen ergab, dass pro Grippesaison knapp 19 Prozent der HCPs Influenza-Viren in sich tragen – im Vergleich zu knapp 5,4 Prozent in der ungeimpften Allgemeinbevölkerung. Auch die symptomatischen Infektionen sind unter HCPs häufiger als in der Allgemeinheit. Mit der Einführung der Impfpflicht für Influenza in einigen US-amerikanischen Krankenhäusern konnte dort eine Durchimpfungsrate von über 97 Prozent erreicht werden. „Eine Erfolgsgeschichte verglichen mit Durchimpfungsraten von unter 40 Prozent in fast allen anderen Ländern, wo die Influenza-Impfung auf freiwilliger Basis durchgeführt wird“, sagt Maltezou.

Impfpflicht in Europa

Wenig verwunderlich daher, dass Stimmen für eine Impfpflicht gerade dieser gefährdeten und gefährdenden Berufsgruppe laut werden. Mittlerweile besteht auch in einigen europäischen Ländern für HCPs eine Impfpflicht für ausgewählte Infektionskrankheiten – Österreich ist nicht darunter (siehe Info-Kasten). In den meisten europäischen Ländern besteht für Hepatitis B, Influenza und Masern, Mumps und Röteln aber zumindest eine Empfehlung, so auch in Österreich. Wenn die Fachkraft eine verpflichtende Impfung ablehnt, kann ihr mancherorts die Einstellung verweigert werden (Albanien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Malta, Niederlande, Polen, Rumänien, Russland, Slowakei, Slowenien), ein anderer Posten mit geringem Expositionsrisiko angeboten werden (Kroatien, Frankreich, Rumänien), oder aber es droht eine Entlassung (Albanien, Frankreich, Rumänien) oder Strafzahlung (Albanien, Serbien, Slowakei). Österreich hat keine Impfpflicht, das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz gibt aber jedes Jahr gemeinsam mit dem Nationalen Impfgremium aktualisierte Empfehlungen zu Impfungen für das Gesundheitspersonal ab.

Prüfung des Impfstatus

Für Arbeitgeber im Gesundheitswesen gilt eine Fürsorgepflicht gegenüber Arbeitnehmern und Patienten. Darauf basierend dürfen Arbeitgeber den Impfstatus der Beschäftigten überprüfen und bei fehlendem Schutz nur Tätigkeiten ohne entsprechendes Infektionsrisiko zulassen. Viele Krankenanstalten in Österreich fordern einen Immunitätsnachweis vor Antritt der gesundheitsberuflichen Tätigkeit. Dasselbe trifft auf Auszubildende dieser Berufe zu. Die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie, Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, zeigt sich einer allgemeinen Impfpflicht gegenüber skeptisch; was HCPs betrifft, bezieht sie aber klar Stellung: „Ich glaube nicht, dass das [Anm.: die allgemeine Impfpflicht] in Österreich machbar ist. Sehr wohl aber sollte es eine Impfpflicht für das gesamte Gesundheitspersonal geben.“

Referenzen:
1 Wilson et al., Am J Infect Control. 2019; doi: 10.1016/j.ajic.2018.10.024
2 Dini et al., Hum Vaccin Immunother 2017 Oct 20; doi: 10.1080/21645515.2017.1348442
3 Kuster et al., PLoS One. 2011; 6(10): e26239. doi: 10.1371

Europa-Vergleich: Verpflichtende Impfungen für Gesundheitspersonal

  • Hepatitis B: Albanien, Belgien, Tschechische Republik, Frankreich, Moldawien, Polen, Portugal, Rumänien, Serbien*, Slowenien
  • Diphtherie: Albanien, Frankreich, Portugal, Slowenien, Ukraine
  • Masern-Mumps-Röteln: Albanien, Kroatien, Portugal, Serbien*, Slowenien
  • Tetanus: Kroatien, Frankreich, Portugal, Slowenien, Ukraine
  • Pertussis: Albanien, Kroatien, Portugal, Slowenien
  • Poliomyelitis: Albanien, Kroatien, Frankreich, Slowenien
  • Tuberkulose: Kroatien, Frankreich
  • Hepatitis A: Slowakei*
  • Influenza: Serbien*
  • Meningokokken A, C, W, Y: Serbien*

*für spezielle Gruppen

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune