29. Juni 2018

ECO 2018: Beleibte Teenager sind früher dran

Ein hoher Body-Mass-Index ist bei Mädchen mit früher Menarche assoziiert, bei Burschen sind die Zusammenhänge von Körpergewicht und Pubertät weniger klar. Gewichtskontrolle und Sport haben sich als wirksame Instrumente zur Prävention einer frühen Menarche erwiesen. (Medical Tribune 24/18)

Wie hängt der Ernährungszustand mit der Menarche zusammen, die in Industrienationen immer früher eintritt? Diese Frage hat medizinische Relevanz.

Adipositas stellt auch in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen ein beständig zunehmendes Problem dar. Gleichzeitig kommt es bei Kindern in den Industrienationen zu einem immer früheren Eintritt in die Pubertät. Prof. Dr. Ken Ong von der Universität Cambridge weist auf eine immer frühere Menarche hin, die beispielsweise in Norwegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts bei 17 und um 1970 bei 13 Jahren lag. Dieser Trend wurde in allen Industrienationen beobachtet und betrifft mittlerweile auch die Schwellenländer. Zusammenhänge mit dem Ernährungszustand wurden bereits früh angenommen. Bereits 1971 wurde die „critical weight“-Hypothese publiziert, die den Zeitpunkt der Menarche mit Größe und Körpergewicht in Zusammenhang bringt.1 Aktuelle Daten stützen diese Theorie. So konnte beispielsweise in einer rezenten Studie aus der chinesischen Provinz Guangzhou eine Assoziation zwischen dem BMI und der Menarche nachgewiesen werden.

Ebenso zeigte sich bei den Burschen eine sehr geringe, jedoch signifikante Assoziation von BMI und Spermarche.2 Mechanistische Modelle wurden vorgeschlagen und publiziert. So dürfte Leptin aus dem Fettgewebe die Produktion von GnRH (Gonadotropin Releasing Hormone) im Hypothalamus stimulieren. Allerdings ist das Bild komplexer, als die einfachen Modelle vermuten lassen. Ong: „Wir sehen die Entwicklung in Richtung in einer früheren Pubertät vor allem in den Zeiten, wo sich das Nahrungsangebot von Hunger zu ausreichender Versorgung entwickelte. In den letzten Jahren läuft diese Entwicklung viel langsamer, obwohl Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger werden.“ Allerdings waren die Daten ausreichend für einen Konsensus einer Expertengruppe der US Environmental Protection Agency, die mit nicht einstimmiger Entscheidung zu dem Schluss kam, dass die verfügbaren Daten auf einen früheren Beginn der Pubertät bei Mädchen hinweisen. Bei den Burschen lasse die Datenlage, so die Experten, diesen Schluss jedoch gegenwärtig nicht zu.3

Hypogonadismus

Dazu passend wird bei adipösen Männer häufig ein funktioneller Hypogonadismus festgestellt, zu dem zahlreiche bekannte Mechanismen beitragen. So ist Adipiositas assoziiert mit abfallendem Testosteron- und steigendem Cortisol-Spiegel, Schlafapnoe, Insulinresistenz und hohen Spiegeln des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG), was zu einer Reduktion von bioverfügbarem Testosteron führt.4 Eine diskutierte Möglichkeit ist auch eine Assoziation von Adipositas und früher Pubertät ohne kausalen Zusammenhang. Ergebnisse aus Genome Wide Association Studies (GWAS) legen nahe, dass frühe Pubertät und Übergewicht einen gemeinsamen genetischen Hintergrund haben könnten. Studien zeigen, dass sich zwölf mit hohem BMI assoziierte Punktmutationen als Prädiktoren für frühe Menarche eignen. Bei den Burschen sprechen neuere Daten für eine U-Kurve: Während Übergewicht einen frühen Beginn der Pubertät begünstigt, tritt diese bei Adipositas später ein.5 Vieles spricht auch für eine Assoziation von schnellem Wachstum in der frühen Kindheit mit früher Pubertät, die ebenfalls bei Mädchen ausgeprägter ist als bei Burschen.

Medizinische Bedeutung

Man könne also, so Ong, davon ausgehen, dass Übergewicht einen frühen Beginn der Pubertät begünstigt – und zwar bei Mädchen deutlicher als bei Burschen. Damit stelle sich die Frage, ob dies medizinisch von Bedeutung ist. Diese Frage kann mit „ja“ beantwortet werden. Zumindest für Frauen konnte eine frühe Menarche, so Ong, mit einer Reihe von Risiken in Verbindung gebracht werden. Brust-, Ovarial- und Endometrium-Karzinome treten häufiger auf, das Risiko von Insulinresistenz und Hypertonie steigt. Gleichzeitig haben Frauen mit später Menarche ein geringeres Risiko, Adipositas oder Diabetes zu entwickeln, allerdings jedoch auch eine geringere Fertilität. Auch eine Assoziation mit erhöhter Mortalität wurde gefunden.7 Britische Daten weisen darauf hin, dass ein früher Beginn der Pubertät aus kardiovaskulärer Sicht für Burschen ebenso ungünstig ist wie für Mädchen.8

Allerdings stellt sich auch hier die Frage nach Assoziation und Kausalität, da für frühe Pubertät und ungünstige kardiovaskuläre Outcomes der gleiche genetische Hintergrund verantwortlich sein dürfte.9 Dass hier ein multifaktorielles Geschehen vorliegt, zeigt die InterAct-Studie, die bei früher Menarche ein um mehr als den Faktor 1,6 erhöhtes Typ-2-Diabetes- Risiko fand. Wurden die Daten hinsichtlich des BMI adjustiert, war die Risikoerhöhung geringer, aber nach wie vor vorhanden. Damit stelle sich, so Ong, die Frage, ob ein früher Beginn der Pubertät ein relevantes und sinnvolles Ziel für therapeutische Interventionen darstellt. Dies könne bejaht werden, zumal eine frühe Pubertät mit verschiedensten, nicht nur medizinischen, Risiken assoziiert ist. Ong nennt in diesem Zusammenhang frühe Schwangerschaften und suboptimale Bildungskarrieren.

Interventionsstrategie

Die beste und evidenzbasierte Interventionsstrategie ist eine frühe Lebensstilintervention im Sinne einer Prävention von Adipositas. Ong: „Es geht dabei vor allem darum, sehr früh eintretende Pubertät zu vermeiden.“ Sport scheint sich günstig auszuwirken und ist generell mit einer etwas späteren Pubertät assoziiert. Dies gelte durchaus nicht nur für den Leistungssport, sondern auch für intensiver betriebenen Freizeitsport. Interventionen zur Adipositas-Prävention in Schulen führten in einer amerikanischen Studie auch zu einem reduzierten Risiko früher Menarche.10 In einer kleinen Pilotstudie wurde der Einsatz von Metformin bei Mädchen, die früh in die Pubertät kamen, untersucht. Die Intervention verzögerte die Menarche, begünstige das Größenwachstum und führte zu geringerem Körperfettanteil.11 Ong unterstreicht allerdings den experimentellen Charakter dieser Studie, aus dem man zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Empfehlung ableiten dürfe.

Referenzen:
1 Frisch RE et al., A rch Dis Child. 1971 Oct; 46(249): 695–701
2 Deng Y et al., Sci Rep. 2018 Jan 10; 8(1): 263
3 Euling SY et al., Pediatrics. 2008 Feb; 121 Suppl 3: S172–-91
4 Fui MN et al., Asian J Androl. 2014 Mar– Apr; 16(2): 223–31
5 Lee JM et al., Pediatrics. 2016 Feb; 137(2): e20150164
6 Ong KK et al., J Clin Endocrinol Metab. 2012 Aug; 97(8): 2844–52
7 Lakshman R et al., J Clin Endocrinol Metab. 2009 Dec; 94(12): 4953–60
8 Day FR et al., Sci Rep. 2015 Jun 18; 5: 11208
9 Day FR et al., Nat Commun. 2015 Nov 9; 6: 8842
10 Chavarro JE et al., Cancer Causes Control. 2005 Dec; 16(10): 1245–52
11 Ibáñez L et al., J Clin Endocrinol Metab. 2006 Jun; 91(6): 2068–73

25th European Congress on Obesity (ECO 2018), Plenary Lecture: “Is obesity a trigger for puber ty?”; Wien, 24. Mai 2018

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune