22. Aug. 2019Alpbacher Gesundheitsgespräche 2019

Wie Ärzte Ärzte anstellen

(c) Ulrike Krestel

Ein dickes Brett gebohrt“ haben nach eigener Einschätzung die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger: Mit 1. Oktober soll es eine gesetzliche Basis zur Anstellung von Ärzten bei Ärzten geben. Mitte August stellten Ärztekammer-Vizepräsident Dr. Johannes Steinhart und Hauptverbandchef Dr. Alexander Biach im Rahmen der Gesundheitsgespräche des „Forum Alpbach“ vor.

Für bis zu 40 Stunden sollen Allgemeinmediziner und Fachärzte bald fachgleiche Kollegen anstellen dürfen. In der Praxis bedeutet das, dass Ärzte künftig Stellen mit Kollegen teilen können, aber auch bestehende Vertragsarztstellen aufgestockt werden können. Von diesem Angebot sollen Einzelordinationen und Gruppenpraxen mit Kassenverträgen sowie Primärversorgungseinheiten Gebrauch machen können. Die Möglichkeit einer Anstellung von Ärzten soll Kassenstellen attraktivieren, Versorgungsengpässen beikommen und Möglichkeiten zur Verbesserung der „Work-Life-Balance“ anbieten.

Die Vereinbarung wird am 18. September 2019 von der ÖÄK sowie am 1. Oktober 2019 von der Trägerkonferenz des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger beschlossen. Vorbehaltlich der Genehmigung durch beide Gremien tritt die Vereinbarung am 1. Oktober 2019 in Kraft.

Damit Junge schnuppern können und nicht verloren gehen

Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassener Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, hofft, mit der Regelung einen Beitrag zu einer besseren „Work-Life-Balance“ für die Ärzteschaft zu leisten. Er will damit speziell Ärzten mit Wünschen nach einer Teilzeitstelle, wie beispielsweise Eltern, entgegenkommen: „Wir wissen, dass vor allem junge Kolleginnen und Kollegen dem System oft verloren gehen, weil sie zu wenig attraktive Teilzeitarbeitsmodelle vorfinden.“ Zumindest im niedergelassenen Bereich stehe nun eine attraktive Alternative zur Verfügung, zum Beispiel im Falle eines Wiedereinstiegs nach einer Karenz. Zusätzlich soll die Regelung älteren ordinationsführenden Ärzten eine Möglichkeit einer deutlichen Arbeitserleichterung vor ihrem Pensionsantritt zur Verfügung stellen.

Steinhart: „Alternative für Ärzte, für die 40 Wochenstunden nicht in Frage kommen“

Die mit der angestellten Arbeit gegebene „Schnuppermöglichkeit“ soll aber auch Berufseinsteigern und Gegenden mit Versorgungsengpässen helfen: „Jüngere Kollegen scheuen sich oft vor der Selbstständigkeit. Mit der Möglichkeit einer angestellten Tätigkeit werden sie systematisch an die Verantwortlichkeiten herangeführt und entscheiden sich später vielleicht eher für eine eigene Praxis. Auch manche Regionen werden attraktiver, wenn man sie selbst erlebt hat.“

Rund 90 Kassenstellen leichter besetzen

Dr. Alexander Biach, Verbandsvorsitzender des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger, sieht in der Einigung zusätzlich eine Antwort auf die Zuwachsraten bei den Wahlärzten, da „Ärzten, die keine Vollarbeitszeit schaffen, flexiblere Lösungen angeboten werden“. Er erhofft sich durch die neue Regelung zusätzlich große Fortschritte in der wohnortnahen Versorgung von Patienten. Besonders Regionen mit Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung einer Kassenstelle sollen profitieren. „Wir rechnen damit, dass mit der Lösung rund 90 schwieriger besetzbare Allgemeinmedizinerkassenstellen leichter besetzt werden können. Mit der Anstellungsregelung haben wir ein drittes Mosaiksteinchen nach den Lehrpraxen und Primärversorgungseinheiten gelegt.“

Biach: „Regelung ermöglicht Fortschritte in der wohnortnahen Versorgung von Patienten“

Ärzte stellen Ärzte an – die Facts

Aufstockung oder Jobsharing

Der jetzt ausverhandelte Vertrag bietet sowohl die Möglichkeit, eine Vertragsarztstelle zur temporären oder dauerhaften Erweiterung des Leistungsspektrums aufzustocken, als auch, eine solche vergleichbar eines „Jobsharings“ mit einem Kollegen zu teilen. Ist eine Aufstockung der Stelle geplant, müssen die Öffnungszeiten entsprechend angepasst werden.
Die freie Arztwahl muss dem Patienten übrigens weiterhin gewährleistet bleiben – dieser soll Einsicht in die regelmäßigen (wenn möglich auch aktuellen) Anwesenheitszeiten des Vertragsarztes und des angestellten Arztes nehmen können.

Beantragung – was zu beachten ist

Die Aufteilung einer Stelle muss vom Vertragsarzt beantragt werden – dabei müssen die geplante Anstellungsdauer, das geplante Anstellungsausmaß sowie bei einer geplanten Aufstockung der Kassenstelle die voraussichtliche Steigerung der Patientenzahl und die geplanten Öffnungszeiten angegeben werden. Ein Arzt im Vollzeitäquivalent von 40 Stunden darf dabei höchstens ein anderes Vollzeitäquivalent einstellen. Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten haben die zusätzliche Möglichkeit eines weiteren Arztes über 40 Stunden.
Der Ordinationsinhaber darf übrigens den Hauptbetrieb nicht dem angestellten Arzt überlassen oder sich gänzlich aus dem Ordinationsbetrieb zurückziehen. Laut Vereinbarung ist er „maßgeblich zur persönlichen Berufsausübung in der Ordination“ verpflichtet. Über die Genehmigung einer Anstellung entscheiden in jedem Fall die jeweils zuständige Landesärztekammer sowie die Versicherungsträger.

Abrechnung und Vergütung

Die Abrechnung erfolgt ausschließlich durch den Vertragsarzt bzw. die Vertragsgruppenpraxis oder Primärversorgungseinheit. Es gibt dabei keinen Unterschied, ob Leistungen vom Vertragsarzt oder dem angestellten Arzt erbracht wurden. Der angestellte Arzt wiederum wird nicht nach erbrachten Versicherungsleistungen bezahlt: Stattdessen erhält er das zwischen ihm und dem Vertragspartner als Dienstgeber vereinbarte Entgelt.

Ausnahmen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten

Da man Versorgungsengpässen durch die neue Regelung beikommen will, finden sich im Vertrag Ausnahmeregelungen für schwer zu besetzende Kassenstellen. In Regionen, in denen eine volle oder anteilige Kassenstelle mangels Bewerber mit einer Ausschreibung einer Einzelpraxis oder einer Gruppenpraxis bzw. eines Gruppenpraxisanteils schwierig ist, wollen Ärztekammer und Versicherungsträger beispielsweise die Genehmigung der Anstellung unbefristet erteilen. Geht es hingegen nur um die Abdeckung eines zeitlich begrenzten Zusatzbedarfs, wie etwa zum Abbau von Wartezeiten oder bei Teilabdeckung einer ausgeschriebenen Stelle, kann die Genehmigung der Anstellung auch befristet erteilt werden.

Anstellen können Ärzte andere Ärzte grundsätzlich bis zum Alter von 70 Jahren. Darüber hinaus bedarf es einer Ausnahmegenehmigung der Landesärztekammer und Versicherungsträger, die etwa erteilt werden kann, wenn eine ärztliche Unterversorgung droht.

Quelle

„Gesamtvertragliche Vereinbarung über den Einsatz von Ärzten bei Ärzten“, Pressekonferenz des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer. Gesundheitsgespräch des Forum Alpbach, Montag, 19.8.2019

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune