1. Apr. 2019Pflegeheim St. Georgen an der Gusen

Die Angst vor dem Nachtdienst

Der Volksanwalt prüft nicht nur, was sich in den Gängen abspielt.

Die Volksanwaltschaft stellte in einem oberösterreichischen Pflegeheim Hygienemängel bei Influenzafällen fest. Das Personal sei zudem überlastet, auch soll ein Arzt nicht auf Visite ins Haus gekommen sein. Am Heimträger perlt jede Kritik ab. (Medical Tribune 14/19)

Während sich die hohe Politik beim Pflegeforum den Kopf über morgige Pflegemodelle zerbricht, haben Pflegekräfte und Hausärzte mit den heutigen Mühen der Ebene zu kämpfen. Hohe Wellen schlugen Berichte in der „Kronen Zeitung“ und den „OÖ Nachrichten“, wonach Volksanwalt Dr. Günther Kräuter bei einer unangemeldeten Überprüfung Mitte März hygienische Mängel im Pflegeheim St. Georgen an der Gusen, Bezirk Perg, festgestellt hat. Kurz davor grassierte die Grippe, auch seien Bewohner daran verstorben. Der Fall ist mittlerweile ein Politikum: Die ÖVP bereitet eine schriftliche Anfrage im Landtag an die zuständige SP-Landesrätin Birgit Gerstorfer vor.

Auch soll sich in zwei Fällen ein Arzt geweigert haben, ins Haus zu kommen, er habe nur telefonische Anweisungen erteilt. Der Heimträger – die Gemeinde selbst – stellt alle festgestellten Mängel des Volksanwaltes in Abrede. Mehr noch: SP-Bürgermeister Erich Wahl und sein Amtsleiter Peter Plank mailten eine „Sachverhaltsdarstellung“ an mehr als 120 Personen, darunter alle Gemeinderäte, Ärzte, Mitglieder des Sozialhilfeverbands Perg bis hinauf zum Landtagspräsidenten Viktor Sigl. Darin werden alle „Vorwürfe“ zurückgewiesen – außer jene bezüglich des Arztes, der namentlich genannt wurde.

Das „Protokoll“ war wenige Tage später sogar online auf der Gemeindehomepage, mit unzureichend geschwärzten Namen der involvierten Ärzte, aber auch der verstorbenen Patienten. Mittlerweile wurde es ausgetauscht, alle Namen sind entfernt. Der Arzt ortet ein „Ablenkungsmanöver“ und fühlt sich massiv in seinem Ruf geschädigt, vor allem weil er sehr wohl auf Visite war, wie er auf Anfrage von Medical Tribune bestätigt. Und zwar dreimal. Er habe sogar zwei Patienten eines Kollegen übernommen. Nur einmal habe er aus medizinischen Gründen gleich per Telefon eine Einweisung ins Spital veranlasst. Wegen der öffentlichen Verunglimpfung will er nun rechtliche Schritte prüfen und auch aus der Visitentätigkeit im Heim aussteigen.

Kassenärzte: Visitenpflicht

Grundsätzlich gibt es eine „Behandlungs- und Visitenpflicht“ für Kassenärzte. Allerdings kann aus wichtigen Gründen eine Behandlung oder Visite abgelehnt werden. Ein solcher wichtiger Grund dürfte in diesem Fall vorliegen, wie die Ärztekammer für OÖ mitteilt. Im Zweifelsfalle solle man lieber juristischen Rat von der Kammer einholen. Plank, der Amtsleiter, beharrt indes: Ein Arzt sei eine „öffentliche Person, wir haben nur Fakten aufgezählt“. Angesprochen auf Unstimmigkeiten in den von Heimleiter und Pflegedienstleiterin unterfertigten Protokollen (u.a. unterschiedliches Datum bei Hygienemaßnahmen): Das sei in der Eile passiert, das seien keine Fehler, sondern „bereinigte Daten“. Die Volksanwaltschaft zeigte auch eine „massive Überlastung“ des Personals auf. Der Heimträger kontert mit einem wohlbekannten Argument: Zum Zeitpunkt der Prüfung betrug der Personalstand 106 Prozent. Dr. Helmhart Premstaller, einer der Ärzte, der ebenfalls im Heim Visiten (und auch begründete Telefoneinweisungen) macht, fand dafür deutliche Worte.

Schlüssel passt nicht

Der Personalschlüssel sei hier das Problem – „ein Problem der Politik“. Pflegekräfte, die zu zweit für rund 80 Bewohner da sind, hätten „Angst vorm Nachtdienst“, wie er hört. „Da rinnt’s mir kalt den Buckel runter“, sagt Premstaller und bricht eine Lanze für die Pflege: Seit 2003 betreut er Heimpatienten, nie nahm er Mängel wahr. Die Vorwürfe könne er „in dieser Heftigkeit“ nicht nachvollziehen. Die Angst vorm Nachtdienst schon, wenn er am Sonntag spätabends ins Heim kommt und die Glocke fast ständig läuten hört. Die Volksanwaltschaft bestätigt „systemische Defizite“ beim Management von Influenza-Ausbrüchen. Die Stellungnahme des Landes OÖ liege bereits vor, diese bestätige „im Wesentlichen“ den Bericht der Kommission. In puncto Visiten sei es für Erkrankte und das Pflegepersonal „äußerst belastend“, wenn trotz einer Akutsituation und bekannter Influenza-A-Infektionen ein Vertrauensarzt nicht gleich vor Ort ist. Auch Hausärzte können sich bei Systemmängeln an den Volksanwalt wenden. Was die Gemeinde betrifft, wird sich die zuständige Volksanwältin, Dr. Gertrude Brinek, auch aufgrund einer Individualbeschwerde mit dem Fall befassen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune