25. Jän. 2017

Dr. Stelzl: Wahlarzt kontra Kassenarzt

Schon allein die Tatsache, dass ich eine Kolumne mit diesem Titel überhaupt schreiben kann, ist eigentlich schwachsinnig. Statt dass wir uns einig sind darin, dass wir alle nach besten Kräften und Möglichkeiten unsere Patienten versorgen (Deppen und schwarze Schafe auf beiden Seiten ausgenommen), hacken wir auf der jeweils anderen Spezies herum. Es gibt unzählige und unselige Ansätze unser Gesundheitssystem zu verbessern. Und es gibt vernünftige Vorschläge und auch die eine oder andere völlig intelligenzfreie Meldung zum Thema.

So vor einiger Zeit der Ansatz, dass man, um der Zweiklassenmedizin entgegenzuwirken, am besten die Wahlarztrückvergütung streichen sollte. Und was würden wir damit erreichen? Wahlärzte leisten einen unverzichtbaren Beitrag dafür, dass das Werkl am Laufen bleibt. Und es gibt viele Menschen, die sich den Wahlarztbesuch mit Refundierung des ohnehin mageren Anteils gerade noch so leisten können. Viele Frauen, auch aus weniger gut verdienenden Schichten, die lieber zu einer Gynäkologin gehen wollen und deshalb bei der Wahlärztin sind. Viele Menschen, die zum Wahlkinderarzt, -hautarzt etc. gehen und sich das so mit Ach und Krach leisten können, weil diese Kollegen sich einfach mehr Zeit nehmen können.

D wie Denkfehler

Streicht man nun die Wahlarztrefundierung, dann bekommen wir sie noch extremer, die böse Zweiklassenmedizin. Dann können wirklich nur mehr Menschen mit genügend Kohle oder Zusatzversicherung, was wiederum bedeutet genügend Kohle, um die Prämie zu zahlen, wählen. Und dann hocken noch mehr Menschen in unseren Wartezimmern, und die Wartezeiten und Wartelisten werden noch länger, als sie ohnehin schon sind. Und inwiefern bitte sollte das die Versorgungslage der ärmeren und finanzschwachen Bevölkerungsschichten in irgendeiner Form positiv beeinflussen?

Da ich viel Wert auf Präventivmedizin lege, mache ich auch sehr viele Vorsorgeuntersuchungen. Daraus ergeben sich dann zwangsläufig Besuche bei der Hautärztin, beim Urologen oder bei der Gynäkologin. Da bin ich dann heilfroh, dass ein Teil der Patientinnen und Patienten zum Wahlarzt will. Die Wartezeiten auf einen Termin beim Kassenhautarzt im Bezirk beispielsweise kann man in Monaten angeben. Natürlich kann ich ihn anrufen, wenn irgendetwas verdächtig aussieht, und dann kommt der Patient sofort dran. Aber für eine Routinekontrolle oder für ein kosmetisches Pro­blem heißt es warten. Also bin ich froh, denn für jeden, der zum Wahlarzt geht, kann ich einen anderen etwas rascher beim Kassenfacharzt unterbringen. Und für jeden, der seine Vorsorgekoloskopie im Sanatorium erledigt, wird ein Krankenhausbett oder ein Termin bei unserer Chirurgin im Bezirk frei.

Gottseidank haben wir sie, die Zweiklassenmedizin. Denn sie ist auch einen Zweimöglichkeitenmedizin. Und alle profitieren davon. Alternativ dazu gibt es nur eine Lösung: die sofortige Schaffung hunderter neuer Kassenstellen und die adäquate Entlohnung von Kassenärzten. Ja, ich weiß, ich wälze mich auch noch immer am Boden vor Lachen!

Einmal im Monat treffe ich mich mit meiner Freundin und Kollegin N. bei unserem Chinesen zum Abendessen. Wir nennen es unser therapeutisches Selbsthilfeessen. Wir arbeiten beide ähnlich, auch wenn wir in unterschiedlichen Fachrichtungen tätig sind: Mit 150%igem Einsatz, mit viel persönlichem Engagement und mit ganzem Herzen. Und wir könnten beide deshalb vor Wut heulen, wenn wir Sprüche hören wie „Kassenmedizin ist letztklassig“. Weil es einfach nicht stimmt.

cartoon_verarmt

Wir leisten erstklassige Arbeit, letztklassig dabei ist nur oftmals die Honorierung. Und uns geht die Galle über, wenn Kollegen in Zeitungsinterviews verlautbaren, dass sie sich als Wahlarzt niederlassen, weil die Kassenärzte ja keine Zeit für die Patienten hätten und sich nicht richtig engagieren und kümmern würden. Vor allem, wenn selbige Kollegen die Hintergründe sehr gut kennen und genau wissen, wie es um Versorgungsauftrag und Patientenschlüssel bestellt ist. Wenn der Kollege ein Stundenhonorar nimmt, für das ich als Kassenarzt mindestens ein Dutzend GKK-Erstordinationen durchbringen muss bzw. am Quartalsende einen halben Tag arbeiten, dann glaube ich auch, dass er entspannter ist als ich.

Ich glaube auch, dass seine Patienten das gerne zahlen und mit ihm als Arzt sehr zufrieden sind. Die Crux ist nur, dass sich die meisten das nicht leisten können oder wollen. Aber die kann zumindest dieser Herr offensichtlich gut ausblenden. Blöd ist nur, dass die die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Was wir Kassenärzte leisten, ist also letztklassig und ungenügend. Na ja, eine gewisse Basisversorgung leisten wir schon, wird uns gnädigerweise zugestanden. Mir langt’s jetzt langsam. Da ich viele Patienten aus dem Ausland – England, Spanien, Australien, USA, Kanada etc. – habe, habe ich auch einen ganz guten Vergleich mit anderen Versorgungssystemen. Und ich muss sagen, wir brauchen uns nicht zu verstecken.

Vom Mutter-Kind-Pass über die Vorsorgeprogramme aller Fachrichtungen zur kurativen Therapie aller mehr oder weniger großen Problemchen. Wir sind echt top. Und noch eine kleine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen in der privat- oder wahlärztlichen Ordination: Wir haben nicht fünfzig, hundert oder zweihundert Patienten am Tag, weil wir die nicht mögen und gerne vernachlässigen, sondern weil wir einen Versorgungsauftrag haben. Wer einmal schauen will, wie sich das anfühlt, darf gerne mal einen Tag übernehmen. Und dann weiterreden. Wir sind froh, dass es euch gibt und wir gemeinsam für die Patienten arbeiten. Aber bitte um etwas mehr Respekt!

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune