11. März 2020Community Nurses

„Wir fühlen uns durch das Regierungsprogramm bestärkt“

Gruppe von Gesundheitspersonal und Patienten unterschiedlichen Alters in einer Gruppe, alle mit Händen beim Lächeln im Krankenhaus
Gettyimages/Hispanolistic

Geht es nach der türkis-grünen Regierung, sollen künftig Community Nurses in 500 Gemeinden kommen. Wie dieser Ansatz in der Praxis funktionieren könnte, legt Kerstin Marchner im Interview mit medonline dar. Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin ist Qualitätsmanagerin für die vom Sozialministerium zertifizierte Vermittlungsagentur BestCare 24, die eine nach eigenen Angaben „neue Pflegestruktur“ in Österreich aufbaut.

Kerstin Marchner, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin

Qualität stehe an oberster Stelle, betont DGKP Kerstin Marchner, BSc, zuständig für das Qualitätsmanagement und den Ausbau des BestCare 24-Netzes. Dieses zieht sich mittlerweile bis auf Vorarlberg und Tirol über fast ganz Österreich, wobei bald auch eine Diplomierte in Tirol tätig werden soll. Der Anbieter gehört zu den ersten 15 Agenturen, denen das Sozialministerium im Oktober 2019 das Gütesiegel „ÖQZ-24“ verliehen hat (Qualitätszertifikat in der 24-Stunden-Betreuung, siehe unten). Ein Jahr davor erhielt die Agentur in einem Vergleichstest des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) sogar das Qualitätsurteil „Sehr gut“ – als einziger privater, überregionaler Vermittler.
„Unser Netz ist schon lange vor dem Regierungsprogramm entstanden“, holt Marchner aus, „wir fühlen uns jetzt nur bestärkt.“ Schon 2018 habe ein Pilotversuch begonnen, der folgendermaßen aussieht: Die Vermittlungsagentur biete 24-Stunden-Betreuung und Pflegedienstleistungen an und gehe dabei mit regionalen diplomierten Gesundheits- und Pflegekräften eine „Partnerschaft“ ein. Die Diplomierten, die freiberuflich arbeiten, können sich voll und ganz auf die Kernkompetenz als Diplomierte konzentrieren, nämlich „zu schauen, dass die Pflege- und Betreuungssituation gut funktioniert und die gesamte Familie entlastet ist“. Sie vernetzen sich mit den Hausärzten und Therapeuten, ähnlich den „Community Nurses“ im Regierungsprogramm, das da lautet: ‚Angehörige erhalten professionelle Unterstützung von Community Nurses als zentrale Ansprechpersonen für die zu Pflegenden, die Angehörigen, zur Koordination von mobilen Pflege- und Betreuungsdiensten, medizinischen und sozialen Leistungen sowie zur Koordination von Therapien‘. Auch im Präventionsbereich haben laut Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen die Community Nurses eine ‚zentrale Bedeutung‘, bis hin zu präventiven Hausbesuchen.

Zurück zur Qualität: Damit man das „ÖQZ-24“-Gütesiegel bekommt, sind unter anderem verpflichtende Hausbesuche durch DGKP und ein Notfallplan Voraussetzung. „Bei uns ist es so, dass das Erstberatungsgespräch Diplomierte übernehmen“, berichtet Marchner. Denn es werden nicht nur Kosten eingeschätzt, sondern eine genaue Anamnese erstellt und der Pflege- und Betreuungsbedarf erhoben, was im Aufgabenbereich einer Diplomierten liege.

„Qualitätsvisiten“ durch Diplomierte

Die notwendigen „Qualitätsvisiten“ im Abstand von drei Monaten übernehmen bei BestCare 24 ebenfalls ausschließlich Diplomierte – eine fixe Bedingung für die Erlangung des Zertifikats. Es gehe darum, dass gewisse Pflegetätigkeiten von den Diplomierten an die 24-h-Betreuerinnen im Rahmen des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (GuKG) delegiert werden müssen, erklärt Marchner. Der Notfallplan wiederum enthalte erstens die Rettungskette (z.B. Rettung, Feuerwehr, Polizei) und zweitens die internen Abläufe, wenn beispielsweise akut eine 24-Stunden-Betreuerin erkrankt oder sich der Gesundheitszustand des Klienten verschlechtert. Beispielsweise bekomme man innerhalb von drei Tagen einen Ersatz für eine erkrankte Betreuerin oder es schaue eine Diplomierte vorbei, wenn sich der Betreuungsaufwand durch ein Ereignis verändert hat. Eine entsprechende Hotline ist rund um die Uhr erreichbar.
Die Zertifizierung ist laut Marchner ein „umfangreicher Prozess“: Nach der Bewerbung und einem Informationstag ist eine komplette Überarbeitung aller Dokumente erforderlich, in denen die Prozesse von einer Anfrage bis hin zum Ende einer Betreuung aufgezeigt werden müssen. Zusätzlich gibt es Termine vor Ort, einerseits im Büro, aber auch beim Klienten, wo die Betreuungssituation samt Dokumentation angeschaut wird und Gespräche mit den Klienten und den Personenbetreuerinnen geführt werden.

Jedes Bundesland mache „sein Eigenes“

Der Vorteil am BestCare 24-Konzept ist laut Marchner, dass vor allem Diplomierte aus den Heimatregionen gesucht werden. „Denn wer weiß besser Bescheid als jene vor Ort?“, spricht Marchner die föderalen Strukturen an, „sie kennen die Ansprechpartner in den Gemeinden, viele sogar persönlich, die Hausärzte rundherum, und können durch kurze Wege ein ganz anderes Netzwerk aufbauen.“ In jedem Bundesland gebe es andere Anträge, zum Teil auch unterschiedliche Förderungen. Das Burgenland z.B. zahlt als einziges Bundesland noch 550 Euro zusätzlich zum Bundeszuschuss von 550 Euro für die 24-Stunden-Betreuung. Die vielen Unterschiede in dem kleinen Land Österreich seien herausfordernd, „weil jedes Bundesland sein Eigenes macht“.
Den Pflegekräftemangel könne sie zwar bestätigen, aber: „Es ist so, dass sehr viele einfach sagen: Ich will nicht mehr in einer Einrichtung arbeiten, sondern freiberuflich tätig sein. Wir haben laufend Gespräche mit Diplomierten, die sich vorstellen können, ein größeres Gebiet zu betreuen“, erzählt Marchner. Andere wollen zwar noch stundenweise in einer Einrichtung arbeiten, aber zusätzlich freiberuflich tätig sein. Die Diplomierten stellen für alles, was sie für BestCare 24 erledigen, eine Honorarnote. Im Gegenzug haben sie Zugang zur elektronischen Pflegedokumentation, bekommen Info-Folder, etc. „Dadurch können sie sich ihre Zeit und ihr Arbeitspensum frei einteilen“, sagt Marchner, „je aktiver sie sind, umso höher die Wahrscheinlichkeit, Klienten zu gewinnen und in weiterer Folge zu betreuen.“

Einrichtungen: „Permanente Sandwich-Situation“

Marchner ist seit fast drei Jahren selbst in der Freiberuflichkeit. Ihre Motivation lässt gesundheitspolitisch tief blicken: „Nach so vielen Jahren in der Personalführung und Haus- und Pflegedienstleitung habe ich einen Schlussstrich gebraucht – von der Abhängigkeit und der permanenten Sandwich-Situation.“ Einerseits die schwierige Personalsituation, andererseits die Vorgaben der Vorgesetzten bzw. die Abhängigkeit davon, dass man ihr überhaupt die finanziellen Mittel für genügend Personal zur Verfügung stellt. Marchner hat sowohl Erfahrung als Haus- und Pflegedienstleiterin und als Stationsleiterin in Pflegeheimen, als DGKP in Spitälern sowie als Einsatzleiterin bzw. Teamkoordinatorin bei Anbietern sozialer Dienstleistungen.
Freilich seien in Österreich freiberuflich tätige Diplomierte noch ungewohnt. „Aber ich denke, das wird sich in den nächsten Jahren einspielen“, ist Marchner überzeugt, denn auch über selbstständige Physiotherapeuten, Logopäden etc. mache sich keiner mehr Gedanken. Entscheidend sei immer die qualitätsvolle Umsetzung: „Wenn unsere Klienten merken, da kommt regelmäßig eine Person vorbei, die etwas von Pflege und Betreuung versteht, dann wird das große Umdenken stattfinden, die Familien und Betroffenen sehen, dass es für sie Unterstützung und Entlastung bringt, und fühlen sich aufgehoben.“

Gute Zusammenarbeit mit Hausärzten

Die Zusammenarbeit mit den Hausärzten bezeichnet Marchner als gut, weil diese auch merken würden: „Letztendlich werden sie dadurch entlastet, weil sich jemand mit ihnen gemeinsam um den Patienten kümmert.“ Manche Hausärzte seien dankbar, wenn sie ihren Patienten qualitätsvolle Pflegedienstleistungen empfehlen können.
Die im Regierungsprogramm erwähnten präventiven Hausbesuche ab 75 müsse man mindestens fünf Jahre früher ansetzen, findet Marchner: „Wenn man präventiv tätig werden will, bin ich mit 75 schon zu spät dran.“ Ein weiterer Knackpunkt könnte die von der Regierung geplante Aufwertung von Pflegeberufen sein, bei der die Ärztekammer schon vorsorglich davor gewarnt hat, dass es hier zu keiner „Erosion ärztlicher Kompetenzen“ kommen dürfe. „Wir Diplomierten würden uns schon wesentlich mehr Unabhängigkeit wünschen“, verweist Marchner auf Skandinavien oder England, wo sehr viele Diplomierte Spezialisierungen haben, die es in Österreich grundsätzlich auch schon gebe.

Diplomierte sollen auch mit Kassen abrechnen können

Etwa das „Advanced Nursing Practice“-Studium, das Marchner an der IMC FH Krems abgeschlossen hat, oder Zusatzausbildungen für Diabetes, Pain Nurse, Palliativpflege – „es gibt viele gut ausgebildete Diplomierte“. Nur: Wenn man nicht mit den Spezialisierungen auch ein Mehr an Kompetenzen, an Möglichkeiten bekomme und das finanziell auch leistbar sei, dann wirke sich das auf die Attraktivität des Berufs aus. Hierzulande würden die gesetzlichen Grundlagen fehlen: „Als Diplomierte kann ich nicht mit den Krankenkassen abrechnen, alles was ich an Pflegeberatung mache, ist eine Privatleistung“, betont Marchner.
Selbst bei Inkontinenzprodukten oder bei Verbandsmaterialien für Wundmanager brauche es eine ärztliche Verordnung. In Skandinavien gebe es sogar einen Medikamentenpool, aus dem die Diplomierten gewisse Medikamente verschreiben dürfen, weiß Marchner.

Freiberuflichkeit versus Abhängigkeit

Sie sei übrigens eine „große Befürworterin“ der Freiberuflichkeit: „Die Community Nurses sollen nicht an die Gemeindeverwaltung gekoppelt sein. Sie sollen unabhängig arbeiten, zusammen mit Gemeinden, keine Frage“, meint Marchner, aber eben nicht abhängig von den Gemeinden und ihrer – auch das soll vorkommen – Parteipolitik. „Wir sind jetzt alle im Gesundheitsberuferegister, warum können Diplomierte für ihre Freiberuflichkeit nicht mehr Unterstützung bekommen?“, sagt Marchner. Grundsätzlich sei die Frage: Legt man das Konzept Community Nurses so breit wie möglich aus oder kürzt es so zusammen, das es in unser jetzt bestehendes System hineinpasst?
Die Qualitätsvisiten sind schon in den Preisen von BestCare 24 enthalten – keine Selbstverständlichkeit am österreichischen Markt, an dem sich rund 800 Agenturen tummeln. Die Kosten für die 24-Stunden-Betreuung sind abhängig von Pension, Pflegegeld und Bundesförderung (550 Euro bis 2.500 Euro Einkommensgrenze). Als großen Vorteil sieht Marchner auch, dass BestCare 24 auf Subagenturen verzichtet. Eigene Mitarbeiter in den Büros vor Ort in der Slowakei und Rumänien überprüfen die Kompetenzen und auch Deutschkenntnisse der Personenbetreuerinnen.
„Besonders wichtig ist mir, dass man bei der aktuellen Debatte zur Pflegereform den Menschen nicht aus dem Fokus verliert. Wir sollen wissen: Um wen geht es tatsächlich?“, regt Marchner an. Die Prävention wiederum betreffe jedes Alter, nicht nur den alten, kranken Menschen. Und um den Menschen herum gehöre auch das Krankenpflegepersonal. Am dringlichsten wäre, hebt Marchner abschließend hervor, dass für die Spezialisierungen des Krankenpflegepersonals, angefangen von den Advanced Nursing Practitioner bis hin zur Pain Nurse, „endlich die richtigen Stellen geschaffen werden mit der richtigen Entlohnung und mit flexiblen Teilzeitmodellen“.

Schichtdienst mit kleinem Kind

Erst neulich habe ihr eine junge Mutter erzählt, dass ihr ein großes Universitätsklinikum keine Teilzeitstelle anbieten könne. Sie müsse mit einem kleinen Kind noch immer im Schichtdienst arbeiten und sei bei der Kinderbetreuung auf die Schwiegereltern angewiesen – und das im Jahr 2020. „Das sind Diplomierte, die wir dann verlieren, da müssen wir endlich einmal hinhören!“, appelliert Marchner an die Verantwortlichen im Gesundheitssystem, „ich denke, es gibt viele gute, engagierte, offene Diplomierte, die sich einfach nicht abgeholt fühlen, weil die Rahmenbedingungen nicht da sind.“

Zur Person

Kerstin Marchner, BSc, ist seit 1990 in der Gesundheits- und Krankenpflege tätig. Sie hat in öffentlichen Spitälern und Pflegeheimen in Wien und Niederösterreich gearbeitet, wo sie unter anderem für die Qualitätssicherung zuständig war und auch Personalverantwortung übernommen hat. Seit 2017 ist Marchner selbstständig. Seit September 2019 ist sie bei BestCare 24 für das Qualitätsmanagement und den Aufbau eines bundesweiten Netzes zuständig. Die in Österreich ansässige Agentur vermittelt 24-Stunden-Betreuung und Pflegedienstleistungen und gehört zu den ersten 15 nach den Richtlinien des Sozialministeriums zertifizierten Vermittlungsagenturen.

Bisher 15 Vermittlungsagenturen mit ÖQZ-Gütesiegel

Das Sozialministerium führt seit Mai 2019 Zertifizierungen von Vermittlungsagenturen durch. Die erstmalige Verleihung des „Österreichischen Qualitätszertifikats für Vermittlungsagenturen in der 24-Stunden-Betreuung“ (ÖQZ-24) wurde am 21. Oktober 2019 von der ehemaligen Bundesministerin, Dr. Mag. Brigitte Zarfl, vorgenommen. Von den 15 zertifizierten Agenturen sind neun in mehr als fünf Bundesländern tätig (alphabetisch gereiht): Antonius PflegeDienst GmbH, BestCare 24 GmbH, Caritas Rundum Zuhause betreut, cura domo 24-Stunden-Betreuung GmbH, Fidelita GmbH, Hilfswerk Personaldienstleistungs GmbH, Leben in Würde, Malteser Care GmbH, Verein Pflegegruppe. Weitere 19 Agenturen befinden sich im Zertifizierungsprozess, insgesamt sind rund 800 Agenturen in Österreich tätig.

Alle bisher zertifizierten Agenturen sind zu finden unter: oeqz.at/zertifizierte-vermittlungsagenturen/