18. Sep. 2017

Strittige Medikamentenpreise

Der Zugang zu Arzneimitteln wird auch in den Industrieländern immer mehr zum Thema. Eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im Gesundheitsministerium suchte Lösungsansätze. (Medical Tribune 37/2017)

Diskutierten (v.l.): Josef Probst, Christina Cepuch, Esteban Burrone, Hanne B. Pedersen, Clemens Auer, Sabine Vogler, Wolf-D. Ludwig, Jan O. Huber.
Diskutierten (v.l.): Josef Probst, Christina Cepuch, Esteban Burrone, Hanne B. Pedersen, Clemens Auer, Sabine Vogler, Wolf-D. Ludwig, Jan O. Huber.

„Menschen wie ich ignorierten das Thema ‚Zugang zu Arzneimitteln‘ für lange Zeit, weil es in Österreich kein Problem war“, berichtete Dr. Clemens Auer, Leiter der Sektion I (Gesundheitssystem, zentrale Koordination) im Gesundheitsministerium, zu Beginn der Diskussion, „dann kam Hepatitis C und eine amerikanische Firma. In diesem Moment begannen sogar Leute wie ich zu realisieren, dass wir ein Problem haben.“ Ein wichtiges Thema für die Sozialversicherung ist, dass die Therapiekosten für weit verbreitete Erkrankungen ständig steigen. So betonte Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, dass die Therapiekosten für cholesterinsenkende Medikamente von 70 bis 430 Euro im Jahr auf bis zu 5000 Euro pro Jahr gestiegen sind. Zählt man die Kosten für alle 700.000 Patienten, die in Österreich cholesterinsenkende Medikamente einnehmen, zusammen, schlägt das im Sozialversicherungsbudget mit fünf Millionen Euro zu Buche.

Hier habe man nur zwei Möglichkeiten: Man schließt Patienten von der Therapie mit hochpreisigen Medikamenten aus, oder man bringt das Sozialversicherungs-system in Schwierigkeiten. „Wovon ich spreche, ist eine faire Preisgestaltung. Denn weltweit haben die Firmen begonnen, ihre Monopolstellungen für extreme Preisgestaltung zu nutzen“, so Probst. Derzeit seien die rechtlichen Rahmenbedingungen so gestaltet, dass sie dem Treiben keine Grenzen setzen. Dr. Jan Oliver Huber, Geschäftsführer der Pharmig, konterte. Seiner Meinung nach gibt es in Österreich kein Problem mit dem Zugang zu Arzneimitteln. Das rechtliche Rahmenwerk werde von der Politik geschaffen, nicht von der Pharma­industrie. Was das Thema Hepatitis-C-Medikamente betreffe, so spreche jeder von den Therapiekosten, aber niemand davon, dass es möglich sei, Hepatitis C zu heilen. Ein Problem gebe es in Österreich nicht bei der Preisbildung, sondern vielmehr beim Einkauf.

Zweimal zahlen

Ein noch größeres Problem ist laut Christina Cepuch, Ärzte ohne Grenzen, dass die Öffentlichkeit für innovative Arzneimittel oft zweimal bezahlt. Denn ein Großteil der Grundlagenforschung wird in öffentlich finanzierten Einrichtungen gemacht und erst später an die Industrie verkauft. So finanziere die öffentliche Hand die Forschung, die zur Entdeckung eines Arzneimittels führe, und zahle später noch einmal für das Arzneimittel. Ein Argument, dem sich Auer anschloss: „Man muss sich fragen, wie blöd der öffentliche Sektor eigentlich ist, zuerst die Forschung zu finanzieren und dann auch noch einen höheren Preis für die Arzneimittel zu bezahlen.“ Man müsse bereits beim Entdecken eines Moleküles in öffentlich finanzierten Einrichtungen beginnen über den Preis zu reden. „Uns zu sagen, dass es kein Problem gibt, heißt auch, uns nicht ernst zu nehmen“, so Auer weiter.

Profit über alles?

Die Pharmaindustrie betont immer wieder, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung für ein Produkt rund eine Milliarde betragen, berichtete Probst und prangerte an: „Wenn man sich die einzelnen Produkte ansieht, dann machten sie (Gilead, Anm.) mit Produkten wie dem Hepatitis-C-Medikament im ersten Jahr einen Turn­over von 25 Milliarden und hatten einen Gewinn von gut 50 Prozent, das entsprach 14 Milliarden Euro. Dazu kommt, dass Gilead nirgendwo Steuern dafür gezahlt hat. Das ist alles Offshore-Geld. Dieses Offshore-Geld wird nun dazu verwendet, um andere Firmen aufzukaufen.“

In Großbritannien gebe es zudem Evidenz, dass die Produktionskosten für drei Packungen des Hepatitis-C-Medikaments 130 Dollar betragen. Probst: „Sie haben uns eine Packung für 17.000 Euro angeboten.“ Er betonte auch den finanziellen Background der Pharmaindustrie: „Die Firma mit dem meisten Offshore-Geld im Pharmasektor ist Pfizer mit 197 Milliarden Dollar.“ Diese Summe sei unvorstellbar groß. Zum Vergleich: BMW, Volkswagen und Daimler sind an der Börse zusammen etwa 200 Milliarden Dollar wert. Probst: „Das Offshore-Geld von Pfizer ist gleich hoch wie der Bestandswert der drei größten deutschen Automobilhersteller.“
Eine Lösung, um Arzneimittel billiger einzukaufen, wäre eine verstärkte staatenübergreifende Zusammenarbeit. Probst: „Wir sollten nicht für neun Millionen Österreicher einkaufen, sondern für 40 Millionen Menschen in den Benelux-Staaten plus Österreich.“ Um dies zu ermöglichen, müsse man allerdings zuerst die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune