12. Apr. 2018

MT50: Das wurde aus dem Ärzte-Überschuss (7/2001)

Im Februar 2001 schockierte folgende Nachricht die Ärzteschaft: Es gebe mehr Ärzte als benötigt und die Situation werde sich verschärfen. Laut einer ÖBIG-Studie würden in 20 Jahren fast 10.000 Kollegen in Österreich arbeitslos sein. Ärztekammer und der Gesundheitsstaatssekretär forderten daher Studieneingangsprüfungen. Nun, heute und somit 17 Jahre später, ist von einem Medizinerüberschuss keine Rede mehr. Im Gegenteil: Ärztekammer und Co warnen vor einem bevorstehenden Ärztemangel, insbesondere in der Allgemeinmedizin, wo eine Pensionierungswelle im Anrollen ist.

Folgender Artikel erschien am 14. Februar 2001

9500 arbeitslose Ärzte in 20 Jahren

WIEN – Schon jetzt gibt es mehr Ärzte als tatsächlich benötigt werden. Sollten die derzeitigen Bedingungen beim Medizinstudium und bei der Ärzteausbildung beibehalten werden, wird sich diese Situation in Zukunft noch verschärfen. Der Gesundheitsstaatssekretär und die Ärztekammer fordern daher Studieneingangsprüfungen.

25.051 Ärzte werden derzeit für eine optimale medizinische Versorgung der österreichischen Bevölkerung benötigt. Im Jahr 2020 werden es nur 1000 Ärzte mehr sein. Tatsächlich aber ist im Jahr 2020 mit einem Angebot von 35 500 Ärzten zu rechnen. Somit können 9500 Ärzte mit ziemlicher Sicherheit weder mit einem Kassenvertrag noch mit einer Spitalsanstellung rechnen. Eventuell werden es aber auch mehr sein. Denn bei den Prognosen sei der künftige Ärztebedarf „Eher über- als unterschätzt worden, sagte Dr. Michaela Moritz, Leiterin des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) bei der Präsentation der vom Sozialministerium beauftragten Studie „Ärztliche Versorgung in Österreich – Ärzteangebot und Bedarf bis 2020“.

Diese Fehlentwicklungen sind besorgniserregend. Sowohl für die Betroffenen selbst, als auch für die Gesellschaft“, kommentierte Gesundheitsstaatssekretär Univ.-Prof. Dr. Reinhart Waneck die Ergebnisse. ÖÄK-Präsident Dr. Otto Pjeta sprach angesichts der Zahlen von einer „völlig verfehlten Bildungs- und Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte“ und monierte, dass die „vorangegangenen Regierungen die nachdrücklichen Warnungen der Ärzte überheblich in den Wind geschlagen hätten“. Wie Prof. Waneck führte auch Dr. Pjeta die gesellschaftlichen und individuellen Kosten des Ärzteüberschusses ins Treffen: „Verlorene Jahre, getretener Idealismus und quälende Existenznöte für die betroffenen jungen Menschen. Und für die Allgemeinheit bedeutet ein Überangebot an Ärzten unzählige Steuermilliarden und keineswegs eine Verbesserung der medizinischen Versorgung.“ Denn die Qualität der medizinischen Leistungen habe sehr viel mit der Ausübung zu tun. „Jemand, der vier Jahre lang das erlernte Wissen nicht umsetzen kann, der kann es natürlich nicht mehr in der Qualität anbieten wie ein Praktizierender.“

Orientierung am Bedarf

Was also tun, um dagegen zu steuern? Der Ärztekammerpräsident fordert eine Bedarfsorientierung in zweifach Hinsicht: „Die Inhalte müssen an die  -> 18

Ärztliche Versorgung laut ÖBIG:
Angebot und Bedarf bis 2020

Entwicklung des Ärztebestandes seit 1980:
Zwischen 1980 und 1999 ist die Gesamtzahl der Ärzte von 15.700 auf 34.000 gestiegen. Das entspricht einem Plus von 85 %. Zur Berufsausübung in vollem Umfang sind rund 27.400 Ärzte berechtigt. „Österreich liegt damit“, so der Studien-Kommentar, „im europaweiten Vergleich im Spitzenfeld.“

Trends der letzten 10 Jahre:
Zunahme der Wohnsitzärzte um 28 %; Zunahme der niedergelassenen Ärzte um 21 %. Unter diesen eine nur leichte Steigerung der §2-Kassenärzte, nämlich um 7 %, und eine Abnahme der Ärzte, die ausschließlich Verträge mit den sogenannten kleinen Kassen haben, um 19 %. Gleichzeitig erfolgte nahezu eine Verdoppelung der „Wahlärzte“ (plus 85 %).
Zunahme der angestellten Ärzte um 35 %, insbesondere der Fachärzte um 40 %. Gleichzeitig Abnahme der Turnusärzte um 7 % und moderate Zunahme der angestellten Allgemeinmediziner um 15 %.

Regionale Versorgungssituation:
Tendenziell werden städtische Bereiche von den Ärzten bevorzugt. So beträgt die Ärztedichte in Städten wie Wien, Graz, und Innsbruck – die auch medizinische Fakultäten und die größten Krankenanstalten beherbergen – zwischen 6,5 und 7 Ärzten pro 1000 Einwohner, in ländlich peripheren Regionen liegt sie hingegen nur bei rund 2 Ärzten pro 1000 Einwohner. Dies betrifft besonders die Regionen Mühlviertel, das Tiroler Oberland, den Bludenz-Bregenzer-Wald, Oberkärnten sowie die gesamte Süd- und Oststeiermark und das oberösterreichische Innviertel. Resümee der Studie: Die regionale Versorgungsgerechtigkeit ist nur sehr eingeschränkt gegeben.

Prognose für das Jahr 2020:
Prognostiziert wird ein Ärztebedarf von 26.051, also um 100 Ärzte mehr als derzeit. Von den 1000 Ärzten werden 412 im allgemeinmedizinischen und 588 im fachärztlichen Bereich benötigt. Im errechneten Gesamtärztebedarf sind 5471 Wahlärzte (das sind rund 20 %) inkludiert. „Deren Versorgungswirksamkeit ist allerdings – insgesamt gesehen – als eingeschränkt zu werten, weshalb diese Wahlärzte nicht dem Bedarf im eigentlichen Sinn zuzuordnen sind“, heißt es in der Studie.

Ersatzbedarf infolge altersbedingter Berufsaufgaben:
Zwischen 2000 und 2020 werden rund 14.100 Ärzte zu ersetzen sein. Dieser Ersatzbedarf plus der Zusatzbedarf von 1000 Ärzten bis zum Jahr 2020 bestimmen die realen Jobchancen für die neu hinzu gekommenen Ärzte.

Prognostiziertes Überangebot 2020:
Seit Mitte der 90er Jahre gibt es jährlich rund 1100 Promoventen. Wenn diese in die postpromotionelle Ausbildung eintreten, ist im Jahr 2020 mit einem Angebot von rund 35.500 Ärzten mit ius practicandi zu rechnen. Damit würde der Gesamtbedarf um rund 9500 Ärzte überschritten. Dazu der Studien-Kommentar: „Für die nächsten 20 Jahre ist demnach nach derzeitigem Wissensstand mit einem bedarfsüberschreitenden Zuwachs von fast 500 Ärzten pro Jahr zu rechnen.“

MT-News

Pjeta unterstützt Pittermann
Keine aktive Sterbehilfe
WIEN – Der medizinischen Wirklichkeit von Schmerz und Leid mit aktiver Sterbehilfe zu begegnen, hält Wiens Gesundheitsstadträtin Dr. Elisabeth Pittermann für grundfalsch. „Die Menschen verlangen keine aktive Sterbehilfe. Sie möchten, dass ihre Leiden gelindert werden, aber nicht, dass ihr Leben verkürzt wird. Es ist primär die Angst vor Schmerzen, finanziellen Nöten und Druck auf die Angehörigen, die Gesunde dazu bringt, für die Tötung auf Verlangen einzutreten“, Meint Dr. Pittermann. Hier sei ein gut funktionierendes Sozialsystem besonders wichtig, das die Menschen nicht an die Grenzen ihrer Existenz bringt. „Im Krankheitsfall muss sofort medizinische, psychische und soziale Hilfe zur Verfügung stehen.“ Mit diesen Äußerungen habe Dr. Pittermann gegen „die von Minderheiten vertretene vermeintliche Mode richtig argumentiert“, unterstützt ÖÄK-Präsident Dr. Otto Pjeta die Gesundheitsstadträtin. Sie bewege sich mit ihrer Einstellung auf dem Boden zeitloser ethischer Grundsätze des Arztberufes.

Hausapotheken
Apothekenregelung beschlossen
WIEN – Der langjährige Streit um die ärztlichen Hausapotheken ist nun doch beendet. Die Ende Jänner vom parlamentarischen Gesundheitsausschuss beschlossene Regelung findet die Zustimmung von Ärzte- und Apothekerkammer. In Regionen, in denen im Umkreis von vier Kilometern mehr als 5500 Menschen zu versorgen sind, kann künftig eine öffentliche Apotheke aufmachen. Bestehende ärztliche Hausapotheken müssen dann zusperren. Für diese gilt eine Übergangsfrist von drei Jahren ab Konzessionserteilung für die öffentliche Apotheke, die in diesem Zeitraum auch wirklich aufsperren muss. Gesundheitsstaatssekretär Univ.-Prof. Dr. Reinhart Waneck rechnet damit, dass zu den derzeit rund 1100 öffentlichen Apotheken rund 300 neu eröffnen und etwa 300 Hausapotheken längerfristig vom Zusperren betroffen sein könnten.

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune