7. Feb. 2018

MT50: Wie übel ist Helicobacter pylori? (MT 48/1993)

So viel war klar: Wer Helicobacter pylori beherbergt, hat öfter als andere Magenbeschwerden. Aber die Assoziation mit Krebserkrankungen schien manchem Kollegen doch zu dünn. Und selbst wenn ein Zusammenhang bestünde – was dann? Bei 60 Prozent der Bevölkerung eine Eradikation durchführen, mit vorherigem Screening? „Das ist schon aus volkswirtschaftlichen Gründen gar nicht möglich“, meinte einer der Kontrahenten, Prof. Dr. Siegfried-Ernst Miederer vom Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld.

Folgender Artikel erschien am 3. Dezember 1993 in der “Medical Tribune”:

Helicobacter pylori

Macht er wirklich Magenkrebs?

2 Experten beleuchten das Risiko

Wie teuflisch ist der kleine Magenteufel wirklich? Gesichert ist: Wer Helicobacter pylori beherbergt, hat öfter als andere Magenbeschwerden. Doch ist er auch ein potentieller Krebskandidat? Es gibt eine ganze Reihe von Belegen dafür, daß Magenkarzinome gehäuft auf dem Boden einer Helicobacter-pylori-Gastritis entstehen, meint Professor Dr. Manfred Stolte, Institut für Pathologie, Klinikum Bayreuth. Professor Dr. Siegfried-Ernst Miederer, Evangelisches Krankenhaus, Bielefeld, zeigt sich da eher skeptisch. Für ihn ist die Korrelation zwischen Helicobacter und Magenkrebs nicht überzeugender als die Beziehung zwischen der Zahl der Störche und der Geburtenrate: Zu gering, um einen Kausalzusammenhang wirklich zu sichern. Medical Tribune läßt die beiden Kontrahenten zu Wort kommen.

Pro

Helicobacter bereitet dem Krebs den Boden – Aber ohne Pökelfleisch, Nitrite und Nitrosamin kein Krebs.

Professor Dr. Manfred Stolte, Institut für Pathologie, Klinikum Bayreuth

Die ersten Anzeichen für eine Zusammenhang zwischen Helicobacter-pylori-Gastritis und Magenkarzinom ergaben sich in epidemiologischen Studien aus den Jahren 1987/88: Diese zeigten, daß in Regionen, in denen Helicobacter pylori weit verbreitet ist und bereits die Kinder in hohem Maße durchseucht sind, auch das Magenkarzinom häufiger vorkommt. Diese statistisch signifikante Korrelation wurde später durch histologische Studien bestätigt. 1991 erschienen im „New England Journal of Medicine“ zwei wichtige Arbeiten, die wohl als endgültiger Beweis gewertet werden können, daß die Helicobacter-pylori-Gastritis eine präkanzeröse Kondition darstellt.

Die beiden amerikanischen Autorengruppen hatten tiefgekühlte Blutseren, die bis zu 30 Jahre alt waren und aus früheren Vorsorgeuntersuchungen stammten, auf IgG-Antikörper gegen Helicobacter untersucht. Die Seren der Probanden, die inzwischen ein Magenkarzinom entwickelt hatten, waren dabei hochsignifikant häufiger seropositiv als diejenigen von Probanden ohne Karzinom.

Eine weitere Studie aus England, die schon vorher im „British Medical Journal“ publiziert worden war, sowie die später in „The Lancet“ veröffentlichte EUROGAST-Studie waren im Prinzip zum gleichen Ergebnis gekommen. Das relative Magenkarzinomrisiko schwankte in all diesen Studien zwischen 2,8 und 6,0.

Unter dem Strich besteht heute kein Zweifel mehr daran, daß Magenkarzinome auf dem Boden einer Helicobacter-pylori-Gastritis häufiger entstehen als in keimfreien Mägen. Das heißt aber nicht, daß der Helicobacter pylori selbst ein Krebserreger ist. Er bereitet lediglich den Boden für das Karzinom. Damit dieses entstehen kann, müssen noch viele andere Faktoren zusammenkommen: Zeit, morphologischer Umbau (intestinale Metaplasie) und vor allem exogen zugeführte Kanzerogene.

Es muß also keine Panik aufkommen bei den Leuten, die den Keim beherbergen: Die Helicobacter-Gastritis ist in unseren Breiten immer noch sehr häufig – das Magenkarzinom wurde aber seit den 50er Jahren in allen Ländern mit hohem Hygienestandard deutlich seltener. Die Ursachen dafür zeigt ein Vergleich des Ernährungsverhaltens von damals und heute:

  • Gepökelte und geräucherte Speise, die bekanntlich kanzerogene Substanzen enthalten, sind nicht mehr so beliebt.
  • Die Nitrosaminaufnahme ist geringer geworden.
  • Die Zufuhr von Vitamin-C-haltigen Speisen (frisches Obst, Gemüse) ist gestiegen, und Vitamin C verhindert im Magen die Bildung von Nitrosaminen.

 

Contra

Direkter Zusammenhang nicht erwiesen – Und wenn es so wäre, hätte es keine Konsequenzen.

Professor Dr. Siegfried-Ernst Miederer, Medizinische Klinik des Evang. Krankenhauses, Bielefeld

Die derzeitig vorliegenden Angaben zum Zusammenhang zwischen Helicobacter pylori und Magenkrebs sind ausgesprochen unsicher. Es gibt Berechnungen, wie sehr das relative Risiko, ein Magenkarzinom zu entwickeln, bei einer Helicobacter-Infektion erhöht ist. In der Publikation des Engländers Forman lag dieser Wert bei 2,8; in der Untersuchung von Parsonnet betrug er 3,6 und bei der Studie von Nomura erreichte es 6,0. Gerechnet wurde jeweils bei einer Konfidenzintervallgrenze von 95 %.

Wenn man diese Werte beispielsweise mit dem Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen und Lungenkarzinom vergleicht, wird sofort klar, daß sie nicht viel Aussagekraft besitzen: Bei einem Konsum von 20 Zigaretten pro Tag beträgt das relative Risiko etwa 20, bei noch höherem Zigarettenkonsum sogar 40! Das sind ganz andere Größenordnungen. Die Zahlen zum Zusammenhang zwischen Helicobacter pylori und Magenkrebs sind für definitive Aussagen viel zu klein.

Auch die bisherigen Angaben über die Korrelation der Magenkrebsrate mit der Helicobacter-pylori-Durchseuchung in der Bevölkerung sind sehr unterschiedlich. Ich kann mir ja nicht nur die Bereiche aussuchen, wo das zusammenpaßt, sondern ich muß auch die zitieren, wo es nicht paßt. Die Verhältnisse in Japan z.B., dem Land mit der höchsten Magenkrebsrate, stützen die Argumentation kaum. Denn dort findet man Helicobacter pylori nicht viel häufiger als anderswo!

Zum Vergleich einige Zahlen: Die Helicobacter-Durchseuchung steigt mit dem Lebensalter, die höchsten Werte findet man etwa mit 50 Jahren. In dieser Altersgruppe beträgt die Durchseuchungsrate

  • in Österreich 60 %,
  • in England 40 %,
  • in den Niederlanden 52 %,
  • in Polen 84 %,
  • in Irland 87 % und
  • in Japan 50 %.

Nach dem 60. Lebensjahr fällt die Durchseuchungsrate wieder leicht ab. Nur in Polen findet man den Keim auch bei älteren Menschen praktisch immer. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß in Ländern mit hoher Durchseuchung wie Polen oder Irland auch der Magenkrebs häufiger ist! Man sieht also, daß die Beziehung keineswegs so überzeugend linear ist, wie derzeit postuliert wird.

Doch selbst wenn der Zusammenhang gesichert wäre, muß man sich fragen, was das für Konsequenzen hätte. Eine generelle Magenkrebs-Prophylaxe durch Eradikation des Keims ist nicht machbar, denn das würde bedeuten, daß wir 60 % der Bevölkerung diagnostizieren und behandeln müßten. Das ist schon aus volkswirtschaftlichen Gründen gar nicht möglich.

J.R.

Magenkrebs-Hp

Als PDF herunterladen

Zurück zur Jubiläumsseite

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune