Dieses Projekt überschreitet eine Grenze
Das Endometriose-Zentrum Melk arbeitet eng mit dem Klinikum Znaim zusammen. Im November 2017 wurde es als erste Einrichtung dieser Art in Niederösterreich EU-zertifiziert. Der Andrang an Patientinnen ist groß. Ein Lokalaugenschein. (Medical Tribune 1-3/18)
Das Endometriose-Zentrum des Landesklinikums Melk entstand im Zuge der Aktion „Gemeinsam grenzenlos gesund“, einem EU-geförderten Projekt der Grenzüberschreitenden Versorgung Niederösterreich-Südmähren. Ziel des 2016 gestarteten, dreijährigen Projekts ist es, das LK Melk als EU-zertifiziertes Endometriose-Zentrum der Stufe 1 zu etablieren. Dafür wurde ein Team von fünf Ärzten aufgebaut. Diese arbeiten eng mit den Spezialisten der Klinikums Znaim zusammen. Dort hat man schon seit zirka zehn Jahren einen Endometriose- Schwerpunkt. „Wir wissen, dass in Österreich rund 300.000 Frauen betroffen sind. Die Erkrankung verursacht volkswirtschaftliche Schäden von mehreren Millionen Euro“, gibt Prim. Dr. Leopold Wanderer, Leiter der Frauenheilkunde und Geburtshilfe im LK Melk, zu bedenken. „Der lange Leidensweg der Patientinnen – durchschnittlich dauert es sechs Jahre bis zur korrekten Diagnose – wird durch dieses Projekt verkürzt. Wir wollen Betroffenen in kurzer Zeit die bestmögliche Versorgung bieten.“
Sinne der Zuweiser stärken
Die Endometriose-Ambulanz im LK Melk ist Teil der Gynäkologischen Ambulanz und nach Terminvereinbarung besetzt. Die Patientinnen werden von ihren niedergelassenen Fachärzten zugewiesen. Um die Sinne der Zuweiser für die Krankheit zu schärfen, hat das LK Melk in diesem Jahr bereits auf eine Info-Veranstaltung im Haus gesetzt. Weitere sind geplant. „Wir sehen aber, dass sich auch durch die mediale Aufmerksamkeit und durch Mundpropaganda schon viel in puncto Bewusstsein bei den niedergelassenen Kollegen und bei betroffenen Frauen verbessert hat“, hält Wanderer fest. „Der Zulauf an Patientinnen in unserer Ambulanz ist sehr groß. Mittlerweile haben wir fast jede Woche zwei Termine, an denen wir Frauen begutachten.“ Die Möglichkeit einer Endometriose sollte vor allem bei extremen Menstruationsschmerzen oder unerfülltem Kinderwunsch einbezogen werden. Mit einer Basisuntersuchung aus Anamnese, Tastuntersuchung und Vaginalultraschall können niedergelassene Gynäkologen bereits viel abdecken. Die Zuweisung von Verdachtsfällen in ein Zentrum ist deshalb sinnvoll, weil für die exakte Diagnose und die Behandlung viel Erfahrung notwendig sind.
Vorgaben für Zertifizierung
Das Endometriose-Zentrum in Melk ist seit 1. November EU-zertifiziert. In Deutschland sind die Stiftung Endometriose- Forschung und die Deutsche Endometriose-Liga Schirmherren des EU-Zertifikats und kontrollieren alle zwei bis drei Jahre, ob die einzelnen Kliniken die Vorgaben noch erfüllen. Besonderen Wert legt die Stiftung darauf, dass alle Zentren nach einem bestimmten Schema vorgehen. Vorgaben für die Diagnostik sind in jedem Fall auch eine umfassende Anamnese, eine gynäkologische Untersuchung und ein vaginaler Ultraschall. Weitere Untersuchungen wie eine MRT oder Koloskopie kommen nur bei Bedarf hinzu. „Wenn man sich länger mit der Endometriose beschäftigt hat, weiß man, wo man genauer hinschauen und nachfragen muss“, so Wanderer. „Für die Anamnese haben wir ein eigenes Anamneseblatt entworfen: mit Fragen zur Schmerzsituation, zur Situation vor, während und nach der Regelblutung, Kinderwunsch, Voroperationen usw. Unsere fünf Ärzte, die in der Endometriose- Ambulanz die Patientinnen betreuen, haben viel Erfahrung mit dem Ultraschall. Sie fahren auch in andere Häuser, um sich fortzubilden. Das ist wichtig, um die Diagnostik und die Operationsplanung stetig zu verbessern.“
Gemeinsame Operationen
Bei etwa 20 Prozent der Verdachtsfälle, die die niedergelassenen Kollegen zur Abklärung ins Spital schicken, handelt es sich um keine tief infiltrierende Endometriose. Manchmal sind die Schmerzen auch auf Wirbelsäulen- oder Gelenksprobleme zurückzuführen. Die endgültige Diagnose Endometriose kann nur mit OP und anschließender feingeweblicher Untersuchung gestellt werden. Trotzdem wird auch bei Verdacht einer leichten Endometriose, die nur minimal Schmerzen verursacht, oft konservativ behandelt: mit Gestagenen, Hormonspiralen usw. „Aber wir sehen genauso viele schwere Fälle mit langer Leidensgeschichte, bei denen man die OP gemeinsam mit Chirurgie, Urologie usw. planen muss“, betont Wanderer. Eben bei solchen schwierigen operativen Eingriffen erfolgt vorrangig die Zusammenarbeit mit dem Team von Prim. Dr. Radek Chvátal, Endometriose-Spezialist der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe im Klinikum Znaim.
Znaim ist ein Stufe-2-Zentrum. Mehr als 100 Patientinnen werden hier pro Jahr – nach vorgegebenen Kriterien – operiert. Melk hingegen ist, wie eingangs erwähnt, ein Stufe-1-Zentrum und hat damit den Auftrag, mindestens 50 Patientinnen im Jahr zu operieren. „Prim. Chvátal kommt für Operationen in regelmäßigen Abständen zu uns nach Melk“, erzählt Wanderer aus der Praxis. „Wir operieren dann an diesen Tagen gemeinsam ausgeprägtere Fälle. Ein-, zweimal pro Monat fahren Ärzte von uns nach Znaim und operieren dort, um Erfahrungen zu sammeln.“ In Znaim seien es vorwiegend tschechische und slowakische Patientinnen, die behandelt werden, in Melk großteils niederösterreichische.
Eine erste Bilanz
Erste Ergebnisse der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit weckten selbst das Interesse der Weltgesundheitsorganisation. Im Herbst besuchte eine internationale WHO-Delegation das LK Melk. Die gesammelten Erfahrungen werden in einer Case Study dokumentiert. Die bisherige Bilanz ist durchwegs positiv. „Seit dem Audit Ende Juli 2017 haben wir bis Ende Oktober 31 Patientinnen in Melk operiert; insgesamt im heurigen Jahr schon über 60“, weiß Wanderer um aktuelle Zahlen. „Besonders erfreulich ist, dass wir fünf Patientinnen mit einer OP den Kinderwunsch erfüllen konnten, einer mittels künstlicher Befruchtung, vier auf natürlichem Wege. Wir überschauen das ganz gut, weil die Frauen auch während der Schwangerschaft zur Kontrolle zu uns kommen.“ Viele junge Frauen hätten eine Scheu vor der Operation, weil sie noch keine Kinder haben oder weil es mit dem Kinderwunsch bisher nicht geklappt hat. „Wir wissen, dass 40 bis 50 Prozent der Frauen, die in einem Kinderwunschzentrum landen, eine Endometriose haben“, hebt Wanderer hervor. „Deshalb arbeiten wir ebenso mit Kinderwunschexperten zusammen. Sie schicken uns Patientinnen zur Abklärung.“
Zukunfts-Pläne
In Zusammenarbeit mit anderen Zentren laufen auch Studien, in die die Melker mittlerweile eingebunden sind. Unter der Federführung von Prim. Univ.-Prof. Dr. Jörg Keckstein wird beispielsweise alljährlich bei einem Expertentreffen am Weißensee in Kärnten begutachtet, wie sehr die Befunde von Endometriose-Patientinnen prä- und postoperativ zusammenpassen. Das LK Melk bekommt Anfang 2018 ein elektronisches Dokumentationssystem, das hierbei behilflich sein soll und aus forensischen Gründen erforderlich ist. Eine Richtlinie für den Geburtsmodus bei Endometriose- Patientinnen wird im Rahmen einer Studie in Zusammenarbeit mit Experten der Kepler Universität Linz erstellt. Was wird die Zukunft noch bringen? „Wir haben die Endometriose-Ambulanz innerhalb kürzester Zeit aufgebaut. Jetzt müssen wir noch die Abläufe etwas straffen, um den vielen Anfragen nachkommen zu können“, so Wanderer. „Gerade für die Endometriose- Patientinnen versuchen wir wirklich genügend Zeit einzuplanen, weil sie in der Regel eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben.“ Erste Früchte der Arbeit können mittlerweile geerntet werden: Die Patientinnen kommen drei Monate nach der OP bzw. ein Jahr danach zur Kontrolle in die Ambulanz. Wanderer: „Wir sehen mittlerweile viele Frauen wieder, denen wir zu einer neuen Lebensqualität verhelfen konnten. Das ist sehr erfreulich.“
Praxis-Steckbrief
Endometriose-Ambulanz Landesklinikum Melk (Abt. Frauenheilkunde und Geburtshilfe)
Leitung: Prim. Dr. Leopold Wanderer
Krankenhausstraße 11, 3390 Melk
Terminvereinbarung: 02752/9004–11120
www.melk.lknoe.at, www.noegus.at