19. Sep. 2017

PCSK9-Inhibition kann mehr als LDL senken

Die Hemmung von PCSK9 dürfte nicht nur das Plasma-LDL senken, sondern auch Thrombozytenfunktion und Inflammation  ­beeinflussen. Klinische Studien zu diesen Effekten fehlen allerdings noch, war am Europäischen Kardiologenkongress in Barcelona zu hören. (Medical Tribune 37/2017)

Die mittlerweile in Studien dokumentierten kardiovaskulären Risikoreduktionen unter Therapie mit Inhibitoren der Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) wurden als klarer Beleg für die „LDL-Hypothese“, die die Wirkungen beispielsweise von Statinen auf harte Endpunkte praktisch ausschließlich auf die Senkung des LDL zurückführt, interpretiert. Aktuelle Daten und Diskussionen im Rahmen des Kardiologenkongresses ESC legen nun jedoch nahe, dass sich die Dinge doch etwas komplizierter verhalten könnten. Denn auch die PCSK9-Inhibitoren könnten pleiotrope Effekte haben, wie sie ja für Statine seit Langem bekannt sind. Zwei Mechanismen werden vorgeschlagen, wie die Antikörper gegen PCSK9 über die Lipidsenkung hinaus das kardiovaskuläre Risiko reduzieren könnten: anti-inflammatorische und gerinnungshemmende Effekte.

Anti-inflammatorische Wirkung in vitro

Hinweise in Richtung einer anti-inflammatorischen, immunmodulierenden Wirkung kommen vom schwedischen Karolinska-Institut. Dort wurde ein experimentelles Atherosklerose-­Modell entwickelt, das es erlaubt, die Aktivierung von T-Zellen und dendritischen Zellen, die in atherosklerotischen Plaques häufig gefunden werden, in vitro zu studieren. Unter anderem untersuchten sie, wie PCSK9 die Reifung dendritischer Zellen beeinflusst, sowie die Effekte von oxidiertem LDL auf die T-Zell-Aktivierung. Die in diesem Modell verwendeten T-Zellen wurden aus atherosklerotischen Plaques von Patienten entnommen, die sich wegen einer Karotisstenose einer Endarterektomie unterziehen mussten. Als Kontroll-Population dienten T-Zellen aus dem peripheren Blut gesunder Probanden. Weiters wurden menschliche Monozyten aus dem Blut isoliert und zur Differenzierung in dendritische Zellen angeregt. Diese dendritischen Zellen wurden mit oxidiertem LDL vorbehandelt und mit den T-Zellen aus den atherosklerotischen Plaques gemeinsam kultiviert.

Dabei zeigte sich, dass oxidiertes LDL die Reifung dendritischer Zellen fördert. Diese mediieren dann ihrerseits die Aktivierung von T-Zellen in T-Helferzellen. Darüber hinaus induziert oxidiertes LDL PCSK9. Die Inhibition der PCSK9 (die in diesem Fall durch Stilllegen des verantwortlichen Gens erfolgte) unterband die Wirkung von oxidiertem LDL auf dendritische Zellen und T-Zellen. Die Reifung dendritischer Zellen wurde ebenso unterbunden wie die Aktivierung von T-Zellen. „Es ist uns gelungen, zumindest in vitro, einen pro-inflammatorischen in einen anti-inflammatorischen Zustand zu ändern. Auch konnten wir erstmals demonstrieren, dass PCSK9-­Inhibition die Wirkungen von oxidiertem LDL auf die Immun-Aktivierung umkehrt. Wir haben also ein potenziell anti-atherosklerotisches Milieu geschaffen. Interessanterweise haben Statine ebenfalls anti-inflammatorische und immunmodulierende Wirkungen, die allerdings über andere Mechanismen zustande kommen“, kommentierte Studienautor Prof. Dr. Johan Frostegård.

Antithrombotische Wirkung in vitro

Darüber hinaus mehren sich Hinweise, dass die Hemmung von PCSK9 auch in die Thrombozytenaggregation eingreifen könnte. Eine italienische Gruppe berichtete im Rahmen des ESC, dass PCSK9 auch als Co-Aktivator der Thrombozytenfunktion fungiert, woraus sich eine antithrombotische Wirkung der PCSK9 ergeben könnte. In diese Richtung weisen Befunde, die den Plasma-Spiegel von PCSK9 unabhängig vom LDL-Spiegel mit kardiovaskulären Ereignissen in Verbindung bringen. „Bislang hat allerdings noch niemand untersucht, ob PCSK9 einen direkten Einfluss auf die Plättchenfunktion hat“, sagt dazu Prof. Dr. Marina Camera von der Universität Mailand, „unsere Hypothese war, dass der Beitrag von PCSK9 zu kardiovaskulären Ereignissen über die LDL-Senkung hinaus beeinflusst werden kann.“ Dies wurde in einem In-vitro-Setting, nämlich mittels Epinephrin-induzierter Plättchenaggregation, untersucht. Die Thrombozyten stammten von Patienten mit stabiler Angina, Diabetikern und gesunden Kontrollen.
Die Studie lieferte eine ganze Reihe neuer Informationen. Konkret:

  • PCSK9 wird in humanen Megakaryozyten (die im Knochenmark Plättchen produzieren) exprimiert. Ein Teil der zirkulierenden Plättchen enthält PCSK9, was einen komplexen und geregelten Transportmechanismus für die PCSK9 vom Megakaryozyten zu bestimmten Plättchen nahelegt.
  • PCSK9 spielt eine Rolle in Plättchenaktivierung und -aggregation.
  • Plättchen von Patienten mit Diabetes und Angina enthalten doppelt so viel PCSK9 wie Plättchen von Personen mit nur einer oder keiner der beiden Erkrankungen.

Camera: „Unsere Daten weisen in Richtung eines neuen Mechanismus, der für die Plättchenaktivierung bei kardio­vaskulären Patienten mitverantwortlich sein könnte. Und sie legen nahe, dass die PCSK9-Inhibition in diesen Patienten günstige Effekte über die reine LDL-Senkung hinaus haben könnte.“

Referenzen:
1 Frostegård J et al. PCSK9 plays a novel immunological role in Oxidized LDL-induced dendritic cell maturation and T cell activation from human blood and atherosclerotic plaque. ESC 2017, Abstract 3856
2 Rossetti L et al. PCSK9 beyond its role in cholesterol homeostasis: co-activator of platelet function. ESC 2017, Abstract 2210

European Society of Cardiology (ESC) 2017; Barcelona, August 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune