15. Dez. 2016

Dickes Knie als Spätfolge eines Zeckenstiches

KONGRESS – Für die Lyme-Arthritis fehlen nach wie vor international validierte Diagnosekriterien. Wie Abklärung und Therapie trotzdem gelingen können, war Thema auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitationsmedizin Anfang Dezember in Wien. (Medical Tribune 50-52/2016)

„Unter den verschiedenen Manifestationen der Borreliose ist die Lyme-Arthritis am schwierigsten zu diagnostizieren und letztlich überhaupt nicht zu beweisen“, betonte der Münchner Rheumatologe Prof. Dr. Peter Herzer im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie Anfang Dezember in Wien. Die Lyme-Arthritis wurde bereits in den 1970er Jahren erstmals beschrieben, allerdings wurde die Bedeutung der Erkrankung zunächst heftig diskutiert und in Europa weitgehend negiert.

„Die Rheumatologie hat diese Erkrankung verschlafen. Dabei wäre sie eigentlich zuständig dafür“, bedauerte Herzer. Die Arthritis zählt zu den Spätmanifestationen einer Borreliose und darf nicht mit den intermittierenden, wandernden Arthralgien verwechselt werden, die in der Frühphase der Erkrankung auftreten können. Eine Lyme-Arthritis manifestiert sich bei etwa zwei Prozent der Borrelien-Infizierten. Nicht immer geht ihr ein Erythema migrans voran.

Dickes, aber wenig schmerzhaftes Kniegelenk

Die Lyme-Arthritis tritt meist intermittierend und nur selten chronisch, als Mono- oder Oligoarthritis auf. Zumeist ist das Kniegelenk befallen. Typisch ist ein massiver Gelenkserguss bei relativ geringen Schmerzen. Da international validierte Diagnosekriterien fehlen, muss die Erkrankung anhand von Klinik und Laborparametern diagnostiziert werden, wobei auch die Anamnese (Zeckenbiss, Erythema migrans) eine wichtige Rolle spielt. Die Diagnose kann eine simple Blickdiagnose sein – oder auch komplex und irreführend. Da die Arthritis selbst unspektakulär und wenig typisch verlaufen kann, ist es wichtig, auf weitere Symptome einer Borreliose zu achten.

Ein solches Symptom kann die Acrodermatitis atrophicans Herxheimer sein, die mit progedientem Verlauf im Bereich der Extremitäten, vor allem an den Streckseiten der Beine, aber auch z.B. an den Fingern auftritt. Sie beginnt mit asymptomatischer Schwellung und livider Verfärbung des betroffenen Hautareals, unter Umständen in Verbindung mit Sensibilitätsstörungen. Im weiteren Verlauf kommt es zur Atrophie des Subkutangewebes. Klagt ein Patient über ein geschwollenes Kniegelenk und zeigt zusätzlich das Bild einer Acrodermatitis atrophicans, so könne man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass auch die Arthritis durch Borrelien verursacht wird. IgG-Antikörper gegen Borrelia burgdorferi komplettieren das Bild.

Allerdings ist die Seroprävalenz in Bevölkerungsgruppen, die häufig von Zecken gebissen werden, hoch, sodass der Test in diesen Populationen an Aussagekraft verliert. Eine positive Borrelien-PCR aus dem Gelenkspunktat liefert hingegen einen sehr sicheren Hinweis auf eine Lyme-Arthritis. Auf sorgfältige Differenzialdiagnose ist zu achten, da sehr ähnliche Erscheinungsbilder beispielsweise auch paraneoplastisch auftreten können.

Einige Tests am Markt nicht aussagekräftig

Herzer betonte auch, dass die Laboruntersuchungen zwar wichtig sind, die Diagnose einer Lyme-Arthritis jedoch niemals anhand des Labors gestellt werden könne, und warnt vor verschiedenen am Markt erhältlichen, aber nicht aussagekräftigen Tests wie dem Immunoblot bei negativem Suchtest oder der Dunkelfeldmikroskopie. Der klinische Blick ist hilfreich. Beispielsweise können bei Lyme-Arthritis typischerweise größere Flüssigkeitsmengen aus dem betroffenen Gelenk punktiert werden als bei anderen rheumatischen Erkrankungen. Umgekehrt schließt eine negative Serologie eine Lyme-Arthritis aus. Spontanremissionen der Lyme-Arthritis sind häufig, können jedoch mehrere Jahre benötigen. Bei rund zehn Prozent der Patienten tritt Chronifizierung ein oder es kommt zu einer rezidivierenden Erkrankung.

Die Therapie erfolgt oral mit Doxycyclin oder Amoxicilin über 30 Tage oder parenteral, wobei Ceftriaxon, Cefotaxim oder Penizillin über 40 Tage infrage kommen. Allerdings ist die Evidenz zu den einzelnen Substanzen und noch mehr zu etwaigen Zweitlinientherapien im Fall des Versagens der Erstlinie, minimal. Von „alternativen“ Therapieversuchen rät Herzer dringend ab, da auch eine Lyme-Arthritis zur Destruktion des Gelenks führen kann. Bei rund zehn Prozent der Patienten kommt es trotz antibiotischer Therapie zu Rezidiven. Hier dürfte es sich, so Herzer, eher um ein immunologisches Phänomen als um eine aktive Infektion handeln.

Borrelien in Österreich
Die verschiedenen Borrelien-Stämme verursachen in Österreich jährlich 100.000 bis 600.000 Erkrankungen. Die Durchseuchung der Zeckenpopulation ist hoch. Der gemeine Holzbock trägt im Schnitt zu 26 Prozent Borrelien in sich, in manchen Regionen ist die Prävalenz jedoch deutlich höher.

Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie & Rehabilitation; Wien, Dezember 2016

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune