24. Feb. 2016

400 Lungenkarzinome durch Radon

Rund jeder zehnte Lungenkrebs ist in Österreich laut Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) radoninduziert. AGES-Strahlenschutzexperte DI Dr. Wolfgang Ringer will Ärzte als Multiplikatoren gewinnen.

Wie erhöht Radon das Lungenkrebsrisiko?

Dr. Ringer: Radon dringt als Edelgas vom Boden in Gebäude ein und wird über die Innenraumluft eingeatmet.  Das Radon selbst wird großteils wieder ausgeatmet, die Radonfolgeprodukte, die auch an Staubteilchen angelagert sind, werden aber in der Lunge abgelagert. Sie sind radioaktiv, zerfallen und können so das Gewebe beschädigen oder zerstören. Es sind v.a. Poloniumisotope, die als Alphastrahler die Energie in einem sehr kleinen Volumen abgeben und dadurch das Gewebe sehr stark bestrahlen.

Radon ist laut WHO für zwischen 3 und 14 % der Lungenkrebsfälle verantwortlich, je nach den lokalen Radonwerten. Wie hoch ist die Inzidenz des radoninduzierten Bronchialkarzinoms in Österreich?

Ringer: Österreich ist aufgrund der Geologie ein „Hochradonland”. Wir haben viele stark uranhaltige geologische Formationen, z.B. die Böhmische Masse im Mühlviertel. Etwa 10 bis 12 % der jährlich zirka 3600 Lungenkrebsfälle sind radoninduziert. Das heißt, wir gehen davon aus, dass wir in Österreich zirka 400 Lungenkrebsfälle pro Jahr durch Radon haben.

Ist das eine Schätzung oder kann man nachweisen, welcher Schadstoff welchen Lungenkrebs auslöst?

Ringer: Der Nachweis aufgrund der Tumorart ist schwierig. Man vergleicht daher einerseits epidemiologisch die Lungenkrebsraten korrigiert um das Rauchverhalten von Bevölkerungsgruppen, die in Gebieten mit unterschiedlichen Radonkonzentrationen leben. Andererseits werden dosimetrische Berechnungen eingesetzt. Man misst, wie viel Radon in der Lunge abgelagert wird, zerfällt und das Gewebe schädigt. Die Ergebnisse dieser zwei Zugänge passen sehr gut zusammen. Das Radonrisiko wird mittlerweile als doppelt so hoch bewertet wie noch vor zwei, drei Jahren.

Haben Raucher ein höheres Risiko im Sinne eines Summationseffekts?

Ringer: Leider ist das nicht nur ein Summations-, sondern ein Multiplikationseffekt. Wer raucht und hohe Radonkonzentrationen zu Hause hat, hat ein sehr hohes Risiko. Das bedeutet auch, dass die meisten Lungenkrebspatienten durch Radon Raucher sind. Hätten sie niedrigere Radonkonzentrationen zu Hause, dann würden sie keinen Lungenkrebs bekommen.

Kann man dieses Risiko auch beziffern?

Ringer: Grundsätzlich hat ein Raucher ein etwa 25-fach höheres absolutes Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, als ein Nichtraucher. Ohne Radon im Gebäude hat der Nichtraucher ein absolutes Lungenkrebsrisiko von 0,4 %, der Raucher aber von 10 %. In einem Gebäude mit einer hohen Radonkonzentration, z.B. von 1000 Bq/m3, hat der Nichtraucher ein absolutes Risiko von 1 %, also noch immer sehr niedrig, aber der Raucher eines von 25 %! Dennoch ist Radon primär ein Innenraumschadstoff, vor dem alle Bewohner geschützt werden müssen.

Löst Radon auch andere Krebsentitäten bzw. Erkrankungen (mit) aus?

Ringer: Es gibt Untersuchungen bezüglich Leukämie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber die Ergebnisse sind nicht konsistent. Das bedeutet, wenn es durch Radon für andere Organe oder andere Entitäten ein Risiko gäbe, dann wäre es so gering, dass es nicht wirklich signifikant wäre.

Wie wollen Sie nun die Bevölkerung für die Gefahr durch Radon sensibilisieren?

Ringer: Es geht uns primär um Information und Bewusstseinsbildung für verschiedene Zielgruppen. Ganz wichtig ist uns, neben der Bevölkerung auch politische Entscheidungsträger, insbesondere die Bürgermeister und Baubehörden, die Baufachleute selbst, aber auch die medizinischen Berufsgruppen anzusprechen. Wir sind gerade dabei, eine Radoninformationsstrategie auszuarbeiten, als Teil eines Nationalen Radon-Maßnahmenplanes. Aktivitäten für medizinische Berufsgruppen sind z.B. Information durch Artikel in bestimmten Fachzeitschriften, Workshops bei Tagungen von Dachverbänden und Fachgesellschaften, Broschüren für verschiedene Zielgruppen etc. Wir wollen auch versuchen, in die Aus- und Weiterbildung von Turnus- und Fachärzten das Radonthema einzubringen.

Wem empfehlen Sie eine Radonmessung, die kostenlos von der AGES durchführt wird, und wie funktioniert sie?

Ringer: Gewissheit bringt nur die Radonmessung. Wir sehen in einer Siedlung auch zwischen benachbarten Häusern sehr hohe Unterschiede in der Konzentration. Wir wissen auch, dass nicht unterkellerte Gebäude und ältere Gebäude höhere Radonkonzentrationen haben. Natürlich ist es so, dass in Radonrisikogebieten die Wahrscheinlichkeit für höhere Konzentrationen größer ist, aber auch in Nichtrisikogebieten gibt es Gebäude mit hohen Konzentrationen. Deswegen empfehlen wir grundsätzlich eine Messung.

Wenn das Ergebnis zu hoch ist, welche Maßnahmen sind möglich?

Ringer: Die Maßnahmen sind relativ einfach und umfassen zwei Kategorien: Das eine ist, dass man das Radon im Gebäude durch verstärktes Lüften und durch den Einbau von mechanischen Lüftungsanlagen verdünnt. Bei bestehenden Gebäuden ist das aber zu aufwendig. Die bessere Möglichkeit ist hier, den Eintritt von Radon in das Gebäude zu reduzieren. Der Fundamentbereich muss gegenüber dem Erdboden dichter gemacht werden.

Sie wollen Ärzte als Multiplikatoren ansprechen.

Ringer: Zum einen ist Fakt, dass Radon laut WHO-Institution IARC ein kanzerogener Stoff der Gruppe 1 ist. Zum anderen ist das Radonrisiko relativ gut untersucht. Wir haben eine Radonrisikokarte und wissen, wie hoch das Radonrisiko in Österreich ist. Wenn jemand die Diagnose Lungenkrebs erhält, soll man darauf hinweisen, dass das auch durch Radon sein kann. Das wird dem einzelnen Patienten nichts mehr helfen, aber den  Mitbewohnern in dem Gebäude. Eine Messung ist wichtig, um die Mitbewohner zu schützen. Wir bieten natürlich auch gerne Informationsmaterial für die Praxis zum Auflegen an und unterstützen bei Aus- und Weiterbildungen.

Für Ärzte stellt sich die Frage nach der Sicherheit von Radonkuren?

Ringer: Klinisch ist beobachtbar und es ist auch in einigen Studien bestätigt, dass Patienten nach einer Radonkur zu einem hohen Prozentsatz beweglicher sind und weniger Schmerzen haben. Es ist nicht ganz sicher, ob dieser Effekt nur durch Radon bedingt ist oder in Kombination mit anderen Kurtherapien wie Wärmebehandlungen entsteht. Den biologischen Wirkmechanismus kann man noch nicht erklären. Es gibt Hinweise, dass in der Zelle durch die schädigende Radonstrahlung Reparaturmechanismen in Bewegung gesetzt werden, sich der Stoffwechsel erhöht und somit Entzündungen reduziert werden. Das klingt plausibel, es gibt aber noch keinen wissenschaftlichen Nachweis. Aus Sicht des Strahlenschutzes muss ich dazu sagen: Die Dosis, die der Patient während einer Radonkur bekommt, ist wegen der kurzen Aufenthaltsdauer gering. Sie beträgt mit 1 Millisievert etwa die Hälfte der durchschnittlichen Radondosis, die man pro Jahr zu Hause (2–3 mSV) bekommt. Das heißt, das zusätzliche Lungenkrebsrisiko ist vernachlässigbar.

Radon-Richtwerte
Das Lungenkrebsrisiko steigt ­linear mit der Exposition, je höher die Dosis, umso größer das Risiko. Es gibt daher keinen Schwellenwert, aber natürlich Richtwerte. In Österreich gilt ­aktuell ein ­Eingreifrichtwert von ­400 Bq/m3 (Becquerel) bei Bestandsbauten.
Zusätzlich gibt es einen Planungsrichtwert für Neubauten, der bei ­200 Bq/m3 liegt. Derzeit werden aber die Richtwerte europaweit gesenkt. Laut EU-Richtlinie darf ­künftig der Referenzwert maximal 300 Bq/m3 betragen. Die Schweiz hat bis jetzt 1000 Bq/m3 gehabt, sie wird den Wert auch auf 300 Bq/m3 senken.

Radonmessung
Die AGES führt zweimal im Jahr eine Radon-Messkampagne durch, bei der alle Interessierten zwei Messdetektoren mit einer Messanleitung und einem Fragebogen zugeschickt bekommen. Diese beiden Detektoren sind in den zwei meistgenutzten Räumen über einen Zeitraum von sechs Monaten aufzustellen.­ Die Messdetektoren werden dann an die AGES zurückgeschickt, die Daten werden ausgewertet und die Bewohner er­halten dann das Messergebnis zugeschickt.
Anmeldungen zur Messung per E-Mail an: radonfachstelle@ages.at
Infos, Broschüren etc. auf: www.radon.gv.at

Europäischer Radontag
Die 2013 gegründete European Radon Association (ERA) vernetzt die Radon­experten in Europa und betreibt Bewusstseinsbildung und Informationsarbeit. In den USA gibt es dazu schon länger den Radonmonat Jänner. Der Europäische Radontag wurde am 7. November (Geburtstag von Marie Curie) vergangenes Jahr erstmals abgehalten.
www.radoneurope.org

Interview: Mag. Anita Groß

 
[button link=”https://medonline.at/infocenter-nsclc/” color=”red” target=”blank” size=”large”] Zurück zum NSCL-Infocenter >>[/button]

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune