16. Juni 2014

Asynchrone Therapie verbessert motorische Kontrolle nach Schlaganfall

Meilenstein in der Forschung zur Regeneration von Gehirn- und Rückenmarksverletzungen: Durch das richtige Timing rehabilitativen Trainings nach einer medikamentösen Stimulierung des Nervenfaserwachstums kommt es bei Ratten fast zur vollständigen Erholung der motorischen Funktionen, wenn sie zuvor einen großen Schlaganfall hatten. Dabei ist der richtige zetliche Ablauf von großer Bedeutung: Gelähmte Tiere erholen sich nur dann beinahe vollständig, wenn das Training erst nach der Medikamentengabe einsetzt.

Selbst durch intensive Rehabilitationsmaßnahmen gelingt bei Patienten nach einem großen Schlaganfall oft nur eine unzulängliche Verbesserung der massiv eingeschränkten motorischen Fähigkeiten. Ein interdisziplinäres Team von Neurowissenschaftlern der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Universität Zürich sowie Informatikern des Heidelberg Collaboratory for Image Processing der Universität Heidelberg untersuchte die Muster von neu gebildeten Nervenfasern.

Durch einen Schlaganfall einseitig gelähmte Ratten wiedererlangten ihre motorischen Fähigkeiten fast vollständig, wenn sie die ideale Kombination von rehabilitativem Training und Substanzen, die das Wachstum von Nervenfasern fördern, erhielten. Die Bedeutung des richtigen Rehabilitations-Fahrplans konnte durch anatomische Untersuchungen bestätigt werden: Abhängig vom Therapieaufbau zeigen sich unterschiedliche Muster von neuen Nervenfasern, die aus dem gesunden Teil des Gehirns in das zervikale Rückenmark hineinsprießen und dadurch unterschiedlich zur Funktionserholung beitragen. Die Ergebnisse der detaillierten, computergestützten Analysen der Bewegungsmuster und der anatomischen Daten wurden im Fachmagazin “Science” veröffentlicht.

Nerven wachsen lassen, dann trainieren

In den Experimenten wurden Ratten nach einem Schlaganfall einer spezifischen Immuntherapie, in der mit Antikörpern Nogo-Eiweiße blockiert werden, unterzogen, wodurch das Wachstum von Nervenfasern im verletzten Bereich angeregt wurde. Zudem wurden die an den Vorderbeinen gelähmten Tiere einem physischen Training – dem Greifen von Futterpellets – unterzogen. Alle Ratten erhielten erst eine Antikörpertherapie für die Förderung des Nervenfaserwachstums und – entweder gleichzeitig oder erst anschließend – ein motorisches Training. Erst das richtig koordinierte physische Training in Kombination mit der Immuntherapie bewirkt die erhoffte Wiederherstellung der motorischen Fähigkeiten.

„Bei korrektem Timing erlangten die Ratten erstaunliche 85 Prozent der ursprünglichen Performanz wieder“, erläutert Prof. Dr. Björn Ommer vom Heidelberg Collaboratory for Image Processing. „Zu frühes Training erzielte jedoch mit 15 Prozent Performanz nur eine sehr geringe Leistung.“

Der zeitliche Verlauf dürfte für den Erfolg der Rehabilitation mitentscheidend sein, denn eine frühe Applikation von Wachstumsstimulatoren – wie Antikörpern gegen das Eiweiß Nogo-A – führt zu verstärktem Aussprossen der Nervenfasern. Das nachfolgende Training ist essentiell, um die für die Erholung der motorischen Funktionen wichtigen neuronalen Schaltkreise auszusortieren und zu stabilisieren.

Eine automatische, computergestützte Analyse der anatomischen Daten aus der Bildgebung zeigte, dass neue Fasern je nach Therapieablauf im Gehirn in einem anderen Muster sprießen. Durch reversibles Ausschalten der neu auswachsenden Nervenfasern konnten die Neurobiologen erstmals nachweisen, dass eine Gruppe dieser Fasern für die beobachtete Erholung der Motorik unentbehrlich ist: Nervenfasern, die von der intakten Vorderhirn-Hälfte – die Seite wechselnd – in das Rückenmark hineinwuchsen, können die Rückenmark-Schaltkreise der gelähmten Gliedmaßen der Ratten wieder ans Gehirn anschließen. So werden die Tiere in die Lage versetzt, zuzugreifen.

Anna-Sophia Wahl vom Brain Research Institute der Universität Zürich berichtet, dass dieser neue Ansatz in der Rehabilitation zumindest bei der Ratte zu einer erstaunlichen Erholung der motorischen Fähigkeiten führt, was in der Zukunft für die Behandlung von Schlaganfall-Patienten wichtig werden könne.

Martin Schwab, Professor für Neurowissenschaften, über einen neuen Ansatz zur Schlaganfalltherapie:
https://youtu.be/838aLQ0UDcM

Wahl, A.S., Omlor, W., Rubio, J.C., Chen, J.L., Zheng, H., Schröter, A., Gullo, M., Weinmann, O., Kobayashi, K., Helmchen, F., Ommer, B., Schwab, M.E.
Asynchronous therapy restores motor control by rewiring of the rat corticospinal tract after stroke
Science 13 June 2014: Vol. 344 no. 6189 pp. 1250-1255, doi: 10.1126/science.1253050

Quelle: Universität Heidelberg, ETH Zürich