26. Mai 2014

Gender-Studien mit bildgebenden Verfahren überschätzt

Bei der Eröffnung der Ärztetage Grado erklärte die Wiener Gender-Forscherin Univ.-Prof. Dr. Sigrid Schmitz, dass die Ergebnisse von Untersuchungen über spezifische Veranlagungen bei Menschen, die mit bildgebenden Verfahren erzielt werden, oftmals überschätzt werden. Im Gegensatz dazu werde die Inkonstanz des Gehirns unterschätzt.

Grado
Seit Jahren versuchen Hirnforscher mittels bildgebender Verfahren Aussagen über spezifische Veranlagungen bei Menschen zu machen. Doch die Ergebnisse werden überschätzt, die Veränderlichkeit des Gehirns unterschätzt. Das erklärte die Wiener Gender-Forscherin Sigrid Schmitz am Sonntag bei der Eröffnung der Österreichischen Ärztetage in Grado.

Die Liste der Schlagzeilen, die regelmäßig aus den Neurowissenschaften bis in die Boulevardpresse schwappen, werde immer länger, erklärte Univ.-Prof. Dr. Sigrid Schmitz, die sich an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universiät Wien mit Gender Studies beschäftigt, bei der Eröffnung der Ärztetage Grado, die in diesem Jahr zum 23. mal stattfinden.

In der Publikumspresse sei davon die rede, dass Frauen angeblich mehr “bilateral” denken, dass bei Männern angeblich eine Gehirnhälfte dominiere und bei Menschen, die sich sozial verhalten, andere Gehirnregionen aktiviert seien als bei “Egoisten”, bei Aggressiven wiederum andere als bei “Sanftmütigen”.

Hinter solchen Aussagen stecken laut Schmitz oft weniger objektiv an großen Probandenzahlen nachvollziehbare Fakten als vielmehr die “Wirkmacht der Bilder” modernster Verfahren, mit denen das Gehirn “live” und “online” vermessen und gescannt werde.

PET und fMR

Mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) lässt sich der Blutfluss und somit die Aktivierung in Gehirnarealen darstellen, mit der Magnetresonanz-Tomografie (fMR) lassen sich Gehirnfunktionen abbilden.

Doch etliche dieser Studien seien von schwere methodischen Mängel im Aufbau und Ablauf gekennzeichnet. “Man hat Unterschiede im Erlernen von Routen von Männern und Frauen untersucht. Das erfolgte an zwölf Männern und zwölf Frauen”, krisitierte Schmitz in ihrem Eröffnungsvortrag. Das verwendete bildgebende Verfahren zeige vermeintliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, doch geben es bereits im Ansatz wesentliche Defizite in solchen Studien: Die Probandenanzahl sei für generelle Aussagen für den Menschen zu gering und statistisch nicht signifikant. Oft wären die Testpersonen aus Gründen der Einfachheit der Durchführung solcher Studien schlicht und einfach “Psychologiestudenten”, aus deren Befunden dann Rückschlüsse auf die gesamte Menschheit gezogen würden. Zusätzlich würden die Unterschiede per Subtraktion der Bilder entstehen.

Aufgrund dieser Ungenauigkeiten seien solche Studien kritisch zu bewerten, da das Ergebnis oft bloß aus Datenreduktion bestehe. Es werd nicht darauf geachtet, welche Gehirnzentren wann mit einander verknüpft seien, was laut Schmitz womöglich wichtiger wäre. Man untersuche etwa bei Gender-Studien auch nicht, welche Gehirnareale bei bestimmten Aufgaben bei beiden Geschlechtern aktiviert seien, sondern registriere nur die vermeintlichen Differenzen.

Man gelange auch bei kleinen Probandengruppen “intern” zu sehr divergenten Resultaten, was den bildgebenden neurologischen Studien zusätzlich einen Charakter der Skurrilität gebe und deren Signifikanz nur unter großer Skepsis bewertbar mache, so die Genderforscherin.

“Je größer die Zahl der untersuchten Menschen, desto mehr ebnen sich anfänglich bemerkte “Unterschiede” ein. Das ist etwas, mit dem man bei der Interpretation solcher Befunde erst umgehen lernen muss. Normalerweise nimmt die Wissenschaft nämlich an, dass Charakteristika mit einer wachsenden Anzahl von Testpersonen umso deutlicher zutage treten. Ein typisches Beispiel sind Studien mit Arzneimitteln: Seltene Nebenwirkungen können oft statistisch signifikant erst bei der Massenanwendung in der Praxis, nicht schon in den klinischen Studien mit einigen hundert oder einigen tausend Probanden belegt werden”, erklärte die Wissenschaftlerin.

Gefahr Induktion

Oftmals würden Ergebnisse verallgemeinert dargestellt. “Es gibt unzulässige Generalisierungen: ‘die Frau’, ‘der Mann’ etc.”, betonte die Expertin. Bilder aus dem Gehirn seien “wichtig für die individuelle Diagnose und Therapie, zum Beispiel in der Neurochirurgie”, aber: “Jedes Gehirn ist einzigartig und in ständiger Veränderung. Befunde zur Hirnstruktur oder zu Hinfunktionen sind eine Momentaufnahme.”

Man könne damit keine biologische Determination zu einem bestimmten Verhalten oder Verhaltensmuster nachweisen. Außerdem verändere sich das menschliche Gehirn permanent unter den an es herangetragenen Aufgaben und habe eine enorme Plastizität. Völlig erstaunt – so Sigrid Schmitz – waren Neurologen schon vor Jahren, als sie mit einer Magnetresonanzuntersuchung das Gehirn eines sonst unauffälligen 46-jährigen Mannes mit unklaren Schmerzzuständen untersuchten: Er hatte ausschließlich eine Gehirnrinde, fast keine “graue Masse”. Bei ihm hatte die Gehirnrinde die Funktionen fehlenden Gewebes im Rahmen einer sich langsam ausbildenden und unbemerkt gebliebenen “Hydrocephalus”-Erkrankung übernommen.

Aussagen der Hirnforschung sind verführerisch

So wurde vor etlichen Jahren behauptet, dass es aus bildgebenden Verfahren Beweise gebe, dass Taxifahrer mit langjähriger Berufserfahrung mehr Verbindungsstellen zwischen Synapsen hätten (Navigation-related structural change in the hippocampi of taxi drivers, Maguire et al., 2000, PNAS). Es könnte aber auch sein, dass solche Menschen eben häufiger Taxifahrer würden, meinte die Expertin kritisch an.

Dass wissenschaftliche Aussagen oftmals vereinfachend seien, zeige sich vor allem bei den Gender-Studien auf diesem Gebiet. Neueste Forschungen mit einem Vergleich von 116 Hirnbereichen bei jeweils über hundert Männern und Frauen hätten hingegen vielmehr eindeutige Hinweise auf ein “Mosaik-Bild” von Gender-Charakteristika geben. Die Gehirnaktivitäten von Männern wie Frauen seien ein individuell unterschiedliches Mixtum aus angeblich männlichen und angeblich weiblichen Merkmalen, so die Gender-Forscherin.

Quelle: APA