Tipps für die Kindersprechstunde

WIEN – Für Ärzte und Eltern ist es oft eine Herausforderung, mit Kindern in der Praxis umzugehen. Die Eltern sind besorgt, das Kind ist krank und die Wartezeit verbessert weder die Stimmung der Eltern noch die der Kinder. Da hilft es, einige bewährte Regeln in der Kommunikation mit dem kleinen Patienten zu beherzigen.

Glücklicherweise sind viele Ärzte wahre Empathiekünstler im Gespräch mit den kleinen Patienten und deren Angehörigen. Trotzdem gibt es einige nützliche Regeln, die ich aus kommunikativer Sicht anhand des nachfolgenden Beispiels darlegen möchte.

Das Beispiel

Michael ist sechs Jahre alt und kommt mit seiner Mutter zum Arzt. Im Behandlungszimmer sitzen sie sich im Dreieck barrierefrei gegenüber, sodass jeder der drei Personen die andere gut sehen kann. Mutter und Sohn sitzen näher beieinander, der Arzt etwas weiter weg.

Arzt – schaut Michael direkt an: „Na, Michael, was kann ich für dich tun?“
Michael – antwortet vorerst nicht und dann eher schüchtern: „Hmm. Ich weiß nicht“. Er dreht sich zu seiner Mutter und meint fragend: „Mama?“
Mutter – direkt zum Arzt: „Ich bin wirklich besorgt. Er hatte eine sehr unruhige Nacht. Ich habe seine Temperatur gemessen, und sie ist sehr hoch.“
Arzt – direkt zur Mutter: „Ok, das überprüfen wir gleich. Ich möchte aber zuerst Michael fragen, wie es ihm geht, damit ich einen besseren Überblick kriege, wenn das für Sie ok ist.“
Arzt – beugt sich runter und vor, um Michael direkt in die Augen zu schauen, und fragt: „Also, Michael, wie geht’s dir im Moment?“ Er richtet sich wieder auf, und mit einem fragendem Gesichtsausdruck wartet er auf die Antwort.
Michael – nach langem Zögern: „Gut.“
Arzt: „Hast du irgendwo Schmerzen oder fühlt sich etwas schlecht an?“
Michael – nach einer Pause: „Nein.“ Nach weiteren Gesprächen über die Symtome mit der Mutter fährt der Arzt fort.
Arzt – sieht Michael direkt an: „Und was hast du heute zum Frühstück gegessen?“
Michael – ohne zu überlegen: „Müsli und Brot und Kakao“.
Mutter – zum Arzt: „Er ist ein guter Esser, auch wenn er krank ist.“
Arzt – blickt die Mutter an und lächelt und schaut dann wieder zu
Michael: „Darf ich jetzt deine Temperatur messen und in deine Ohren und Mund schauen?“
Michael – nach einer kurzen Pause: „Ja“.
Arzt – schaut zur Mutter und fragt: „Ist das ok für dich, Mama?“

Gesprächssetting

Da Kinder selten allein beim Arzt erscheinen, ist es sehr wichtig, auf die Sitzposition der am Gespräch Beteiligten zu achten. Eine englische Studie aus dem Jahr 2006 mit Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren macht deutlich, wie sehr diese Positionierung für den Gesprächsverlauf wichtig ist. Es zeigt sich, dass eine Sitzposition im Dreieck ohne Barrieren zwischen den Gesprächsteilnehmern die günstigste Form des Gesprächssettings darstellt.

Jüngere Kinder sitzen gern auf den Knien ihrer Vertrauensperson oder bevorzugen eine etwas größere räumliche Distanz zum Arzt. Hier ist eben Flexibilität und ein hohes Maß an Empathie gefragt, um den Bedürfnissen des jungen Patienten gleich zu Beginn der Konsultation gerecht zu werden.

Einstieg ins Gespräch

In den meisten Arzt-Patienten-Gesprächen kommen Kinder nur sehr kurz zu Wort. Die Aussagen des begleitenden Erwachsenen sind in den meisten Fällen therapieentscheidend. Neue Untersuchungen zeigen aber, dass viele Kinder sehr wohl in dieses Geschehen einbezogen werden wollen, auch wenn ihnen oft nicht klar ist, was sie genau sagen wollen und worum es geht. Außerdem zeigen diese Untersuchungen, dass die kommunikative Einbindung des Kindes in die Therapiefindung einen wesentlichen Einfluss auf die Therapietreue der kleinen Patienten hat.

Die erste und wichtigste Aufgabe des Arztes ist also festzustellen, ob das Kind etwas sagen möchte. Dabei ist es wichtig, nicht nur das Kind direkt zu fragen, sondern sich beim Elternteil die Erlaubnis für das Kind abzuholen, dass es frei sprechen darf. In außergewöhnlichen Situationen – und für ein Kind ist ein Arztbesuch eine außergewöhnliche Situation – verstecken sich Kinder gern hinter ihren Vertrauenspersonen und geraten leicht in einen inneren Loyalitätskonflikt, der dann durch Schweigen zum Ausdruck kommt.

Um genau diesen Loyalitätskonflikt im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht aufkommen zu lassen, bittet der Arzt am Ende des Beispiels stellvertretend für das Kind um Erlaubnis für die weitere Untersuchung. Gleichzeitig stellt sich der Arzt mit dieser Form der Kommunikation auf die gleiche Stufe mit dem jungen Patienten und akzeptiert „Mama“ als jene Person, die das Sagen hat. Das erzeugt ein hohes Maß an Sicherheit beim Kind und baut Solidarität zwischen Arzt und Kind auf.

Direkte Ansprache des kleinen Patienten

Nach der Begrüßung und dem Setzen fragt der Arzt Michael, was er für ihn tun könne. Außerdem bittet er die Mutter direkt um Erlaubnis, mit Michael sprechen zu dürfen, und geht dann auf Augenhöhe mit dem kleinen Patienten. Gerade bei der Kommunikation mit Kindern ist es sehr wichtig, auf diese „Augenhöhe“ zu achten. Michael antwortet auf die erste Frage des Arztes nicht, sondern gibt die Verantwortung an seine Mutter weiter.

Das ist weiter nicht ungewöhnlich. Wichtig dabei ist, dass der Arzt sofort gezeigt hat, dass Michael als Patient angesprochen ist und nicht seine Mutter. Er macht das, indem er Michael mit seinem Namen anspricht, ihn anschaut, sich zu ihm runterbeugt und sicherstellt, dass die Mutter – als Vertrauensperson von Michael – diese Vorgänge sehen kann. Wenn Kinder aktiv eingeladen werden, dass sie sprechen sollen, ist die Chance größer, dass sie es tatsächlich auch tun.

Zeit zum Antworten

Wenn Kinder antworten sollen, brauchen sie oft mehr Zeit als ein Erwachsener. Manchmal entsteht der Eindruck, dass diese Pause unangemessen lang ist, und einige Eltern neigen dann dazu, eine Antwort zu geben im Versuch, das eigene Kind zu entlasten. Der Arzt macht es Michael leicht, seine Gedanken für seine Antwort zu sammeln. Mit dem Aufrichten entfernt er sich vom Patienten und gibt ihm und seinen Gedanken Raum. Seine Aufmerksamkeit bleibt geduldig bei Michael. Der fragende Gesichtsausdruck signalisiert das Interesse an der Antwort.

Die Rolle der Mutter

In diesem Gespräch hat die Mutter die Gelegenheit, ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen. Es zeigt sich, dass es wichtig ist, dass die Eltern relativ früh ihre Befürchtungen äußern können, da sie sonst dazu neigen, die kleinen Patienten immer wieder zu bevormunden und ihnen das Wort völlig zu entziehen.

Die Gedankenwelt eines Kindes

Grundsätzlich sind offene Fragen ein guter Weg, um einen unverfälschten Eindruck über den Zustand des Kindes zu erfahren. Allerdings neigen Kinder oft dazu, Antworten zu geben, von denen sie denken, dass diese von den Eltern erwünscht sind. Einige Kinder empfinden diese Frageform daher als eine große Herausforderung, so wie Michael in diesem Beispiel, weil für das Kind nicht ersichtlich ist, was eine elternadäquate Antwort sein könnte. Die konkrete Frage nach dem Frühstück konnte er leicht und flüssig beantworten.

Viele Kinder sind oft nicht in der Lage, etwas über ihre Ängste oder Bedenken zu äußern, und es fällt ihnen oft schwer, diese mit „Nicht-Familienmitgliedern“ zu teilen. Kinder können sich über Dinge Sorgen machen, die ein Erwachsener nie erwarten, erraten oder erdenken könnte. Das liegt daran, dass die Welt eines Kindes eben auf einer ganz anderen Realität basiert als die Welt eines Erwachsenen. Vielleicht sind Kinder deswegen auch manchmal die besseren Erwachsenen, weil sie Dinge bemerken, die sich vor uns bereits verbergen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune