HOBI: „Kontinuität gibt den Betroffenen Sicherheit“
Mit dem Pilotprojekt hämatologische und onkologische Beratung und Information, kurz HOBI, ging die Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin I im März 2018 einen neuen Weg in der Patientenbetreuung. Nach gut einem Jahr Laufzeit sprachen wir mit DGKP Harald Titzer, BSc, MSc, über das Erfolgsprojekt. (krebs:hilfe! 7/19)
Sowohl das Projekt HOBI als auch seine Rolle beim Projekt Kommunikationsplattform für CAR-T-Zelltherapie-Patienten wurden ausgezeichnet – was macht das Projekt so besonders?
Titzer: HOBI ist in seiner Spezialisierung auf hämatologische und onkologische Pflegeberatung ein Pilotprojekt, das es in Österreich noch nicht gegeben hat. Wir haben für HOBI einen Raum zwischen der Bettenstation und der Tagesambulanz geschaffen, in dem wir drei Mal pro Woche für Gespräche mit Patienten und Angehörigen zur Verfügung stehen. Ziel ist einerseits eine Bestandsaufnahme, wie es den Patienten und ihren Angehörigen vor, während und nach einer Therapie geht, andererseits eine Beratung und Information, wie die Betroffenen Herausforderungen – bspw. Nebenwirkungen wie krebsbedingte Müdigkeit – managen können.
Wie kam es zur Gründung?
Startschuss war die Strukturveränderung am AKH und die Zusammenlegung der onkologischen Tagesklinik. Damals stand fest, dass auch wir in der Pflege gefordert sind, diesen Strukturveränderungen zu begegnen. Als die Tagesklinik am neuen Standort ihren Betrieb aufgenommen hat, haben wir erst gemerkt, wie viele Patienten wir täglich ambulant betreuen. Durch die neuen Krebstherapien, wie Immuntherapien, Antikörper- oder andere personalisierte Therapien, sehen wir viele Patienten weniger häufig, als dies etwa bei einer Langzeittherapie der Fall ist. Das erhöht den Komfort für die Patienten sehr, weil sie viel mehr Alltag und Selbstbestimmung während ihrer Therapie haben. Aber umgekehrt stellt uns diese nur punktuelle Betreuung in der Pflege vor eine große Herausforderung. Die Frage war, wie wir die Patienten trotzdem mit ausreichenden Informationen versorgen können und ihnen in der kurzen Zeit, in der wir sie sehen, alles mitgeben können, was sie in ihrem Alltag brauchen. Mit HOBI haben wir diese Lücke geschlossen.
Das Projekt ist rund ein Jahr gelaufen – von März 2018 bis Mai 2019. Wie viele Personen haben Sie beraten?
In diesem Jahr haben wir rund 250 Betroffene betreut. Ich sage bewusst Betroffene, weil auch viele Angehörige das Gespräch mit uns suchen. Der erste Besucher, der zu uns gekommen ist, war ein Angehöriger. Die meisten Besucher kommen von der Tagesklinik und den Ambulanzen, aber auch von den Bettenstationen.
Was sind die großen Themen der Beratungsgespräche?
Die größten Themen sind sicher krebsbedingte Müdigkeit, die nahezu alle Krebspatienten haben, aber auch körperliche Leistungsfähigkeit, Übelkeit und Ernährung. Hier möchten wir den Patienten helfen, mit diesen Nebenwirkungen im Alltag umzugehen. Es geht also um Selbstmanagement und ein Bewusstsein für die eigene körperliche Befindlichkeit. Dazu sind unsere Methoden Beratung und Information, also die Patientenedukation.
Wie zufrieden sind die Patienten mit HOBI?
Edukation wirkt sich positiv auf die Beziehungsqualität aus und auf das Gefühl der Sicherheit. Die Betroffenen können die Nebenwirkungen von Therapien im Alltag besser selbst managen und sind aufmerksamer für das eigene Befinden. Ich habe hier im Rahmen von HOBI beispielsweise ein Ehepaar ein Jahr lang begleitet. Vor allem dem Ehemann war es ein großes Anliegen, zu uns zu kommen, sich auszutauschen, sich Sicherheit zu holen. Das war für mich als Pflegeperson ein sehr schönes Erlebnis, das ich so vom Schichtdienst nicht kannte. Da war ich zu weit weg. Diese Kontinuität gibt den Betroffenen Sicherheit. Sie wissen, sie können Montag, Mittwoch und Freitag kommen, da ist immer jemand da.
Sie sind Mitautor des Buches „Edukation in der Pflege“ – ist dieses Buch der theoretische Überbau zu HOBI?
Das Buch habe ich gemeinsam mit Manuela Hacker und Sigrid Slobodenka geschrieben. Es ist 2017 erschienen, also kurz vor dem Projektstart von HOBI, und bildet den theoretischen Rahmen für die Implementierung von Patientenedukation. Bei HOBI konnten wir die Theorie in die Praxis umsetzen. Das hat dazu geführt, dass wir derzeit an der zweiten Auflage arbeiten, um unsere Erkenntnisse aus der Praxis einzuarbeiten.
Welche Erkenntnisse sind das konkret?
Die Eckpfeiler bleiben gleich – Beratung und Information sind das Fundament für Edukation. Neu dazukommen wird Moderation, weil wir durch HOBI gemerkt haben, dass es eine Drehscheibe in der Kommunikation braucht, die informiert und weitervermittelt. Eine wichtige Erkenntnis ist zudem, dass nicht immer scharf abgrenzbar ist, was pflegerische Edukation ist. Viele Gesundheitsberufe beraten, alle informieren. Was ist das Spezifische der Pflege daran? Im Bereich der Onkologie ist unser größter Beitrag definitiv das Symptom- und Nebenwirkungsmanagement während und nach einer onkologischen Therapie. Das betrifft einerseits organische Nebenwirkungen, andererseits auch psychische. Psychoonkologie ist ein wesentlicher Faktor, der immer wichtiger wird.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen?
Sehr gut. Wichtig ist die Abgrenzung der Kompetenzen. Eine Bedingung bei uns ist beispielsweise, dass vorab ein ärztliches Gespräch geführt wurde. Das ist auch eine Frage, die wir sehr bald stellen: „Was haben Sie aus dem ärztlichen Gespräch mitgenommen?“ Wenn es da noch Fragen gibt, versuchen wir zu motivieren, das Gespräch zum Arzt oder der Ärztin zu suchen.
Wer eine Befunderklärung möchte, ist also bei Ihnen falsch?
Das wäre eine Kompetenzüberschreitung. Wir nennen so eine Frage das Visitenphänomen und können mittlerweile auch gemeinsam mit Patienten darüber lachen. Unser Anliegen ist eher eine Bestandsaufnahme, was die Patienten brauchen und auch die Weitervermittlung an Sozialarbeiter, an Palliativteams, an Psychologen. Der große Vorteil ist, dass wir uns Zeit für ein Gespräch nehmen können. Und Zeit braucht es definitiv, das haben wir am Anfang unterschätzt. Wir hatten die Gespräche im HOBI für zehn Minuten geplant. Tatsächlich dauern sie aber dreißig Minuten, manchmal sogar länger.
Das Projekt HOBI ist jetzt ausgelaufen. War’s das oder geht es weiter?
Wir haben mit HOBI einen unerwarteten Erfolg erzielt. Nach unserem Evaluierungsbericht hat die Pflegedirektion im Haus beschlossen, dass das Projekt weitergehen und sogar ausgebaut werden soll. Aus HOBI wird die erste onkologische und hämatologische Pflegeambulanz. Das ist meines Wissens nach einzigartig in Österreich.
Wie ist hier der aktuelle Status?
Wir sind gerade beim Einrichten der Pflegeambulanz. Der Raum hier wird weitergeführt. Und auch unsere Abteilungsleiter, Prof. Jäger und Prof. Preusser, haben bereits zugestimmt. Beide sind ganz große Unterstützer des Vorhabens. Was uns noch fehlt, ist eine formale Einbettung in unser Computersystem, um die Leistungsdokumentation und Erfassung und damit auch die Verrechnung sicherzustellen. Die Erweiterung an den chirurgisch-onkologischen Organisationseinheiten wurde als Resultat der positiven Erfahrungen des Pilotprojekts bereits gestartet.
Bis wann wird die Pflegeambulanz eröffnet?
Ich hoffe, noch heuer im Sommer. Ganz genau kann man das nicht sagen. Aber geplant ist es.
Wird auch das Personal aufgestockt?
Da ändert sich eigentlich nichts. Wir waren von Anfang an sechs Pflegepersonen. Zu Projektbeginn hatte ich als Pflegeberater zehn Stunden für das Projekt zur Verfügung, weil ich auch die organisatorischen Strukturen geschaffen habe. Die anderen Team-Mitglieder hatten jeweils sechs Stunden. Die Beratungsleistung wird damit auch vom allgemeinen Behandlungs- und Betreuungsprozess entkoppelt und das dortige Personal entlastet. In der Projektphase wurde das Personal teilweise mit einem definiert begrenzten Überstundenkontingent finanziert. Mittlerweile ist es aber so, dass die HOBI-Stunden ganz normal als Arbeitszeit verrechnet werden.
Was machen Sie neben HOBI?
Ich bin Pflegeberater, das heißt, ich bin für die Pflegeentwicklung in der onkologischen Pflege zuständig. Ich arbeite Aus-und Fortbildungspläne aus und begleite Projekte wie das Symptommanagement in der onkologischen Pflege. Auch die anderen Mitarbeiterinnen im Team arbeiten neben HOBI in der onkologischen Pflege.
Hat HOBI bzw. die Pflegeambulanz eine Karrieremöglichkeit eröffnet?
Das war tatsächlich das Anliegen unserer Pflegedirektion, dass Personen, die sich weiterqualifiziert haben, einen Handlungsspielraum bekommen, der die erworbenen Qualifikationen abbildet. Wir haben durch HOBI Zeit und einen Raum zur Verfügung gestellt bekommen, wo wir unsere Kompetenzen und Erfahrungen für die Patienten einsetzen können. Mit der künftigen Pflegeambulanz geht HOBI quasi in den Regelbetrieb.
Welche Auswirkungen hat das auf Bezahlung oder Anerkennung?
Es hat keine Auswirkungen auf unsere Bezahlung, aber Auswirkungen auf unser Standing bei Ärzten, aber auch bei anderen Gesundheitsberufen. Ich weiß, dass uns viele um das System einer Pflegeambulanz beneiden. HOBI hat gezeigt, dass Patientenedukation geht und zwar nachhaltig. Ich habe schon viele Projekte begleitet, die nachhaltig im Sand verlaufen sind.
Was waren das für Bauchflecke?
Wir hatten vor HOBI schon verschiedene Ansätze geprobt, wie das Symptommanagement umsetzbar ist. Leider nur mit mäßigem Erfolg. Die Erkenntnis ist, dass Symptommanagement im Alltag einer Station nur schwer umsetzbar ist. Das scheitert einfach an den Zeitressourcen. Das ursprüngliche Konzept der Beratung hat vorgesehen, dass die Beratung direkt auf der Station stattfindet. Aber es braucht definitiv einen Extraplatz. Das hat HOBI gezeigt.
Könnte eine Pflegeambulanz österreichweit ein Thema werden?
Ich hoffe es. Es hat 2017 auch schon ein Projekt gegeben, das einen ähnlichen Fokus hat. Sandra Turra vom CCI Innsbruck hat sich im Rahmen ihrer Cancer Nurse-Ausbildung mit den Implementierungsmöglichkeiten eines Edukationszentrums befasst. Und ich hoffe sehr, dass wir durch unser praktisches Vorleben dem Vorhaben in Innsbruck einen Anstoß für die praktische Umsetzung geben.
Gibt es in anderen Bereichen ähnliche Konzepte?
Das Ursprungskonzept ist das Patienteninformationszentrum, das in Deutschland von Angelika Abt-Zegelin entwickelt wurde. Daraus haben sich unterschiedliche Modelle entwickelt. Eines der ersten, die in Österreich umgesetzt wurden, ist das Patienteninformations- und Beratungszentrum im Rudolfinerhaus, das es seit 2015 gibt. Aber im Unterschied zum Rudolfinerhaus, die Beratung sehr allgemein für alle Patienten anbieten, sind wir rein auf Hämatologie und Onkologie spezialisiert.
Sie sind vor Kurzem zum Präsidenten der Arbeitsgemeinschaft hämatologischer und onkologischer Pflegepersonen, kurz AHOP, gewählt worden. Welche Ideen nehmen Sie aus der Praxis mit in Ihre Präsidentschaft?
Ich habe durch meinen beruflichen Lebensweg gemerkt, wie wichtig es ist, dass wir viel und offen miteinander sprechen. Das fängt bei der Begrüßung an unserer Rezeption an und hört bei der Verabschiedung auf. Und dazwischen ist eine Reihe von Gesundheitsberufen. Deshalb ist es wichtig, in der Patientenbetreuung immer das große Ganze zu sehen. Genau das möchte ich auch bei der AHOP mitnehmen.
Was sind Ihre Ziele?
Ein Ziel wurde bereits realisiert – eine Mitgliederzeitung, die jetzt neu erscheinen wird. Primär geht es uns in der AHOP darum, die Pflege als Partner auf Augenhöhe in der Onkologie zu stärken.
Vielen Dank für das Gespräch!
Über Harald Titzer
Harald Titzer ist diplomierter Pfleger mit Spezialisierung auf Onkologie und Hämatologie. Nach seinem Berufseinstieg am AKH Wien studierte er Advanced Nursing Practice mit dem Schwerpunkt Patientenedukation und -beratung an der Fachhochschule Krems sowie anschließend Pflegewissenschaft an der Universität Wien, wo er 2018 mit dem Master of Science abschloss. Titzer ist Pflegeberater an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin I und baute dort ab 2017 das Projekt hämatologische und onkologische Beratung und Information, HOBI, auf und leitet es seither. 2018 wurde HOBI mit dem AHOP-Förderpreis ausgezeichnet, 2019 folgte der Occursus im Rahmen des Projektes Kommunikationsplattform für CAR-T-Zelltherapie-Patienten (die krebs:hilfe! berichtete).