Ein junges Herz rast viel zu schnell
Der Fall. Ihre Ordinationshilfe schiebt Ihnen einen Notfall ins Zimmer: Frau K. (29 J.) ist Kellnerin im gegenüberliegenden Gasthaus und sieht sehr blass aus. „Mir ist so schwindlig und schlecht und dieses Herzrasen hört gar nicht mehr auf. Das geht jetzt schon fast eine halbe Stunde. Bitte machen Sie, dass es aufhört!“, schildert sie ihre Beschwerden. Sie erfahren, dass Frau K. dieses Herzrasen vor allem in den letzten Monaten gehäuft hat. Der letzte „Anfall“ war erst vor fünf Tagen, bisher hat es immer nur ein paar Minuten gedauert. Spätestens wenn sie sich kurz hingelegt oder etwas getrunken hat, war es verschwunden. Aber heute hat gar nichts mehr geholfen. Sie hat in letzter Zeit viel gearbeitet, weil ein Kollege ausgefallen ist, und sie schlafe recht schlecht, aber ansonsten sei sie völlig gesund. Keine Dauermedikation. HF 160, RR 100/60 mmHg. Das EKG-Gerät wird gerade geholt. Wie gehen Sie weiter vor? Was veranlassen Sie als Nächstes? Können Sie Frau K. beruhigen? (ärztemagazin 6/19)
„Die rasche EKG-Dokumentation ist auf jeden Fall das Um und Auf“
Dr. Rainer Watzak
Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie und Geriatrie endo2go.at, Wien
ES SOLLTE SOFORT ein EKG mit zwölf Ableitungen und ein Rhythmusstreifen angefertigt werden, um eine Herzrhythmusstörung einerseits beweisen und dokumentieren zu können, andererseits dann je nach Art der Rhythmusstörung richtig behandeln zu können. Als Differentialdiagnosen kommen eine Reentry-Tachykardie, ein tachykardes Vorhofflimmern, ein tachykardes Vorhofflattern oder andere Rhythmusstörungen in Frage. Als nächster Schritt sollte die Herz-Kreislauf-Funktion überprüft werden.
Nachdem die junge Patientin gehend in die Ordination gekommen ist, ist die Bewusstseinslage nicht eingetrübt und es liegt keine hämodynamische Relevanz vor. Unter EKG-Monitoring könnte die Patientin ein Glas kaltes Wasser trinken, auch könnte man bei Fortbestehen der Rhythmusstörung abwechselnd die Carotis massieren. Unter diesen Maßnahmen kann die Rhythmusstörung manchmal beendet werden. Eine stationäre, weiterführende kardiologische Abklärung ist sofort sinnvoll und zu organisieren. Die Herzspezialisten entscheiden je nach Rhythmusstörung über einen medikamentösen oder elektrischen Kardioversionsversuch. Das EKG sollte daher immer in Kopie ins Krankenhaus geschickt werden. Anamnestisch ist die Dauer und die Häufigkeit der Rhythmusstörung in der letzten Zeit zu erfragen.
Sollte die Rhythmusstörung nicht mit dem EKG dokumentierbar gewesen sein, wird ein Langzeit- EKG oder ein Event Recorder hilfreich sein. Ob eine Katheter-Ablation möglich ist, entscheiden die Kardiologen. Ein Ultraschall des Herzens gibt Aufschluss über den Klappenstatus, der Chads Vasc Score über die kardiovaskuläre Risikosituation. Über eine Blutverdünnung werden die Kardiologen in Zusammenschau aller Befunde nachdenken. Die rasche EKG-Dokumentation ist auf jeden Fall das Um und Auf für das weitere Prozedere.
„Therapeutisch werden vor einer Medikation vagale Manöver empfohlen“
Dr. Ulrik Müller
Assistenzarzt Innere Medizin, Notfallambulanz, SMZ Ost – Donauspital
IN DER WEITEREN Untersuchung ist fokussiert auf Anzeichen eines kritischen Patientenzustandes zu achten (Schock, Synkope, Ischämie, Herzinsuffizienz). Frau K. kann hier als „nicht kritisch“ eingestuft werden, eine synchronisierte elektrische Kardioversion ist damit vorerst nicht erforderlich. Ein 12-Kanal-EKG sollte, wann immer möglich, vor einer etwaigen Intervention veranlasst werden, um die weitere kardiologische Abklärung zu erleichtern.
Die vollständige Anamnese bei Tachykardien umfasst auch Drogenabusus und Konsum koffeinhaltiger Getränke. Falls vorhanden, kann mittels BGA eine Elektrolytstörung als reversible Ursache von Herzrhythmusstörungen ausgeschlossen werden. Im EKG zeigt sich eine rhythmische Schmalkomplextachykardie mit einer Herzfrequenz von 160/min., Vorhofaktivität ist nicht eindeutig sichtbar. Frau K. kann beruhigt werden, eine maligne Herzrhythmusstörung ist unwahrscheinlich. Die häufigsten Differentialdiagnosen sind AV-nodale Reentry-Tachykardie, atrioventrikuläre Reentry-Tachykardie, Sinustachykardie und Vorhofflattern mit 2:1-Überleitung. Therapeutisch werden vor einer medikamentösen Therapie vagale Manöver wie Valsalva-Manöver und Karotissinusmassage zur Terminierung einer rhythmischen Schmalkomplex-Tachykardie empfohlen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die korrekte Ausführung zu richten.
Durch Anwendung des modifizierten Valsalva-Manövers lässt sich die Erfolgswahrscheinlichkeit mehr als verdoppeln (Appelboam A et al.). Sind mehrere Versuche erfolglos, wäre in einer für Notfälle entsprechend ausgestatteten Ordination auch ein Therapieversuch mit Adenosin möglich (Schema 6mg-12mg-12mg). Bei Frau K. kommt es durch das modifizierte Valsalva-Manöver zur Konversion in einen normofrequenten Sinusrhythmus. Als Selbsthilfemaßnahmen können Trinken von kaltem Wasser oder ein Valsalva-Versuch empfohlen werden. Eine Vorstellung beim Kardiologen sollte jedenfalls mit dem EKG der dokumentierten Tachykardie-Episode erfolgen.
„Am wahrscheinlichsten ist aufgrund der Klinik eine AV-Reentry-Tachykardie“
Prof. Dr. Christian Sebesta
FA für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Hämatologie und Onkologie
FRAU K. ERLEIDET eine Tachykardie mit einer Herzfrequenz von 160 Schlägen pro Minute und bedarf daher einer sofortigen Überwachung, zumal die Tachykardie über eine halbe Stunde anhält, einer medikamentösen Intervention und in der Folge einer Aufklärung der Ursachen. Aufgrund ihres Alters, der Vorgeschichte und der Klinik ist eine supraventrikuläre Tachykardie mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Aufgrund der Umstände und der Anamnese sind eine AV-Reentry-Tachykardie (AVRT) oder eine AV-nodale Reentry-Tachykardie (AVNRT) naheliegend.
Am wahrscheinlichsten handelt es sich auf Basis der Klinik, der Anamnese und der klinischen Symptomatik um eine AV-Reentry-Tachykardie. Das plötzliche Auftreten und die Tendenz zum spontanen Sistieren sind typisch, wenn auch nicht absolut spezifisch. Eine Ursachenforschung ist anamnestisch und mittels Labor sinnvoll, steht aber in der Reihenfolge hinter der Akutversorgung der Patientin. Nach Stabilisierung von Kreislauf und Rhythmus soll durchaus Blut abgenommen werden, um Troponin, CK-MB, LDH, eventuell auch Katecholamine im Harn und Schilddrüsenhormone zu bestimmen und einerseits einen Myokardschaden und andererseits eine behandelbare Erkrankung auszuschließen. Bei Frau K. wird sofort ein EKG durchgeführt, das mit großer Sicherheit bereits die Diagnose und die adäquate Therapiemaßnahme ergibt. Supraventrikuläre Tachykardien sistieren meistens nach kurzer Zeit spontan, die Gabe eines Betablockers kann den Anfall abkürzen und soll ein Wiederauftreten verhindern.
Die AV-Reentry-Tachykardie lässt sich durch die intravenöse Gabe von Adenosin, das einen passageren AV-Block bewirkt, erstens beweisen und zweitens bremsen, indem eine physiologische Kammerfrequenz, zwischen 60 und 100 Schlägen, erzielt wird. Frau K. wird monitiert, ein Venflon wird gelegt, die Pulsoxymetrie zeigt, ob eine Sauerstoffzufuhr nötig ist, und das EKG enthüllt bei Absinken der Herzfrequenz, ob eine myokardiale Schädigung eingetreten ist, die eine akute Verlegung der Patientin an eine kardiologische Abteilung mit Angiographie-Verfügbarkeit notwendig macht. Im Trubel der initialen Aufregung um Frau K. ist es von Bedeutung, die Maßnahmen und Aktivitäten rasch und in der richtigen Reihenfolge zu setzen und darauf zu achten, keinen zusätzlichen Stress für die Patientin zu verursachen.