19. Nov. 2018

Auffälliges Mikrobiom beim Reizdarmsyndrom

Das Darmmikrobiom bleibt ein schwer zu erfassendes Ziel. Zahlreiche Studien zeigen bei Patienten mit Reizdarm Veränderungen in der Darmflora. Eine therapeutische Intervention wäre naheliegend. Allerdings ist die Datenlage widersprüchlich und vieles zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unverstanden. (CliniCum 11/18)

Mehrere Studien zeigen bei Patienten mit Reizdarmsyndrom Auffälligkeiten des Darmmikrobioms. Um diese Auffälligkeiten nachweisen zu können, werden innovative Strategien und modernste Nachweismethoden benötigt. Prof. Dr. Premysl Bercik von der kanadischen McMaster University verweist auf eine Arbeit, in der es gelang, mittels Machine Learning anhand des Darmmikrobioms zwischen Patienten mit schwerem IBS, leichtem IBS und gesunden Kontrollen zu unterscheiden.1 Dabei wurden 90 bakterielle OTUs (bacterial operational taxonomic units) identifiziert (was sich grob mit „Arten“ übersetzen lässt), die in unterschiedlichem Ausmaß mit leichterer oder schwererer Erkrankung assoziiert waren. Bercik betont, dass diese OTUs zu unterschiedlichen Bakteriengruppen gehören. Die Schwere der Symptomatik war negativ assoziiert mit der Diversität des Mikrobioms sowie mit Clostridium und Prevotella-Spezies.

Allerdings müsse man mit Aussagen vorsichtig sein, da in der Vergangenheit mehrfach gezeigt worden war, dass Mikrobiombefunde lokal sehr unterschiedlich sein können. So fand eine Studie aus Amsterdam deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen in der Stadt lebenden Ethnien. Entgegen den Erwartungen hatten Europäer dabei das reichhaltigste Mikrobiom. Die geringste „richness“ wurde bei Probanden aus Südasien gefunden – diese zeigten auch die höchste Prävalenz von Reizdarmbeschwerden. Eine chinesische Studie mit Stuhlproben von 7.000 Personen gelangte zu dem Schluss, dass der stärkste Prädiktor für ein bestimmtes Mikrobiomprofil der Wohnort war.2 Bercik: „Wir müssen also sehr vorsichtig sein, wenn wir Studien aus unterschiedlichen Ländern oder Regionen vergleichen.“

Übertragungen im Tiermodell

Bercik und seine Gruppe untersuchten den Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Reizdarm in einem Tiermodell. Sie kolonisierten keimfreie Mäuse mit Stuhlproben von IBS-Patienten und gesunden Kontrollen. Anschließend beobachteten sie Darmfunktion und Verhalten der Tiere und entnahmen schließlich Gewebeproben aus dem Darm. Die Studie zeigte zunächst, dass sich das menschliche Mikrobiom (mit einigen Anpassungen) auf die Tiere übertragen lässt. Das IBS-Mikrobiom bewirkte bei den Mäusen eine schnellere Darmpassage und bei manchen Tieren eine erhöhte Permeabilität der Darmmukosa. Die Transplantation von Stuhl von Patienten, die unter einer Angststörung litten, führte bei den Mäusen zu ängstlichem Verhalten. Wirkungen auf die Gen-Expression konnten nachgewiesen werden, wovon einerseits Gene betroffen waren, die in Zusammenhang mit der Immunantwort stehen. Darüber hinaus kam es jedoch auch zur Beeinflussung des Neuro-Immun-Netzwerks, also zum Beispiel der Mikroglia. Das metabolische Profil wurde ebenfalls verändert.3

Widersprüchliche Daten

Angesichts solcher Daten bietet sich die Manipulation des Darmmikrobioms als therapeutische Strategie beim Reizdarmsyndrom an. Eine vor Kurzem publizierte Studie fand bei 65 Prozent der Patienten einen Benefit durch Stuhltransplantation.4 Leider sind die Daten widersprüchlich, denn eine weitere rezente Studie konnte keine Überlegenheit der Stuhltransplantation im Vergleich zu Placebo zeigen.5 Der Schlüssel könnte, so Bercik, in der Auswahl des Donors liegen. Eine mögliche Alternative stellt der Einsatz von Probiotika dar. In diesem Zusammenhang verweist Bercik auf eine Studie seiner Gruppe, die von der Beobachtung ausging, dass in einem Mausmodell Bifidobacterium longum NCC3001 ängstliches Verhalten in Zusammenhang mit Darminflammation modifizieren kann. Eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit menschlichen IBS-Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten zeigte, dass sich durch das Probiotikum der Depressionsscore signifikant verbessert. MRT-Untersuchungen zeigten, dass das Probiotikum die Aktivierung der Amygdala reduzierte.6

Session „BS: What’s new in 2018?“, UEG Week 2018, Wien, 24.10.18

Referenzen:
1 Tap J et al. Identification of an Intestinal Microbiota Signature Associated With Severity of Irritable Bowel Syndrome. Gastroenterology. 2017 Jan; 152(1): 111–123.e8
2 Deschasaux M et al. Depicting the composition of gut microbiota in a population with varied ethnic origins but shared geography. Nat Med. 2018 Oct; 24(10): 1526–1531
3 De Palma G et al. Transplantation of fecal microbiota from patients with irritable bowel syndrome alters gut function and behavior in recipient mice. Sci Transl Med. 2017 Mar 1; 9(379). pii: eaaf 6397
4 Johnsen PH et al. Faecal microbiota transplantation versus placebo for moderateto- severe irritable bowel syndrome: a doubleblind, randomised, placebo-controlled, parallel- group, single-centre trial. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2018 Jan; 3(1): 17–24
5 Halkjær SI et al. Faecal microbiota transplantation alters gut microbiota in patients with irritable bowel syndrome: results from a randomised, double-blind placebo-controlled study. Gut. 2018 Jul 6. pii: gutjnl-2018-316434. [Epub ahead of print]
6 Pinto-Sanchez MI et al. Probiotic Bifidobacterium longum NCC3001 Reduces Depression Scores and Alters Brain Activity: A Pilot Study in Patients With Irritable Bowel Syndrome. Gastroenterology. 2017 Aug; 153(2): 448–459.e8