6. März 2018

“Kardiomyopathie ist oft Familiensache”

Eine europäische Registerstudie findet bei vielen Patienten mit Kardiomyopathie einen genetischen Hintergrund. Die Konsequenz daraus: Nahe Verwandte sollten gescreent werden. (Medical Tribune 08/18)

Frühe Erkennung kann durch verbessertes Management der Erkrankung das Leben verlängern.
Frühe Erkennung kann durch verbessertes Management der Erkrankung das Leben verlängern.

Ein plötzlicher Herztod oder eine Herzinsuffizienz sind bei jungen Menschen glücklicherweise selten. Treten sie dennoch auf, so stehen dahinter sehr oft Kardiomyopathien unterschiedlicher Genese. Eine kürzlich publizierte Studie suchte nun nach den Hintergründen dieser Erkrankungen und fand bei rund 40 Prozent der Fälle genetische Ursachen. Das hat wichtige Implikationen für die klinische Praxis. Auf Basis dieser Daten fordern Experten nun das Screening betroffener Familien, um Todesfälle zu verhindern. Basis der Studie war das erste europäische Register für Kardiomyopathien als Teil des EURObservational Research Programme (EORP) der Europäischen Kardiologengesellschaft ESC. Eingeschlossen waren 3208 Patienten in 69 Zentren in 18 Ländern. Gesammelt wurden Daten zu Patienten- Charakteristika und Therapien.

40 % der Patienten zeigten eine erbliche Erkrankung

Verblüffendes Resultat: Rund 40 Prozent zeigten eine erbliche Erkrankung. „Wir sind selbst überrascht, wie oft diese Krankheit einen genetischen Hintergrund hat“, kommentierte Erstautor Prof. Dr. Philippe Charron vom Pitié-Salpêtrière Hospital in Paris. „Als Konsequenz ist es äußerst wichtig, das Screening gesunder Angehöriger von Patienten mit Kardiomyopathie zu verbessern.“ In der Auswertung des Registers unterschieden sich die verschiedenen Subtypen von Kardiomyopathie im Hinblick auf Alter bei Diagnosestellung, Familienanamnese, Auftreten ventrikulärer Arrhythmien, Einsatz von MRT-Untersuchungen oder genetischen Tests sowie Implantation von Defibrillatoren. Bei Patienten mit familiärer Erkrankung wurde die Diagnose zwar in jüngeren Jahren gestellt – die Symptomatik und der Bedarf nach einem Defibrillator war jedoch mit anderen Kardiomyopathien vergleichbar. Die Studie zeigte auch, dass Patienten, die bereits in der Pilotphase des Registers (in der sich ausschließlich spezialisierte Zentren beteiligten) eingeschlossen wurden, häufiger eine familiäre Erkrankung hatten, häufiger einen Defibrillator und auch häufiger die Diagnose einer seltenen Grundkrankheit. Im regionalen Vergleich hatten mehr Patienten in Südeuropa eine familiäre Erkrankung, wurden häufiger im Rahmen von Screening-Untersuchungen diagnostiziert und hatten relativ öfter eine seltene Grundkrankheit.

Insgesamt wurden rund zwei Drittel der Patienten mit familiärer Erkrankung durch Familienscreening diagnostiziert, das mit Echokardiographie und EKG durchgeführt wird. Dennoch stellte sich im Rahmen der Diagnose in vielen Fällen heraus, dass die im Screening identifizierten Patienten bereits genauso symptomatisch waren wie ihr Index-Familienmitglied und auch bereits einen implantierbaren Cardioverter Defibrillator (ICD) benötigten, um lebensbedrohliche Arrhythmien zu beenden. Die EORP-Studie zeigte, dass manche Verwandte von Kardiomyopathie- Patienten bereits im Alter von weniger als zehn Jahren selbst erkrankt waren und bei anderen eine Diagnose erst jenseits der 70 erfolgte. Daraus lässt sich die konkrete Empfehlung ableiten, dass Familienscreening bei Angehörigen von Patienten mit Kardiomyopathien in jungen Jahren beginnen und bis ins hohe Alter durchgeführt werden sollte. Charron: „Die kardiale Manifestation dieser genetischen Erkrankungen kann sehr früh beginnen oder bei manchen Patienten um Jahrzehnte verzögert auftreten. Das kann länger dauern, als wir bislang dachten.“ Im Rahmen der Studie wurden bei 36 Prozent der Patienten genetische Tests durchgeführt. Dies ist nach Ansicht der Autoren eine Verbesserung gegenüber Werten, wie sie vor zehn Jahren gesehen wurden, aber noch lange nicht gut genug. Wird eine relevante Mutation diagnostiziert, so sollte bei allen Verwandten ersten Grades ein genetischer Test durchgeführt werden.

Mutationsträger regelmäßig untersuchen

Bei Trägern dieser Mutation sollte ein langfristiges, regelmäßiges Follow-up mittels Echokardiographie und EKG folgen, um Veränderungen des Herzmuskels und der Herzfunktion frühzeitig erkennen zu können. „Je früher wir verwandte Mutationsträger erkennen, desto besser können wir sie betreuen und Komplikationen inklusive eines plötzlichen Herztodes verhindern“, sagt Charron. Allerdings zeigte die Studie in dieser Hinsicht auch Schwächen auf. Denn obwohl die möglichst frühzeitige Diagnose von Arrhythmien von entscheidender Bedeutung für die Prognose ist, wurden die erforderlichen Tests bei rund einem Drittel der Patienten nicht durchgeführt. Damit kann die Implantation eines ICD so lange verzögert werden, dass die Arrhythmien erst durch ein lebensbedrohliches oder sogar tödliches Ereignis auffallen. Angesichts dieser Daten fordern die Autoren die Einrichtung spezialisierter Zentren auf europäischer und nationaler Ebene, um Patienten mit Kardiomyopathien optimal diagnostizieren und betreuen zu können.

Charron P et al., European Hear t Journal 2018, Jan 24; doi:10.1093/eurhear tj/ehx819.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune