1. Feb. 2023Leitfaden zum Weg in die ärztliche Selbständigkeit - Teil 2

Der Weg in die Einzel- und Gruppenpraxis

Woher weiß man, ob eine Kassenstelle frei ist, und wie wird entschieden, wer die Stelle bekommt? Und warum gleicht eine Gruppenpraxis einer Ehe? Warum gibt es dieses System überhaupt? Diese Fragen und mehr werden im aktuellen Beitrag beantwortet.

Vektor eines medizinischen Personals, einer Gruppe selbstbewusster Ärzte und Krankenschwestern
Feodora Chiosea/GettyImages

Woher weiß man, ob eine Kassenstelle für eine Einzelordination frei ist?

Kassenärzt:innen haben im Regelfall Verträge mit allen Krankenkassen. Die Niederlassung als Kassenarzt/-ärztin ist an eine freie Vertragsarztstelle gebunden. In allen Bundesländern existiert ein sogenannter „Stellenplan“, der regelmäßig zwischen der jeweiligen Landesärztekammer und der regionalen Landesstruktur der Österreichischen Gesundheitskasse verhandelt wird.

Freie Vertragsarztstellen werden von der jeweiligen Landesärztekammer auf der Website der Ärztekammer veröffentlicht, die Bewerbung für eine freie Kassenstelle erfolgt direkt bei der zuständigen Landesärztekammer.

Die Reihung der Bewerber erfolgt nach einem Punktesystem. Die Grundstruktur dieses Punktesystems ist bundesweit geregelt, die detaillierte Ausführung jedoch in jedem Bundesland unterschiedlich.

Was sind die ersten Schritte, um an eine Kassenstelle zu kommen?

Wenn man grundsätzlich an einer Kassenstelle interessiert ist, empfiehlt es sich, sich auf die Interessentenliste der jeweiligen Landesärztekammer setzen zu lassen. Dieser Schritt ist keine Bewerbung für eine konkrete Kassenstelle, sondern bringt lediglich zum Ausdruck, dass man einer Kassenstelle interessiert ist. Hintergrund der Empfehlung ist die Bewertung mit Punkten im Rahmen einer konkreten Bewerbung. Im Regelfall werden freie Vertragsarztstellen für alle Kassen ausgeschrieben. Es gibt jedoch in allen Bundesländern Beispiele, bei denen Ärzte nur den Vertrag mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) kündigen und die Verträge mit den sogenannten „kleinen Kassen“ (BVAEB, BVAOEB, KFA, SVAGW und SVWLW) behalten. In solchen Fällen gelangt häufig ausschließlich der Vertrag mit der ÖGK zur Ausschreibung, man ist damit Kassenarzt für die ÖGK und Wahlarzt für die „kleinen Kassen“.

Wichtiger Tipp: Bei Interesse an einer Kassenstelle in einem Bundesland sollte man sich zeitgerecht mit dem gültigen Punktesystem der Landesärztekammer auseinanderzusetzen.

Wie wird entscheiden, wer eine Kassenstelle bekommt?

Bewerben sich mehrere Bewerber:innen für eine Kassenstelle und haben diese das Punktemaximum, entscheidet eine gemeinsame Kommission von Österreichischer Gesundheitskasse und Landesärztekammer (Hearingkommission) im Rahmen eines Hearings über die Zuteilung der Kassenstelle.

Im Regelfall bewirbt man sich um eine bestehende Kassenstelle aufgrund von Pensionierung eines Arztes/einer Ärztin. Der/die übergebende Kassenarzt/-ärztin hat kein Mitspracherecht, wer als Nachfolger:in ausgewählt wird. Ich empfehle jedoch dringend, mit dem/der Übergeber:in der Kassenstelle Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden, ob die Übernahme von Ordinationsräumlichkeiten und Angestellten möglich ist.

Wie sieht der Weg in die Gruppenpraxis aus?

Die Tätigkeit in einer Gruppenpraxis ist vergleichbar mit einer Ehe. Aus diesem Grund hat die Gruppenpraxis auch ein gewisses Mitspracherecht bei der Auswahl des Gesellschafters/der Gesellschafterin, der/die neu hinzukommt. Danach muss mit dem/der neuen Gesellschafter:in ein Gesellschaftsvertrag zustande kommen. Wenn es dabei zu keiner Einigung kommt, erhält der/die Bewerber:in trotz Zuschlag von der Hearingkommission keine Anteile der Gesellschaft. In der Theorie scheint es schwierig zu sein, den/die Wunschnachfolger:in in der Gruppenpraxis aufnehmen zu können. Häufig gibt es jedoch im Falle eines Gesellschafter:innenwechsels tatsächlich nur eine/n Bewerber:in, nämlich den/die Wunschkandidat:in. Die Gründe liegen wohl darin, dass eine Bewerbung keinen Sinn macht, wenn danach keine Aussicht auf eine Einigung über einen Gesellschaftsvertrag zustande kommt – weil „Zwangsehen“ in den seltensten Fällen gut funktionieren.

Historische Entwicklung von Kassensystem und Wahlarztsystem

Kassensystem

Der Ursprung der Krankenversicherung und damit des Kassensystems liegt nicht in der Bezahlung von Krankenbehandlungen, sondern in der Absicherung von Lohnausfällen im Krankheitsfall. Die Vorläufer der gesetzlichen Krankenversicherungen Mitte des 19. Jahrhunderts waren eine Art Hilfsvereine, im Krankheitsfall erfolgte eine Geldleistung.

In der Anfangsphase dieses Systems bestand daher keine Vertragsbeziehung zwischen den Hilfsvereinen und Ärzt:innen. Erst gegen 1890 erfolgte eine gesetzliche Regelung der Krankenversicherung. Mit dieser Regelung war der Grundstein zum heute noch bestehenden Sachleistungsprinzip gelegt.

Jede/r Versicherte hat seither Anspruch auf eine kostenlose Behandlung bei einem Arzt/einer Ärztin mit Kassenverträgen. Die Eingliederung in diese Pflichtversicherung verlief rasch. Bereits 1910 war im damaligen Reichsgebiet etwa die Hälfte der Bevölkerung im Rahmen des Systems pflichtversichert.

Zunächst verhandelten die Ärzt:innen ihren Vertrag mit der Krankenversicherung einzeln, was bereits in dieser Zeit zu einem deutlichen Rückgang des Realeinkommens führte. Durch die Novelle des Kassenarztrechts 1917 wurde der Kassenvertrag im heutigen Sinn begründet und der Einfluss der Ärztekammern stieg.

Nach den Wirren der Weltkriege galt zunächst das deutsche Kassenarztrecht. 1949 trat das neue Ärztegesetz in Kraft mit der Wahlmöglichkeit für oder gegen eine Fixanstellung bei den Krankenkassen. 90 Prozent entschieden sich damals für eine freie Niederlassung und gegen eine Anstellung.

Wahlarztsystem

Das allgemeine Sozialversicherungskonzept (ASVG) trat 1965 in Kraft. Darin tauchte das erste Mal der Begriff des Wahlarztes auf.

In diesem Gesetz ist definiert, dass Versicherte auch Sachleistungen bei Wahlärzt:innen in Anspruch nehmen dürfen. In diesem Fall erhält der/die Anspruchsberechtigte eine Kostenrückerstattung in Höhe des Betrags, der bei Inanspruchnahme eines Arztes/einer Ärztin mit Kassenvertrag als Honorar ausgezahlt worden wäre.

In den 1990er Jahren gingen die Krankenversicherungen dazu über, lediglich 80 Prozent des Kassentarifs an die Versicherten rückzuerstatten, mit der Begründung eines erhöhten Verwaltungsaufwandes für die Kostenrückerstattung. Die Rechtmäßigkeit dieser Vorgangsweise wurde in einem Urteil des Obersten Gerichtshofes 1996 bestätigt. Der Verfassungsgerichtshof bestätigte im Jahr 2000 diese Rechtsansicht. Der Europäische Gerichtshof wurde mit dieser Sachlage bislang nicht befasst.

Was erwartet Sie im nächsten Teil der Serie?

Im nächsten Kapitel werde ich erklären, warum die Persönlichkeit des Arztes/der Ärztin für den Erfolg in der selbstständigen Tätigkeit von ganz enormer Bedeutung ist. Dann beginnen wir endlich beim ersten Schritt der Ordinationsplanung: der Standortwahl.