30. Apr. 2024Linzer Reisemedizinische Tagung

Auch Ältere und chronisch Kranke können das Reisen genießen

Bloßfüßig im hohen Alter Wüstenwind und Lebensglück spüren oder mit Grunderkrankung hoch hinaus wie nie zuvor – mit guter reisemedizinischer Planung ist fast alles möglich. Wie das geht, erklärt Internist Dr. Bernd Haditsch auf der 26. Linzer Reisemedizinischen Tagung (LRMT).

Loving the elderly couple sitting on the wall facing the beach,
Daniel Rodriguez/AdobeStock

Als Vorsorgemediziner habe er „großes Interesse“ daran, dass die Menschen das Reisen bestmöglich genießen und wohlbehalten zurückkommen können. „Reisen trägt viel zum Lebensgefühl bei und fördert nachweislich die Gesundheit“, betont Dr. Bernd Haditsch, Prophy Docs Ärztezentrum, Travel Med Center Graz. Zunehmend würden auch Ältere bzw. Menschen mit Grunderkrankungen reisen.

Etwa drei Viertel der österreichischen Bevölkerung haben 2022 mindestens eine Reise unternommen. Damit übertrifft Österreich sogar das Vor-Corona-Niveau: Mit den Mehrfach-Reisenden waren es rund 25 Millionen Reisen (2019: 21 Millionen Reisen), etwa die Hälfte davon ins Ausland. Bei 6,3% aller Auslandsurlaubsreisen habe es sich um Fernreisen gehandelt, zitiert Haditsch Daten der Statistik Austria.

„Alter per se ist keine Krankheit“

Vom Alter her sind 13–15% der Reisenden über 65 Jahre alt und 70% unternehmen mindestens eine Reise pro Jahr. Unabhängig vom Alter haben laut einer Gesundheitsbefragung (2019, Statistik Austria) in Österreich etwa 2,8 Millionen Personen eine dauerhafte Krankheit oder chronische Gesundheitsprobleme. Diese steigen zwar mit dem Alter an und betreffen etwa zwei Drittel der über 74-Jährigen. Aber: „Alter per se ist keine Krankheit“, so Haditsch, man könne auch „gesund“ altern bzw. alt sein.

Als motivierendes Beispiel berichtet er von einer Wüstenwanderung in Marokko, die er seiner Tochter zum Studienabschluss schenkte. Mit dabei mit viel „Lebensfreude“ und „Lebensglück“ waren eine 82-Jährige, ein 79-Jähriger und eine 76-jährige Wanderführerin. Die 82-Jährige sei „bloßfüßig auf der Düne im Sandsturm gestanden und hat das auf sich wirken lassen“, ermutigt Haditsch, dass mit einer kompetenten und rechtzeitigen reisemedizinischen Planung „fast alles möglich“ ist.

Nicht nur auf Grundkrankheiten achten

In puncto Reisetauglichkeit rät der Reisemediziner zunächst zu unterscheiden: Habe ich einen älteren, aber sonst gesunden Reisenden vor mir oder einen chronisch kranken Reisenden? Beim älteren Reisenden soll man das ältere Immunsystem (Immunseneszenz) beachten – Stichwort Auffrischungsimpfungen wegen der höheren Infektanfälligkeit –, aber auch den altersbedingten Muskelschwund (Sarkopenie).

Beim chronisch kranken Reisenden müsse man nicht nur die Grundkrankheiten berücksichtigen, sondern auch Komorbiditäten und Dauermedikation. Als besondere Gesundheitsprobleme auf Reisen für beide Gruppen nennt Haditsch folgende Punkte:

  • Sturzrisiko und Infektionsrisiko auf Schiffsreisen
  • Dehydratation, Verwirrtheit, vermehrte Herzarbeit durch Hitze, Unterkühlung durch Kälte
  • Reisediarrhö: Dekompensation durch Elektrolyt- und Wasserverlust
  • Medikamenten(neben)wirkungen

Kreuzfahrten internistisch besonders heikel

Haditsch empfiehlt, mit den Reisenden „emotional“ auf Reisen zu gehen: Das betrifft das Transportmittel (Bus, Zug, Schiff, Pkw oder Flugzeug), das Reiseziel (Klima, Jahreszeit, Zeitverschiebung, Epidemiologie, Höhe), den Reisezweck (Erholung, Geschäftsreise, Entsendung von älteren Arbeitnehmern mit unerkannten Erkrankungen, Entwicklungshilfe) und den Reisestil (organisiert, individuell, „Abenteuer“, Badeurlaub, Safari & Sea).

„Für mich als Internist ist die Schiffsreise die größte Herausforderung, weil Kreuzfahrten sehr beliebt sind und die Population üblicherweise älter, kränker und vielleicht auch weniger compliant ist“, sagt Haditsch. Dazu komme der „enge Raum“ mit wenig Fluchtmöglichkeiten.

„Sicherheitszuschlag“ bei Leistungsfähigkeit

Bei jüngeren chronisch kranken Reisenden falle die Risikoanalyse ähnlich aus, jedoch mit größerem Augenmerk auf die Stabilität der Krankheit und die Compliance. Der aktuelle Zustand der Erkrankung soll genau untersucht und dokumentiert werden. Bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit baut Haditsch eine Art „Sicherheitszuschlag“ ein – die Reisenden sollten seines Erachtens bei der Ergometrie nicht nur die Mindestanforderung erfüllen.

Bei Flugreisen bieten die ärztlichen Dienste der Fluglinien entsprechende Formulare (MEDIF = Medical Information Form) an. Als Orientierung nennt Haditsch hier folgende Kriterien: 80m ohne Hilfe gehen, 12 Stufen beschwerdefrei steigen, VK 3,8l, FEV1 70%, SpO2 85%, pO2 70mmHg. Am Zielort sind dann auch besondere Aktivitäten zu berücksichtigen wie Tauchsport, Höhenaufenthalt, Leistungssport, berufliche Reisen und Langzeitaufenthalte.

Für die konkrete Diagnostik verwendet Haditsch den schon älteren, aber für ihn sehr praktikablen Leitfaden „EEU“ (Entsendungseignungsuntersuchung) oder auch – als Basis für weiterführende Diagnostik – die Inhalte der Vorsorgeuntersuchung, wo Haditsch im Empfehlungsgremium vertreten ist. Eine sorgfältige, umfassende Anamnese schließe neben Vorerkrankungen und Impfstatus auch bisherige Erkrankungen auf Reisen und Reiseerfahrungen ein.

Medikamente: Cave Wirkstoffverlust

Zu „Medikamenten auf Reisen“ erinnert Haditsch daran, dass sie nicht immer „gleich“ wirken wie zuhause: Medikamente werden für einen Temperaturbereich von 8–25°C hergestellt und haben einen Wirkstoffverlust bis zum Ende der Haltbarkeit von max. 5%. Unter tropischen Bedingungen könne dieser jedoch höher ausfallen, betont der Reisemediziner.

Auch Kälte oder Höhe können den Wirkstoffverlust und den Metabolismus der Medikamente beeinflussen – oder auch Durchfall. Haditsch rät zu Kopien der Beipackzettel (für etwaigen Ersatz) und zu einer kleinen Notfalltasche mit dem Medikamentenbedarf für 1 Woche im Handgepäck. Wichtig sei auch eine adäquate Verpackung der Reiseapotheke: gepolstert, bruchsicher, wasserdicht, mit Schutz vor Überhitzung oder Frost (z.B. Insulin).

Weiters sollte man Reisenden eine Reserve mitgeben, um vor Medikamentenfälschungen beim Einkauf vor Ort, v.a. in SO-Asien und (Ost-)Afrika, sicher zu sein. In diesem Zusammenhang empfiehlt Haditsch den Blick auf eine globale Datenbank, wo es für 137 Länder Listen mit unentbehrlichen Arzneimitteln und deren Verfügbarkeit gibt.

Kolik bei Gallensteinen, Stürze bei Parkinson

Haditsch hat exemplarisch drei Krankheiten herausgegriffen und erklärt, was für deren spezielle Vorsorge zu berücksichtigen ist: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die mit Abstand am häufigsten sind, Lungenerkrankungen und Diabetes mellitus (Details siehe Kasten). Jedoch betrachtet er es bei allen chronischen Krankheiten als „ärztliche Herausforderung“, immer das gesamte Spektrum der Krankheit zu berücksichtigen, ergänzt durch die Belastungen der geplanten Reise.

So müsse man die Immunsuppression bei diversen Erkrankungen wie CED oder Tumorerkrankungen bedenken. Bei Gallensteinleiden könnte es zu einer Kolik kommen, die mitunter zu einem teuren Reiseabbruch führt. Haditsch nennt als weitere Beispiele die Krampfneigung bei Epilepsie durch Tageszeitunterschiede oder durch unterschiedliche Stressniveaus, das Sturzrisiko bei M. Parkinson oder die Dekompensation bei Psychosen.

Pyramiden steiler als die „Mausefalle“

Bei Kreuzfahrten soll man auch an die Ausflüge an Land denken, z.B. Pyramiden in Mexiko, die steiler als die „Mausefalle“ auf der Streif in Kitzbühel sind (Probleme bei Übergewicht und Bluthochdruck im Aufstieg, Sturzgefahr im Abstieg). Auch manche Kulturreisen hätten es in sich, z.B. nach Peru mit Start in Lima (160m Seehöhe), gefolgt von der spanischen Kathedrale in Cusco (3.400m Seehöhe) und dem Titicacasee (mit 3.800m der höchstgelegene See der Welt). Diese beträchtlichen Höhenunterschiede müsse man mit den Reisenden besprechen.

Was ihm selbst sehr schwerfalle, worauf man aber trotzdem hinweisen müsse: 40% der Todesfälle während einer (Tropen-)Reise sind auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen, 30% auf Unfälle und „nur“ weniger als ein Viertel auf die Tropen-typischen Erkrankungen. „Das größte Problem sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die nicht vorbekannt oder nicht gut eingestellt sind“, folgert Haditsch.

Sehr häufig seien zudem Probleme durch Fehleinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit, der vorbestehenden Krankheit und die bereits erwähnte Dekompensation infolge physischer und psychischer Überbeanspruchung: Reisende kommen z.B. nicht mit einfachen Bedingungen zurecht, wie am Boden schlafen, in einem Erdloch die Notdurft verrichten oder sich in einem Lavoir zu waschen. Dies könne man alles vorbesprechen und dadurch den Stress abnehmen.

6 bis 9 Monate Vorbereitung wünschenswert

Zusammenfassend weist Haditsch darauf hin, die Reiseplanung rechtzeitig zu beginnen. Auf Nachfrage aus dem Auditorium gibt er „ein halbes bis dreiviertel Jahr“ wünschenswerte Vorbereitungszeit an. Meist seien es aber nur 3 Monate, in denen folgende Fragen/Punkte geklärt werden sollten:

  • Ziel und Art der Reise, wo habe ich etwaige Sicherheitsrouten? Wird vom Reiseveranstalter auf Spezifika Rücksicht genommen (Reservetage)? Medizinische Infrastruktur vor Ort? Sicherheitsbestimmungen für Dauermedikation?
  • Reisekranken- und Reiserückholversicherung? Spezielle Deckung (Kleingedrucktes lesen!), z.B. „akute Verschlechterung einer vorbestehenden Grunderkrankung“?
  • Zeitgerecht vor Reiseantritt: ärztliche Statuserhebung, etwaige Zusatzuntersuchungen (Leitlinie: EEU), physische Fitness verbessern („Trainingsprogramm“)
  • Reisemedizinische Aufgaben: Beurteilung Reiseart und Reiseziel, Überprüfung Impfstatus: Berücksichtigung der Immunseneszenz, Beachten von Interaktionen und Nebenwirkungen (explizit: Malariaprophylaxe)
  •  „Erste Hilfe“-Tasche: Letztbefund, Krankheitsbeschreibung, Mitführen der aktuellen Medikation in ausreichender Menge und einer Medikamentenliste (Freinamen!), mehrsprachiger Notfallausweis, Kontaktadressen von medizinischen Einrichtungen im Zielland heraussuchen

Das Schöne: „Ausnahmen bestätigen die Regel“

Abschließend präsentiert Haditsch, was an der Reisemedizin so schön sei, nämlich: „Ausnahmen bestätigen die Regel.“ Neben der bereits erwähnten Wüstenwanderung mit den fitten älteren Reisenden geht er auf den Bergsteiger Geri Winkler ein. Seit 1984 lebt dieser mit Diabetes Typ 1, der ärztliche Rat damals: „Reiseabenteuer und Gipfelziele für immer vergessen“.

Heute habe er alle „Seven Summits“ bestiegen und mit der Einreise in Angola im Oktober 2017 auch alle 193 UN-Mitgliedstaaten besucht – als einziger Mensch der Welt. Er habe gewusst, wie weit er gehen dürfe, „und das ist motivierend“, schließt Haditsch mit ihm als Beispiel, „dass man auch mit chronischen Krankheiten Reisen genießen und wohlbehalten zurückkommen kann“.

Spezielle Vorsorge für Herz, Lunge, Pankreas

1) Herz-Kreislauf-Erkrankungen:

  • Reisefähigkeit: bis NYHA II, bei guter BD-Einstellung unproblematisch
  • Flugtauglichkeit: VC 3,0l, FEV1 70%, pO2 70mmHg, SaO2 85%
  • USKG EF >40%, BGA (Ruhe/Belastung), Ergometrie (bzw. Herz-CT, das für asymptomatische KHK-Abklärung/Fallstellung die bessere Aussagekraft hat), 24-h-BDM
  • Tropenklima: Herzarbeit steigt um 20% an
  • Höhe: Leistungsfähigkeit nimmt zirka 10% pro 1000m ab
  • Diuretikatherapie: Hitze? Höhe? Durchfall?
  • Blut(hoch)druck: Vasodilatation durch die Hitze (Kollapsneigung bei Blutdruckmedikamenten, wenn sie in gleicher Dosis wie zuhause genommen werden)
  • Malariaprophylaxe: QT-Zeit-Verlängerung, Bradykardie
  • Thrombo ASS: als Standardmedikament in der Schlaganfallprophylaxe für Haditsch fraglich (Ulkusgefahr)

2) Lungenkrankheiten:

  • Reisefähigkeit: Bis COPD II unproblematisch, bei Asthma bronchiale Allergen/Expositionsabschätzung im Zielgebiet
  • Flugtauglichkeit: VC 3,0l, FEV1 70%, pO2 70mmHg
  • Lungenfunktionstest, BGA, bei COPD auch Thorax-Rö, USKG, ev. Ergometrie; SaO2 >92%, 6min Gehtest >84%
  • potenzielle Belastungen im Zielgebiet einschätzen (Klima, Vegetation, Jahreszeit)
  • feucht-warmes Klima: oft Besserung (cave: Schimmelpilze)
  • Infektanfälligkeit unter Cortison

3) Diabetes mellitus

  • Reisefähigkeit: bei stabiler (besser: hochnormaler) Einstellung NICHT eingeschränkt
  • gute Selbstmanagementfähigkeit erforderlich, Abklärung bezüglich Folgeerkrankungen
  • Risikoabwägung: Infrastruktur unterwegs (Kühlung Insulin!), Infektionsrisiko absehbar? Vermeidbar?
  • Wichtig: Zeitverschiebung (!) beachten: Flugreise O > W = Tagesverlängerung, Flugreise W > O = Tagesverkürzung, als Faustregel gilt: pro Zeitzone 3–4% mehr oder weniger Insulin. Und: Insulin darf nicht einfrieren (Achtung beim Bergsteigen!)
  • Zugang zu bekannten, einschätzbaren Lebensmitteln?
  • Aktivitätsprofil unterwegs: Erfahrungen von Auswirkungen auf BZ-Situation
  • Fehleinschätzung des Kohlenhydratgehalts, v.a. in besonderen Situationen (Gastroenteritis/Diarrhö, fieberhafter Infekt, Zuckergehalt von Früchten wie Mango wird oft falsch eingeschätzt)
  • Bescheinigung über das Mitführen von Injektionsmaterial (Flugzeug)

Quelle: „Extrem belastend“, 26. Linzer Reisemedizinischen Tagung (LRMT), 6.4.2024