7. Okt. 2020Austrian Vaccines Strategy Forum

Impfprävention: „Wir reden von menschlichen Schicksalen“

Für Kinder existiert zwar ein spezielles Impfprogramm in Österreich, aber keines für Erwachsene. Solche und andere Hürden im Impfwesen will das von Pharmig und Impfstoffhersteller-Verband ÖVIH gegründete „Austrian Vaccines Strategy Forum“ ändern. Der ÖVIH hat als ersten Schritt einen „Nationalen Aktionsplan Impfen“ entworfen. Wie es mit sieben Punkten gelingen könnte, die Impfprävention zu verbessern, stellte das Forum am 07.10.2020 vor und sprach auch offene Fragen bei Beschaffung, Verteilung und Effektivität von Impfungen an.

Menschliche Menge, die Spritzensymbol auf weißem Hintergrund bildet
iStock-1219272894_MicroStockHub
Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig
c-PHARMIG

Man könne nicht genug auf die Wichtigkeit des Themas Impfen hinweisen, sagt Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreich. „Wir reden natürlich von menschlichen Schicksalen“, dennoch seien die ökonomischen Implikationen von Impfungen für das Gesundheitswesen interessant. Etwa durch Einsparungen bei medizinischen Ausgaben, „es gibt aber auch pflegebedingte Produktivitätsgewinne“. Als Beispiel bringt Herzog Eltern, die ihr krankes Kind nicht pflegen müssen.

Alleine bei der Influenza-Impfung stellt der Generalsekretär jährliche Kosten von 41 Millionen Euro durch vermeidbare Krankheiten und 496 Millionen Euro an Verlust für die Wirtschaft durch Krankenstände gegenüber. Ein in die Influenza-Impfung investierter Euro entlaste die Gesellschaft mit 27,23 Euro und spare dem Gesundheitswesen 2,81 Euro. Eine Steigerung der Durchimpfungsrate um 5 Prozent verhindere jährlich bis zu 31.240 Erkrankungsfälle.

Einsparungen für Gesundheitssystem

Bei der HPV-Impfung verhindere eine fünfprozentige Steigerung über fünf Jahre weitere 950 Erkrankungsfälle und bei der Pneumokokken-Impfung vermeide eine Steigerung um ein Fünftel pro Jahr 3.670 Pneumonien oder 152 Todesfälle. „Impfen ist mit Abstand die beste Prävention, weil sie nicht nur den Menschen ein besseres Leben gibt und vor Krankheiten schützt, sondern weil sie auch dem Gesundheitswesen nachvollziehbare substanzielle Einsparungen bringt“, fasst Herzog zusammen.

Europa: „Herz der Impfstoffproduktion“

Gleichzeitig gebe es noch offene Fragen bezüglich der Beschaffung, der Verteilung und der Effektivität der Impfstoffkandidaten. Was viele nicht wissen: Europa sei das „Herz der Impfstoffproduktion“. 1,7 Milliarden Impfstoffe – das sind drei Viertel der weltweit produzierten Impfstoffe – werden in 11 Ländern und 27 Impfstoffproduktionsstätten jährlich für den globalen Bedarf produziert. Darunter auch Österreich, wo vier von sechs Impfstoff-herstellenden Unternehmen Forschungs- und/oder Produktionsstätten haben: in Kundl in Tirol, Krems und Orth an der Donau in Niederösterreich sowie Wien.

maupi

Impfen sei die zweitwichtigste Gesundheitsmaßnahme weltweit, nach Trinkwasserversorgung und noch vor Antibiotika, führt Mag. Renée Gallo-Daniel, Präsidentin ÖVIH – Österreichischer Verband der Impfstoffhersteller, ins Treffen. Die weltweite Versorgung mit Impfstoffen und deren Bedarf bezeichnet Gallo-Daniel als „Balanceakt“. Die Produktion von Impfstoffen könne bis zu zwei Jahre dauern, eine Ausnahme seien Influenza-Impfstoffe. Diese könnten auch nur in der aktuellen Saison verwendet werden. „Daher ist es umso notwendiger, den Bedarf, den jedes einzelne Land hat, möglichst genau und möglichst früh festzulegen“, sagt Gallo-Daniel.

Datenlage zu Durchimpfungsraten lückenhaft

Wichtig wären auch detaillierte Zahlen zu Durchimpfungsraten, die Datenlage dazu sei lückenhaft. Diese Lücken – sowohl bei der Versorgung und Durchimpfungsraten – will nun der vom ÖVIH erstellte „Nationale Aktionsplan Impfen“ mit sieben Vorschlägen (siehe unten) schließen. Zuallererst brauche es gesundheitspolitische Ziele für impfpräventable Erkrankungen, auch sollte die öffentliche Hand die Gründe für das Nichtimpfen regelmäßig erheben. Aber nicht nur Österreich bzw. das Sozialministerium sei gefordert: Das siebte Handlungsfeld betrifft die EU-Ebene: Harmonisierung und Vereinfachung der europäischen Kennzeichnungsverordnungen, um im Falle von Lieferengpässen Impfstoffe zwischen EU-Ländern rasch austauschen zu können.

Erhebliche Verbesserungen könnte der elektronische Impfpass bringen, etwa durch personalisierte Impfempfehlungen durch Verknüpfung mit dem nationalen österreichischen Impfplan. Wichtig seien zudem öffentlich finanzierte Aufklärungskampagnen in Zusammenarbeit mit den Ärzten und Apothekern. Der elektronische Impfpass ist übrigens mit der elektronischen Gesundheitsakte ELGA eng verzahnt, informiert Herzog auf medonline-Anfrage: „Die Personen, die leider aus ELGA hinausoptiert haben, sind nicht Teil des elektronischen Impfpasses.“ Er appelliere daher, noch einmal zu überlegen, ob man sich bei ELGA wieder hineinoptieren lassen möchte, es sei „ein lebensrettendes Gesundheitsdatensystem“.

Arbeit des Nationalen Impfgremiums „grandios“

fotodienst / Anna Rauchenberger

„Österreich verfügt über extrem gute Impfempfehlungen, das Nationale Impfgremium leistet hier grandiose Arbeit“, streut Univ.-Prof. Dr. Ursula Kunze, Zentrum für Public Health der MedUni Wien, zunächst Rosen, es sei immer auf dem aktuellsten Stand mit evidenzbasierten Impfpfehlungen – „das hat auch nicht jedes Land“. Woran es laut Kunze hapert: die flächendeckende Umsetzung, die vor allem im Erwachsenbereich leider noch nicht funktioniere.

Aus Public-Health-Sicht seien die von dem ÖVIH präsentierten sieben Punkte alle sehr „sinnvoll“ und sollten möglichst schnell umgesetzt werden. Als positive Nachricht berichtet Kunze, dass jetzt die Testphase des elektronischen Impfpasses gestartet sei, „der Plan ist, bereits in einem Jahr diesen Impfpass flächendeckend einzusetzen“. Weiters brauche man eine starke Gesundheitspolitik, die hinter dem Thema Impfen stehen soll. Positiv hob Kunze auch das seit vielen Jahren etablierte Gratis-Kinderimpfkonzept hervor. Vor allem aber muss auch das Vertrauen der Bevölkerung in das Impfwesen gestärkt werden, Stichwort Impfskepsis. Hier ortet Kunze eine wichtige Vorbild- und Vertrauensrolle des Gesundheitspersonals.

Heikles Thema Beschaffungsmodalitäten

Was Pharmig und ÖVIH gleichermaßen als „heikel“ bezeichnen, ist die Zweiteilung bei den Beschaffungsmodalitäten von Impfstoffen. Bei Impfungen im Rahmen des Gratiskinderimpfkonzepts gibt es Ausschreibungen. Dabei gelte das Billigstbieterprinzip. Herzog dazu: „Das erhöht die Gefahr, dass es zu Impfstoffknappheiten und Versorgungsproblemen kommt, wenn entweder der Bedarf viel höher als erwartet ist oder wenn es zu Lieferengpässen kommt.“

Hingegen gebe es im Erwachsenenbereich keinerlei definierte Bedarfsmengen, weil Impfstoffe nicht von der öffentlichen Hand finanziert werden und sie daher auch keiner Bedarfsplanung unterliegen. Entsprechende Daten müssten erhoben werden, sagt Herzog: „Nur wenn wir wissen, was wir brauchen, können wir es auch optimal planen und organisieren.“

Zu dem aktuellen Anmeldungsandrang für die Influenza-Impfung in Apotheken oder impfenden Ärzten, hat Gallo-Daniel (siehe auch https://pharmaceutical-tribune.at/10061109/2020/heissumkaempfte-influenza-impfstoffe/) noch eine Botschaft: Die ersten Lieferungen von Impfstoffen seien angekommen, die Nachfrage aber extrem. Der Grund: Viele Menschen hätten sich zum Teil in zwei, drei oder vier Apotheken auf Wartelisten stellen lassen und sich noch zusätzlich bei öffentlichen Impfstellen angemeldet: „In Wahrheit wissen wir daher noch nicht genau, wie hoch der Bedarf ist.“ Kunze ergänzt: Da die Influenza meist erst im Dezember oder Jänner, oft nach den Weihnachtsferien, auftrete, könne man ruhig abwarten und sich erst Mitte/Ende November impfen lassen.

Tipps auf Fragen von Impfskeptikern

Public-Health-Expertin Kunze hat auch noch Tipps für Impfskeptiker, die meinen, sie würden durch eine Impfung erst recht krank werden. Darauf erkläre sie immer, dass dies von der Impfung nicht sein könne, weil es Totimpfstoffe seien. Und: „Unser Immunsystem ist ein Wunderwerk, das sehr gut mit Krankheitserregern zurechtkommt – jeden Tag.“ Die Beobachtung beruhe wahrscheinlich darauf, dass die Menschen vergessen, dass die Influenza-Impfung „nur“ gegen Influenza-Viren helfe, nicht gegen andere unzählige Erreger. Die Annahme, durch die Influenza-Impfung gar keine Infekte mehr zu haben, sei dann falsch.

Zum Aktionsplan Impfen: https://www.pharmig.at/media/3280/nationaler-aktionsplan-impfen-oevih.pdf